Waldsterben 2.0: Ist dem deutschen Wald noch zu helfen?
Auf dem Waldgipfel in Berlin suchen Politik und Verbände nach Lösungen. Doch was erwarten die Menschen vor Ort? Ein Besuch in Brandenburg.
Karl Tempel tut alles, damit es seinen Bäumen gut geht. Gleich mehrere Flächen hat er in seinem Wald in der Nähe von Beelitz eingezäunt, damit die Rehe nicht die Jungpflanzen anknabbern. Für Vögel und Fledermäuse hat er Nistkästen aufgehängt. Auch Waldameisen hat Tempel wieder angesiedelt, unter den Bäumen bauen sie nun ihre haufenartigen Nester.
Tempels Hoffnung: Die Vögel, Fledermäuse und Ameisen sollen die Schädlinge fressen, die seinen Wald bedrohen. Vor allem die Borkenkäfer und die Nonnenraupen.
So wie Tempel müssen sich viele Waldbesitzer derzeit etwas einfallen lassen. Schädlinge, Trockenheit, Brände: All das setzt dem deutschen Wald zu. In Sachsen und Sachsen-Anhalt ist die Situation inzwischen so ernst, dass die Bundeswehr Soldaten in den Wald schickt.
Sie sollen dabei helfen, von Schädlingen betroffene Bäume zu fällen und abzutransportieren. Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU) beschreibt die Lage als „dramatisch“ und hat deshalb Hilfen in Aussicht gestellt.
Waldbesitzer, die massenhaft Schadholz aus ihren Wäldern holen müssen, sollen finanzielle Unterstützung bekommen. Gleichzeitig will Klöckner aber auch wiederaufforsten und den Wald weniger anffällig für den Klimawandel machen. Wie das konkret gehen soll, wird ein Thema beim Waldgipfel der Bundesregierung sein, zu dem Klöckner für den kommenden Mittwoch nach Berlin eingeladen hat.
Ein Drittel Deutschlands ist mit Wald bedeckt
Dabei steht viel auf dem Spiel. Ein Drittel Deutschlands ist mit Wald bedeckt. Doch von den 11,4 Millionen Hektar sind bereits 110 000 vertrocknet. Gut 70 Millionen Kubikmeter – in der Forstwirtschaft spricht man von Festmetern – Schadholz liegt in den Forsten: Bäume, die der Sturm abgeknickt hat, die verdurstet sind, oder denen Schädlinge den Garaus gemacht haben. Oder Rehe, die gern die jungen Triebe abfressen. Fichten, Buchen, Eichen, viele sind betroffen.
70 Millionen Festmeter, das entspricht etwa einer normalen Jahresholzernte. Doch nach zwei Dürrejahren in Folge ist nichts mehr normal im Wald. Das liegt allerdings nicht nur am Klimawandel, sondern auch an Fehlern der Vergangenheit. In Brandenburg etwa sind noch immer 70 Prozent der Waldbäume Kiefern. Solche Monokulturen sind besonders anfällig für Schädlinge, auch Brände breiten sich in reinen Kiefernwäldern sehr viel schneller aus als in Mischwäldern. Dass es dennoch rund um Berlin vor allem Kiefern gibt, hat mit der Politik nach dem Zweiten Weltkrieg zu tun. Man brauchte das Holz aus Brandenburg für den Wiederaufbau Berlins und für Reparationszahlungen. Als dann wiederaufgeforstet werden sollte, setzte sich in der DDR der Forstwissenschaftler Max Preßler mit seiner Bodenreinertragslehre durch. Er argumentierte, man solle ausschließlich Bäume pflanzen, die schnell wachsen und entsprechend viel Holz abwerfen. Wie Kiefern.
Der sandige Boden macht Probleme
Die Folgen kann man heute noch sehen, auch im Wald von Karl Tempel. An manchen Stellen stehen die Kiefern dort noch immer so, wie man sie damals gepflanzt hat: in schnurgeraden Reihen. Tempel versucht, das nach und nach zu korrigieren und aus seinem Kiefern- einen Mischwald zu machen. Mehrere Flächen hat er schon umgebaut und zwischen die Tannen Roteichen, Birken und Esskastanien gesetzt. Doch der Boden in Brandenburg ist sandig und trocken, deshalb muss er er experimentieren. „Stieleichen zum Beispiel funktionieren hier nicht“, sagt er. Von den Esskastanien hingegen ist er begeistert – auch wenn sie anfällig für den Spätfrost sind, der auch in diesem Jahr für einige braune Stellen an den Blättern gesorgt hat.
Auch Umweltschützern sind die „Plantagenwälder“ aus Fichten und Kiefern zuwider. Sie wollen, dass mehr Laubbäume in den Wäldern geplanzt werden und dass mehr Waldflächen sich selber überlassen werden. Im Bundesumweltministerium trifft das auf Sympathie. Staatssekretär Flasbarth möchte, dass fünf Prozent der deutschen Waldfläche Urwald wird, derzeit sind es 2,8 Prozent. Dabei wird oft eines vergessen: Der Umbau des Waldes ist schon seit Jahren im Gange. Inzwischen sind 44 Prozent Laubwälder, Tendenz steigend. Denn auch die Waldbesitzer sehen, dass die alten Lösungen nicht mehr funktionieren – auch wenn ihnen Nadelhölzer deutlich höhere Erträge bringen als Laubbäume.
Zwei Millionen Menschen besitzen Wald
Zwei Millionen Menschen haben Wald. Für viele ist das ein Hobby, oft sind die Forste klein. Anders als bei vielen der alten Adelsfamilien, die große Flächen besitzen und sie über Generationen weitergeben. Karl Tempel hat sich sein Waldwissen selbst angeeignet. Bevor er in Rente gegangen ist, hat er als Beamter im Bundesumweltministerium gearbeitet. Der Wald war sein Ausgleich zum Bürojob. 1998 hat er das erste Waldgrundstück in der Nähe von Beelitz gekauft. Seitdem ist es immer ein wenig größer geworden, wenn andere Waldbesitzer drum herum aufgegeben haben. Denn mit dem Wald Geld zu verdienen, wird immer schwerer. Gerade zuletzt. Durch die Stürme, Brände und Trockenheit kommt so viel Holz auf den Markt, dass die Preise im Keller sind.
Die Holzpreise sind im Keller
Tempel zum Beispiel wollte längst ein Stück seines Waldes durchforsten, also einzelne Bäume fällen, damit die anderen besser wachsen können. Doch er wartet ab, um nicht draufzahlen zu müssen. Neben dem Weg, der durch seinen Wald führt, stapeln sich schon jetzt Baumstämme. „Die habe ich bereits vor einem halben Jahr verkauft“, sagt er.
Abgeholt wird das Holz aber erst, wenn die Sägewerke es brauchen. Und das kann noch dauern. Denn die Preise sind im Keller, die Sägewerke bekommen billigen Nachschub. Für die Waldeigentümer, die vom Wald leben, ist das ein harter Schlag. Ihre „Sparkasse“ wird immer leerer. 2,3 Milliarden Euro wünschen sich die Forstbesitzer als Hilfe vom Staat, um das Schadholz wegzuräumen und die Wälder mit solchen Bäumen aufzuforsten, die besser mit Dürre oder Hitze klarkommen. Das ist vier Mal so viel wie derzeit vorgesehen ist.
[Konkret und aktuell aus dem Berliner Westen: Hitze, Trockenheit, Sturm - so stark macht das Wetter den Bäumen zu schaffen. Wie viele Bäume gefällt werden, wie viel für Wasser ausgegeben wird, was die Politik sagt - lesen Sie die Geschichte hier im Spandau-Newsletter. Den gibt es in voller Länge und kostenlos hier leute.tagesspiegel.de]
„Wir wollen keine Dürrehilfe für Waldbesitzer“, sagt Klöckner. Sie will die Honorierung auf eine breitere Basis stellen und auch die Umweltleistung der Forsteigentümer entlohnen. Denn Holz speichert Kohlendioxid. Ein Hektar Wald bindet pro Jahr rund 13 Tonnen CO2. Ohne den Wald gäbe es 14 Prozent des Klimagases mehr in Deutschland.
„Im Erhalt und der nachhaltigen Bewirtschaftung der Wälder und der Holzverwendung liegt ein enormes Klimaschutzpotenzial“, heißt es daher auch im Klimaschutzprogramm, das die Bundesregierung am Freitag beschlossen hat. „Wichtig ist, dass wir die Wälder und deren nachhaltige Bewirtschaftung langfristig erhalten und sichern.“
Waldeigentümer sind enttäuscht
Den Waldeigentümern reicht das nicht. In dem Programm seien weder Soforthilfen noch eine CO2-Abgabe zu Gunsten des Waldes enthalten, kritisiert der Präsident des Verbands der Waldeigentümer, Hans-Georg von der Marwitz. Der Gipfel sei hinter den Erwartungen zurück geblieben. „Der Wald hatte keine Priorität erhalten.“
Klöckner hat jedoch bereits vor einigen Wochen ein besseres Monitoring der Waldschäden angekündigt und setzt sich für eine unbürokratische Auszahlung der Fördermittel ein. Helfen soll auch eine Holzbauinitiative. „Dazu gehört zum Beispiel eine vermehrte Verwendung von Holz als klimafreundlichem Baustoff“, heißt es im Klimaprogramm. Glaubt man der Holzwirtschaft, geht das jedoch nur mit Nadelholz – und zwar mit Bäumen, die nicht schon von Schädlingen zerfressen sind. Tempel ist froh, dass er aufgrund des Schädlingsbefalls bislang keine Bäume fällen musste. So schlimm war die Lage nicht. Zwar haben die Nonnenraupen auch an seinen Kiefern Nadeln weggefressen, die Kronen aber sind noch grün. „Das ist ein Zeichen dafür, dass sich die Bäume wieder erholen“.
"Karate" gegen die Schädlinge
Der Landesbetrieb Forst Brandenburg hatte hingegen mit viel verheerenderen Folgen gerechnet. Die Behörde hatte prognostiziert, dass die Raupen in vielen Fällen 90 Prozent der Nadeln abbeißen könnten, womit die Bäume kaum eine Chance zum Überleben gehabt hätten. Deshalb hat der Landesbetrieb auch einen Hubschrauber losgeschickt, der die Brandenburger Wälder aus der Luft mit dem Pflanzenschutzmittel „Karate Forst flüssig“ besprühen sollte. Während manche Waldbesitzer das unterstützten, in der Hoffnung ihren Wald so zu schützen, war Tempel von Anfang an gegen den Einsatz. „Ich bewirtschafte meinen Wald seit 20 Jahren und bin bislang noch mit jedem Schädling zurecht gekommen“, sagt er. Letztlich hatte Tempel Glück. Der Naturschutzbund Brandenburg konnte vor Gericht den Einsatz des Schädlingsbekämpfungsmittels stoppen. Etliche Flächen waren da aber schon besprüht – Tempels Wald noch nicht.
Waldbesitzer Tempel will Grünzeug in seinem Wald verteilen
Von dem Waldgipfel erhofft sich Tempel finanzielle Unterstützung. Eine Idee, wie er das Klima in seinem Wald mit Hilfe von Fördergeldern verbessern könnte, hat er bereits. Er will einsammeln, was an Laub und Strauchschnitt in den umliegenden Ortschaften in Gärten und öffentlichen Parks anfällt, um es dann auf dem Waldboden zu verteilen. Auf diese Weise soll der Boden besser Wasser speichern können. Dafür aber braucht er erst einmal eine Fläche, auf der das Grünzeug abgeladen werden kann. Auch muss er jemanden einstellen, der die Gartenabfälle einsammelt. Ob das funktioniert, ob es seinen Wald weniger anfällig für Dürre macht? Tempel will nichts unversucht lassen.
Doch ein praktisches Problem hat schon Ministerin Klöckner entdeckt: Es gibt zu wenig Forstarbeiter, sagt sie. Auch für die Wiederaufforstung. Die Pflanzen sind da, die Pflanzer nicht.
Heike Jahberg, Carla Neuhaus
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