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Der afghanische Flüchtling Sha Kah Ahmadi (l.) und der indischen Flüchtling Singh Satwinder feilen in der Fortbildungsakademie der Wirtschaft (FAW) in Dresden (Sachen) an Metallwerkstücken.
© dpa

Flüchtlingspolitik: Integration auf Zeit

Flüchtlinge sollen in Zukunft leichter Zeitarbeitsjobs finden. Ein soziales Start-up aus Berlin will ihnen bei der Suche helfen.

Am Anfang war sich Martin Hackethal unsicher, ob das, was er vorhat, wirklich etwas Gutes ist. Ob er nicht das Gegenteil von dem bewirkt, was er will, und Geflüchtete mit einer Zeitarbeitsfirma ausgebeutet werden. Letztlich überwogen für ihn aber die Vorteile. Wie sonst könnten Flüchtlinge so schnell und unkompliziert einen Job finden?

Derzeit gibt es noch zahlreiche Hindernisse, die Unternehmen davon abhalten, Flüchtlinge einzustellen. Mal fehlen Qualifikationsnachweise, mal Deutschkenntnisse, mal erscheinen die gesetzlichen Regelungen zu umständlich. Mit dem sozialen Start-up Avenir wollen Martin Hackethal und sein Team Unternehmen die Möglichkeit bieten, mit geringen Risiken und wenig Aufwand Geflüchtete zu beschäftigen. Sie, nicht die Unternehmen, sprechen mit der Ausländerbehörde und Arbeitsagentur. Starten soll das Projekt im Juli. Ihre Gewinne werden in Sprachkurse und Weiterbildungen für die „Newcomer“ fließen.

Lockerungen auch politisch geplant

Seit dem vergangenen Oktober dürfen Asylbewerber und Geduldete als Zeitarbeiter tätig werden, wenn für die Beschäftigung keine Vorrangprüfung gilt. Das betrifft Hochqualifizierte, Qualifizierte in Engpassberufen – und jeden nach einem Aufenthalt von 15 Monaten. Im Integrationsgesetz, das in dieser Woche ins Kabinett kommt, sind nun weitere Erleichterungen in der Leiharbeit geplant: Für einen Zeitraum von drei Jahren soll bei Asylbewerbern und Geduldeten gänzlich auf die Vorrangprüfung verzichtet werden. Unter der Voraussetzung, dass die Arbeitslosigkeit in der Stadt, in der es den Job gibt, unterdurchschnittlich hoch ist.

Arbeitgeberpräsident Ingo Kramer nennt die Lockerung „sinnvoll“. Eric Schweitzer, Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK), findet, dass Zeitarbeit gerade Menschen mit geringer Qualifikation Beschäftigungsmöglichkeiten und den „Einstieg in Arbeit“ erleichtert. Für Zeitarbeit spricht, dass es ein schnelles und flexibles Mittel ist, um Arbeitssuchenden einen Job zu geben. Wer sich beruflich umorientieren möchte, lernt verschiedene Unternehmen kennen. Auch Geringqualifizierte und Langzeitarbeitslose haben eine Chance.

Die Gefahr sind niedrige Löhne

Dagegen spricht, dass Zeitarbeit immer wieder ausgenutzt wird, um niedrige Löhne zu zahlen. Den Arbeitnehmern fehlt außerdem eine finanzielle Planungssicherheit. Deswegen will Martin Hackethal, dass die Geflüchteten ein halbes Jahr, maximal neun Monate bleiben. Nicht länger. Dann sollen sie eine feste Arbeit gefunden haben.

Um zu sehen, zu welchem Unternehmen sie passen, schaut er sich weniger die Abschlüsse der geflüchteten Frauen und Männer an, sondern achtet mehr auf ihre Fähigkeiten und Interessen. Was wichtig sei: Die Geflüchteten müssen mindestens einen Deutschkurs auf B1-Niveau besucht haben. Sie verfügen damit über mehr als Basiskenntnisse, sollten ein Alltagsgespräch führen und sich über Themen wie Familie, Hobbys und Arbeit unterhalten können. „Paradoxerweise müssen gerade Geringqualifizierte gut deutsch sprechen“, sagt er. „Bei der Arbeit, die sie machen, wird nicht so oft englisch gesprochen.“

Schwarzarbeit gegen das Nichtstun

Jemand, der Zeitarbeit für Geflüchtete befürwortet, ist auch Jürgen Weise, Leiter der Asylbehörde Bamf und Leiter der Arbeitsagentur. „Für die Integration der geflüchteten Menschen ist es unter anderem wichtig, Arbeit und Fördermaßnahmen anzubieten“, sagt er. „Deshalb begrüße ich jeden Schritt, die Hürden beim Zugang in den Arbeitsmarkt abzubauen." In den Arbeitsagenturen und Jobcentern schlagen die Mitarbeiter den Geflüchteten oft Zeitarbeitsangebote vor. Wichtig ist, dass sie anständig bezahlt werden.

Laut einer Studie des Tübinger Instituts für Angewandte Wirtschaftsforschung (IAW) und der Universität Linz sind nämlich – geschätzt – zwischen 100 000 und 300 000 Flüchtlinge illegal beschäftigt. Als Putzkraft oder Hilfsarbeiter auf dem Bau. „Wegen der fehlenden Deutschkenntnisse vieler Schutzsuchender ist es wahrscheinlich, dass es zunächst Jobs im Niedriglohn-Sektor sein werden“, sagt Studienautor Friedrich Schneider. „Die Flüchtlinge sind monatelang in ihren Unterkünften zum Nichtstun verdammt, also ist es doch naheliegend, dass sie irgendwann raus wollen und sich als Schwarzarbeiter verdingen.“

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