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Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Schwedens Ministerpräsident Stefan Löfven gemeinsam auf der Hannover Messe.
© Friso Gentsch/dpa

Schlechte Stimmung auf der Hannover Messe: Ist es für die deutsche Wirtschaft schon zu spät?

Eigentlich soll auf der Hannover Messe die Zukunftsfähigkeit der deutschen Industrie gezeigt werden. Doch es dominiert die Angst, den Anschluss zu verlieren.

Ein gigantischer gelber Roboterarm hebt einen roten Audi in die Luft. An den Nachbarständen sortieren kleine Metallarme mit Saugnäpfen Kiwis in eine Kiste. Ob sensibel oder kraftvoll: Auf der Hannover Messe werden seit Montag die neuesten Technologien für die Fabriken von morgen ausgestellt. Immer öfter sind die Roboterarme dabei nicht mehr in Glaskäfigen eingesperrt, sondern die Besucher können sie sogar anfassen.

Collaborative Roboter oder Cobots heißt die Generation von elektronischen Helfern, die die Zusammenarbeit von Mensch und Maschine sicherer und einfacher machen. Sie reagieren über Sensoren, sobald sie berührt werden, und halten sofort an, um Unfälle zu vermeiden.

Mehr als 31.000 Exemplare hat Marktführer Universal Robots aus Dänemark inzwischen verkauft. Auch Kuka-Roboter sind in Hannover omnipräsent – die einstige deutsche Vorzeigefirma ist inzwischen in chinesischer Hand. Für Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) war das eine Art Sputnik-Moment, auch als Antwort auf die Kuka-Übernahme präsentierte er seine viel diskutierte „Industriestrategie“ zur Stärkung nationaler Champions.

Die Stimmung trübt sich ein

Auch in Hannover ist das ein großes Thema. Die EU müsse sich gegen marktverzerrendes Verhalten durch staatlich unterstützte Unternehmen wappnen, sagt beispielsweise Industriepräsident Dieter Kempf. „Namentlich China ist es, das sich in vielerlei Hinsicht nicht an Grundregeln des Marktes hält“, sagt der Chef des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI). Aber Europa müsse auch seine eigenen Hausaufgaben machen. Forschung und Entwicklung müssten mehr gefördert und die Ausgaben über die nächsten sieben Jahre auf 160 Milliarden Euro verdoppelt werden.

Denn die Stimmung in der Wirtschaft trübt sich spürbar ein und so warnen BDI und verschiedene Ökonomen vor konjunkturellen Turbulenzen. Der drohende Abschwung liegt wie ein Schatten über der größten Industriemesse der Welt. 6500 Aussteller aus 75 Ländern zeigen bis Freitag, wie sie sich die Fabrik der Zukunft vorstellen und wie schon heute Digitalisierung, vernetzte Maschinen, neue Robotergenerationen und andere Technologien die Arbeit verändern. Die Veranstalter rechnen mit mehr als 220.000 Besuchern.

In den vergangenen Jahren ist die Bedeutung der Hannover Messe durch Industrie 4.0, die Vernetzung der Produktionsabläufe, weiter gestiegen. Die Veranstaltung wurde auch für IT-Konzerne wie Microsoft wichtiger und hatte so der einst von ihr abgespaltenen Cebit den Rang abgelaufen. Das trug dazu bei, dass die einst größte Computermesse der Welt in diesem Jahr nicht mehr stattfindet. „Die Messe ist ein Gradmesser für den Aufbruch der Industrie ins digitale Zeitalter“, sagt Sabine Bendiek, Deutschlandchefin von Microsoft.

Lange herrschte in der deutschen Wirtschaft und Politik der Glaube vor, im Geschäft mit Konsumentenprodukten habe man zwar den Durchbruch des Internets verpasst, doch bei der Digitalisierung der Industrie könne die hiesige Wirtschaft ihre Stärken ausspielen. Doch auch hier wachsen nun die Zweifel, wie der Boom der Künstlichen Intelligenz (KI) zeigt.

Asiatische Wettbewerber haben die Nase vorn

„Ich bin noch nicht ausreichend sicher, ob wir die Voraussetzungen schon haben, um weltweit da wirklich mitzuspielen“, räumt Bundeskanzlerin Angela Merkel am Sonntagabend bei der Eröffnung ein. Mit dieser Einschätzung ist sie nicht allein. Nach einer Studie des Verbandes der Elektrotechnik Elektronik Informationstechnik e.V. (VDE) sind nur zehn Prozent der Unternehmen und sieben Prozent der Hochschulen überzeugt, dass deutsche Hochschulen in der KI-Forschung mit den USA und China mithalten können.

Aber auch beim Innovationsranking Industrie 4.0 haben die asiatischen Wettbewerber die Nase vorn, Deutschland landet nur im Mittelfeld. „Das Grundproblem ist, dass sich die deutsche Industrie lange auf ihrem Status Quo ausgeruht hat und damit schlichtweg in vielen Bereichen den Anschluss an die USA und China verpasst hat, die die Digitalisierung auf allen Ebenen vorantreiben“, erklärt VDE-Chef Ansgar Hinz. „Wir müssen raus unserer Komfortzone“, fordert Hinz. Die Schonfrist gehe zu Ende, sagt der Chef des Digitalverbandes Bitkom, Achim Berg. „Die Automobilhersteller und ihre Zulieferer sind die ersten, die mitten im digitalen Sturm stehen.“

Deutsche Politik ist "halbherzig"

Ernüchternde Zahlen präsentierte auch der Verein Deutscher Ingenieure (VDI). Nur 14 Prozent sehen Deutschland demnach bei KI in einer Führungsposition, das ist ein Rückgang von 53 Prozent zum Vorjahr. Indien liegt quasi gleichauf. „Deutschland verliert ein Stück den Anschluss“, sagt VDI-Präsident Volker Kefer. Vorn liegt in der Befragung der Fachleute derzeit die USA mit 67 Prozent, doch China hat deutlich aufgeholt (61 Prozent).

Ob die KI-Strategie der Bundesregierung daran etwas ändern kann, ist fraglich. Die Aufbruchstimmung in der Politik sei „bedauerlicherweise in der Halbherzigkeit gelandet“, kritisiert Microsoft-Geschäftsführerin Bendiek. Ursprünglich wollte die Bundesregierung KI bis 2025 mit drei Milliarden Euro unterstützen. Im aktuellen Haushaltsentwurf sei diese Summe jedoch auf ein Drittel eingedampft worden. „Das ist ein Signal in die völlig falsche Richtung“, sagt Bendiek.

„Wir wissen außerdem immer noch nicht, wie hoch die Fördermittel denn nun tatsächlich sein werden, aus welchen Töpfen sie kommen und, vor allem, wohin sie konkret fließen sollen“, kritisiert der VDI-Chef. Ein Problem sei zudem der Mangel an Experten. So glauben 60 Prozent der Befragten, dass in der deutschen Wirtschaft die Kompetenzen fehlen, um KI in der Produktion einzusetzen. „Wir haben nicht nur ein Forschungsproblem sondern auch ein Anwendungsproblem“, sagt Kefer. Er fordert daher, dass ein Teil der Mittel aus der KI-Strategie nicht nur in die Forschung sondern auch in anwendungsbezogene Projekte gehe.

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