Debatte um Westwing-Gründerin: Ist das Mutterschutzgesetz noch zeitgemäß?
Delia Lachance, Gründerin eines Online-Möbelhändlers, geht in Mutterschutz - und muss deshalb ihren Vorstandsposten abgeben. Der Fall ruft Kritik hervor.
Ausgerechnet am Wochenende des Weltfrauentages wurde der Mutterschutz von Delia Lachance, der Gründerin des Online-Möbelhändlers Westwing, zum Aufreger in den sozialen Medien. Das Wirtschaftsmagazin „Gründerszene“ hatte darüber berichtet und analysiert, was dieser Schritt für das börsennotierte Unternehmen bedeutet. Eine naheliegende Frage, angesichts dessen, dass Lachance nicht nur Gründerin und Vorständin ist, sondern sich auch stets als Gesicht der Firma präsentiert.
Lachance fühlte sich dadurch aber angegriffen und zeigte sich in einem mehr als 15.000 Mal gelikten Post auf Instagram enttäuscht darüber, dass diese Frage im Jahr 2020 überhaupt noch thematisiert werde.
Was sie in ihrem Beitrag nur am Rande erwähnte, zieht nun aber eine weitergehende Debatte nach sich. Denn laut geltendem Recht, hat sie gar keine andere Wahl als ihren Vorstandsposten während Mutterschutz und Elternzeit abzugeben. Auf Instagram kommentierte sie diesen Sachverhalt so: „Ich musste aus dem Westwing-Vorstand ausscheiden, weil das Gesetz für Vorstandsmitglieder von Börsenkooperationen in Deutschland immer noch archaisch ist, wenn es um den Mutterschaftsurlaub geht.“
Unterschied zwischen Arbeitnehmer und Geschäftsführer
Damit zeigt ihr Fall ein generelles Problem für Frauen in Führungspositionen auf, die schwanger werden und in Mutterschutz gehen wollen. Das 1952 in Kraft getretene und 2018 erstmals reformierte Mutterschutzgesetz (MuschG) greift aktuell nur bei angestellten Arbeitnehmerinnen, Fremdgeschäftsführerinnen sowie Schülerinnen und Studentinnen. Werdende Mütter dürfen in den letzten sechs Wochen vor der Entbindung nur mit Einwilligung beschäftigt werden. Nach der Entbindung gilt grundsätzlich ein Beschäftigungsverbot von acht Wochen.
Mit der Begründung, dass diese Frauen in keinem Beschäftigungsverhältnis stehen, gilt das MuschG grundsätzlich nicht für Selbstständige, Organmitglieder und Geschäftsführerinnen juristischer Personen oder Gesellschaften sowie für Hausfrauen. Das Familienministerium begründet dies damit, dass diese Frauen nicht weisungsgebunden handeln und nicht in eine Arbeitsorganisation eines Weisungsgebers eingegliedert sind. Zudem haben sie keinen Arbeitgeber, dem eine vertragliche Fürsorgeverpflichtung zukommt und der die gesetzlichen Regelungen zum Mutterschutz zu beachten hat.
Stefan Röhrborn, Fachanwalt für Arbeitsrecht in Düsseldorf, sieht hier ebenfalls Handlungsbedarf. Die Situation habe sich für betroffene Frauen gebessert, jedoch sei die Reform nicht ausreichend gewesen. „Zum Glück befinden wir uns seit der Reform des Mutterschutzes Anfang 2018 nicht mehr ganz so weit in der Vergangenheit.“ Er fordert dennoch: „Der Gesetzgeber muss über seinen juristischen Schatten springen.“
MuschG-Reform ging nicht um Gleichstellung
Generell liegt der Diskussion um den Stand des Mutterschutzes in Deutschland die Frage zugrunde, inwieweit eine Geschäftsführerin einer Arbeitnehmerin gleichzustellen ist. So ging es ihm zufolge bei der Reform des Mutterschutzes 2018 weniger um die Gleichstellung von Mann und Frau, sondern um die Gleichstellung von Geschäftsführerinnen und Arbeitnehmerinnen. Daten dazu, wie viele Frauen in gehobenen Führungspositionen nicht vom MuschG erfasst werden, hat Röhrborn nicht: „Wir würden es gerne erheben, aber das geben die Zahlen nicht her.“
Auch Wiebke Ankersen, Geschäftsführerin der gemeinnützigen Allbright-Stiftung, berichtet, dass solche Fälle noch immer selten vorkommen. Der Grund dafür ist: „Das durchschnittliche Vorstandsmitglied in Deutschland ist 53 Jahre alt. Und dann zu 90 Prozent männlich.“ Generell sei man derzeit erst ab Ende 40 reif für den Vorstand – und dann ist die Familienplanung meist schon abgeschlossen. Ankersen betont: „Was Frauen in Führungspositionen betrifft, ist Deutschland ein Entwicklungsland. Und wenn ein Gesetz bestimmte Frauen beim Mutterschutz nicht umfasst, sind diese natürlich schlechter gestellt und damit diskriminiert.“
Das Bundesfamilienministerium teilt auf Tagesspiegel-Nachfrage allerdings mit, dass derzeit keine Änderung des MuschG geplant sei.
Blick ins Ausland macht Hoffnung
Trotzdem ist sie optimistisch gestimmt: Hoffnung machen ihr Länder wie Schweden oder die USA, die schon sehr viel weiter sind. In Schweden etwa sind ein Viertel der Vorstandsmitglieder von Börsenunternehmen Frauen, zwar gibt es per se keinen Mutterschutz, aber Krankschreibungen gestalten sich für die Frauen unkompliziert. „Dort ist es in Ordnung, sich Auszeiten für die Familie zu nehmen“, sagt Ankersen, die selbst drei Kinder hat. Auch männliche Vorstände nähmen sich Elternzeit – bis zu sechs Monaten. In Deutschland würde die Elternzeit auch bei Männern zum vorübergehenden Ausscheiden aus dem Vorstand führen. Doch aufgrund der noch niedrigeren Fallzahl als bei Frauen sei dieses Szenario eher theoretischer Natur, heißt es von Experten.
Der Post der Westwing-Gründerin rief auch Verena Pausder auf den Plan. Die Aufsichtsrätin der Comdirect Bank verfasste einen Blog-Beitrag, in dem sie begründet, warum Mutterschutz aus ihrer Sicht nicht zur Mandatsniederlegung führen darf: „Warum muss eine Vorständin ihr Mandat niederlegen, weil sie ein Kind bekommt? Gibt es keinen anderen Weg die Haftung während ihres Mutterschutzes und der Elternzeit ruhen zu lassen als zurückzutreten?“
Westwing selbst will auf Nachfrage die Diskussion im Netz nicht kommentieren, teilt aber mit Blick auf die derzeitige gesetzliche Lage mit: „Zusammen mit Delia Lachance und unserem Aufsichtsrat kamen wir zu dem Schluss, dass die einzige Möglichkeit, Delia Lachance einen ,normalen’ Mutterschaftsurlaub anzubieten, darin besteht, dass sie während dieser Zeit nicht im Vorstand sitzt.“
Katharina Horban