Vorschlag von Michael Müller: Ist das solidarische Grundeinkommen realistisch?
Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller schlägt vor, dass Langzeitarbeitslose öffentliche Parks reinigen oder Kinder betreuen. Geht das?
Parks ohne Müll, Hausmeister, die Schulen vor dem Verfall bewahren, Babysitter, die sich für ein paar Stunden um die Kinder von Alleinerziehenden kümmern – so könnte das Leben auch in Berlin zukünftig aussehen, wenn Michael Müller (SPD) sein Konzept vom solidarischen Grundeinkommen durchsetzt. Glaubt er zumindest.
Bislang sind seine Pläne sehr vage. Was man vom Regierenden Bürgermeister weiß: Langzeitarbeitslose sollen gemeinnützige Arbeitsangebote bekommen. Die steuerfinanzierten, unbefristeten Vollzeitjobs sollen auf kommunaler Ebene für sie geschaffen und wenigstens mit dem Mindestlohn bezahlt werden. Wer will, nimmt einen Job an. Wer nicht will, bekommt weiterhin Hartz IV.
Dabei könnte es sich um Tätigkeiten handeln, die, wie Müller sagt, „vorher für die Kommunen nicht finanzierbar waren“: Neben den genannten Beispielen wären das aus seiner Sicht Sperrmüllbeseitigung, Bepflanzung von Grünstreifen, Begleit- und Einkaufsdienste für Menschen mit Behinderung, Sekretariatsaufgeben in Schulen, ehrenamtliche Tätigkeiten in der Flüchtlingshilfe oder im Sportverein. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) nennt in einer Kurzanalyse noch Aufgaben in der Kinder- und Jugendhilfe sowie Ernährungsberatung. Für die derzeit 845 000 Langzeitarbeitslosen in Deutschland hält das DIW anfangs bis zu 150 000 Jobs für realistisch.
Als Straßenreiniger braucht man keine Ausbildung
Kann das funktionieren? Würde Berlin dann saubere U-Bahnhöfe und zufriedenere Einwohner haben? Fragt man bei den Berliner Landesbetrieben nach, die Müller mit seinem Konzept anspricht, halten sich die Unternehmen zurück: Das sei eine „politische Debatte, zu der wir uns nicht äußern“, heißt es zum Beispiel bei der BVG. Auch andere potenzielle Arbeitgeber wie der Zoo und die BSR schweigen.
Theoretisch könnte ein Langzeitarbeitsloser recht einfach als Straßenreiniger oder Müllentsorger anfangen, da es sich um eine Anlerntätigkeit handelt. Nur: Mitarbeiter der BSR werden nach Tarif bezahlt. Es bestünde die Gefahr, Menschen auf diesem Weg unter Tarif zu beschäftigen, statt Arbeitslose direkt einzustellen. Was ja ebenso möglich ist. Der Chef der Bundesagentur für Arbeit (BA), Detlev Scheele, mahnt deshalb, es dürfe kein zweiter öffentlicher Dienst „am unteren Rand der Bezahlung“ entstehen.
Für die Reinigung und Pflege von Parks und Spielplätzen in der Stadt sind die Grünflächenämter der zwölf Bezirke zuständig. In Friedrichshain-Kreuzberg heißt es exemplarisch zu Müllers Idee: Zumindest derzeit wäre eine sinnvolle Betätigung fraglich, da das Amt gar nicht mehr direkt Gärtner oder Landschaftsbauer einstelle, sondern Aufträge an private Dienstleister vergebe. Zwölf Parks reinigt mittlerweile die BSR in einem Pilotprojekt.
Die Jobs, die Müller schaffen will, sind vor allem solche, die in den letzten Jahren enorm eingespart, wegrationalisiert wurden. Wie beispielsweise Hausmeister an Schulen und in Wohnungsunternehmen. Momentan kommen sie auf Wunsch der Mieter zurück, was der kommunale Vermieter Gesobau bestätigt. Dort sollte man eine abgeschlossene handwerkliche Ausbildung oder Berufserfahrungen als Hausmeister mitbringen. Ob jemand seit Jahren nicht gearbeitet hat, spiele zunächst keine Rolle. Sondern nur, ob er qualifiziert ist.
In der Kinder- und Jugendarbeit herrschen Zweifel
Unabdingbar ist eine gute Ausbildung bei der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen. Kindeswohl-Berlin ist ein freier Träger, der vor allem betreute Wohngruppen anbietet. Ein Arbeitsumfeld für Langzeitarbeitslose? „Ich kann mir das gar nicht vorstellen“, sagt Roswitha Korduan, Geschäftsleiterin des Vereins. Sie beschäftigt ausgebildete Erzieher und Sozialarbeiter. „Wir brauchen eine stabile Personalstruktur“, sagt Korduan, „und den Jugendämtern und Eltern gegenüber sind wir rechenschaftspflichtig.“ Die betreuten, oftmals traumatisierten Kinder seien in der Vergangenheit schon oft enttäuscht worden. Sie bräuchten zuverlässige, belastbare Bezugspersonen.
Ein Teil der Hartz-IV-Empfänger kämpft neben der langen Arbeitslosigkeit mit anderen Schwierigkeiten: Suchtprobleme, Überschuldung, psychische Erkrankungen. Ihnen fällt es schwer, ihren Alltag zu organisieren, Termine einzuhalten, pünktlich zu sein. Korduan sagt, sie könne nicht noch zusätzlich jemanden einstellen, der die Langzeitarbeitslosen einweist und sie für die Arbeit motiviert.
Wenn es nach Müller geht, soll seine Idee auch Alleinerziehende entlasten: Langzeitarbeitslose könnten ihre Kinder hüten. Kostenlos. „Grundsätzlich bin ich dafür, wenn Langzeitarbeitslose sich engagieren“, sagt Jennifer Sommerer. Sie hat Babysitter-Express gegründet, eine Agentur, die kurzfristig Babysitter vermittelt. Bei ihr haben sich auch schon Langzeitarbeitslose beworben. „Die sind teilweise nicht gekommen oder haben Kunden verschreckt“, sagt sie. Gerade Eltern, die akut einen Babysitter brauchen, hätten oft hohe Ansprüche an die Betreuung. Langzeitarbeitslose bräuchten in jedem Fall eine Schulung. Wichtig sei, dass kostenloses Babysitting im sozialen Bereich bleibe und nicht die Wirtschaft ersetze: „Schwierig fände ich, wenn Unternehmen verdrängt würden.“
Sebastian Karg betreibt in Potsdam einen Einkaufsservice, der zum Beispiel gehbehinderten Menschen Lebensmittel nach Hause bringt. An sich fände er die Idee nicht schlecht, die Langzeitarbeitslosen bräuchten aber ein Auto und müssten sich gut organisieren können. Wenn sie durch einen gemeinnützigen Job erst einmal Arbeitserfahrung sammeln, kann Karg sich auch vorstellen, sie später bei sich einzustellen.
Marie Rövekamp