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Unbesetzt. Viele Unternehmen suchen vergeblich Azubis. Es mangelt an Disziplin und Leistungswille.
© dpa

Unternehmen finden keine geeigneten Azubis: Jede Menge Arbeit

Die Wirtschaft klagt: Zu viele Jugendliche sind nicht ausbildungsfähig. Die Gewerkschaften halten dagegen: Die Betriebe tun nicht genug.

Die leichte konjunkturelle Schwäche erreicht bislang nicht den Arbeitsmarkt. Im Gegenteil. Zuletzt gab es hierzulande 42,5 Millionen Erwerbstätige – 340 000 mehr als vor einem Jahr und so viele wie seit Anfang der 1990er Jahre nicht mehr. Auf dem Ausbildungsmarkt wird es derweil für viele Firmen schwieriger, überhaupt Azubis zu finden. Nach Angaben des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK) konnten allein im Bereich der IHKen im vergangenen Jahr 80 000 Lehrstellen nicht besetzt werden. Fast 30 Prozent der Betriebe bekamen ihre Stellen nicht besetzt. Und in diesem Jahr wird es nicht besser. Für DIHK-Präsident Eric Schweitzer ist die aktuelle Entwicklung ein „Vorgeschmack auf den kommenden Fachkräftemangel“.

Berliner Betriebe sind Schlusslicht bei der Ausbildung

Die Gewerkschaften werfen den Firmen jedoch vor, das Problem selbst zu verschärfen; fast vier Fünftel aller Unternehmen bildeten überhaupt nicht aus. Vor allem Jugendliche mit Hauptschul- und mittlerem Schulabschluss „schaffen allzu oft noch immer nicht den Sprung von der Schule in die Ausbildung“, sagte Elke Hannack, stellvertretende DGB-Vorsitzende. In Berlin bilden nach Angaben des DGB sogar nur rund 15 Prozent der Betriebe aus. „Berlin ist Schlusslicht im bundesweiten Vergleich“, ärgerte sich Doro Zinke, DGB-Chefin von Berlin- Brandenburg. Auch der nicht-perfekte Bewerber habe einen Anspruch auf eine Ausbildung. Dazu gebe es „ausbildungsbegleitende Hilfen, diverse Mentoringprojekte und ähnliches in Berlin“.

Zinke greift damit den Hinweis aus der Wirtschaft auf, wonach viele Jugendliche nicht ausbildungsfähig sind. Auch der DIHK stieß bei einer aktuellen Umfrage zu den Ausbildungsplänen von 13 000 Unternehmen erneut auf das Thema. Schweitzer zufolge nehmen zwar die Unternehmen zunehmend auch schwache Azubis, doch damit steige der Verdruss über „nicht ausreichende Mathematik- und Deutschkenntnisse wieder deutlich an“. Ferner würden die Firmen „Mängel bei der Leistungsbereitschaft, der Belastbarkeit und der Disziplin“ beklagen.

Immer mehr junge Leute zieht es an die Uni

Neben der Qualität machen der Wirtschaft auch schlicht die Demografie und der Trend zur Hochschule zur schaffen. In diesem Jahr gibt es 53 000 Schulabgänger weniger als 2013, und „2025 werden wir nochmals 120 000 Abgänger weniger haben als noch 2014“, sagte Schweitzer, der auch als Präsident der Berliner IHK amtiert. Und dann zieht es die potenziellen Azubis auch noch an die Unis und Fachhochschulen. Im vergangenen Jahr begannen 507 000 junge Leute ein Studium, das war rund ein Drittel mehr als noch vor zehn Jahren.

Mit diversen Maßnahmen versuchen die Firmen dagegen zu halten und die duale Ausbildung attraktiv zu machen. Etwa durch besondere Weiterbildungsangebote, Auslandsaufenthalte oder Prämien. „Betriebe stellen sich auf die Digital Natives ein und versuchen, über das Internet neue Auszubildende zu gewinnen“, ergänzte Achim Dercks aus der Hauptgeschäftsführung des DIHK. Schließlich würden immer mehr Betriebe Praktika anbieten. Alles in allem gibt es hierzulande rund 350 Ausbildungsberufe, von denen allerdings rund die Hälfte für Jugendliche mit einem „niedrigen“ Schulabschluss kaum in Frage kommen. Die Gewerkschaften appellieren deshalb seit langem an die Betriebe, sich auch für schwächere Azubis zu öffnen. Tatsächlich haben die „Passungsprobleme“ (DGB-Vize Hannack) stark zugenommen. Zehntausende Plätze bleiben unbesetzt, gleichzeitig hängen fast 270 000 Jugendliche in so genannten Warteschleifen. Die Jugendarbeitslosigkeit ist hierzulande nur auf den ersten Blick relativ klein, denn 2,2 Millionen Personen zwischen 20 und 34 Jahren haben keinen Berufsabschluss. Ihnen bleibt kaum mehr als der Einsatz in prekären Jobs.

Rund fünf Millionen Beschäftigte sind geringfügig

Von den 42,5 Millionen Erwerbstätigen, die die Statistiker Mitte des Jahres gezählt haben, sind rund fünf Millionen geringfügig beschäftigt. Etwa 4,5 Millionen sind selbstständig, und 2,5 Millionen verdienen ihr Geld als Beamte und Soldaten. Aufgeteilt nach Branchen haben die Bereiche Öffentlicher Dienst/Erziehung/Gesundheit sowie Handel/Verkehr/Gastgewerbe mit jeweils rund zehn Millionen die meisten Beschäftigten vor der Industrie (knapp acht Millionen).

Mit knapp 30 Millionen ist der weitaus größte Teil der Arbeitnehmerschaft sozialversicherungspflichtig beschäftigt. Das sind gut zwei Millionen mehr als noch vor zehn Jahren. Damals gab es fünf Millionen Arbeitslose, heute sind es weniger als drei Millionen. Dass es trotz des relativ geringen Wachstums in den vergangenen Jahren zu einem deutlichen Beschäftigungsaufbau kam, hängt mit der gesunkenen Beschäftigungsschwelle zusammen; die Schwelle gibt das Wachstum an, das mindestens erforderlich ist, um neue Arbeitsplätze entstehen zu lassen.

Nach Angaben des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft halbierte sich diese Schwelle von 2000 bis 2011 auf 0,5 Prozent. Als Gründe dafür werden immer wieder die Reformen der Agenda 2010 angeführt, konkret die Ausweitung der Minijobs und der Leiharbeit sowie härtere Kriterien beim Bezug von Arbeitslosengeld sowie Hartz IV. Analog zu diesen Erklärungsmustern warnen Arbeitgeber nun vor den negativen Beschäftigungseffekten der jüngsten Regierungspolitik: Die Einführung des gesetzlichen Mindestlohns und Einschränkungen bei Leiharbeit und Werkverträgen könnten Hunderttausende Arbeitsplätze kosten.

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