Bald keine Herzchen mehr: Instagrams wirtschaftliches Kalkül hinter dem Like-Experiment
Instagram schränkt seine Like-Funktion ein. Angeblich soll es die Gefallsucht der Nutzer eindämmen. Doch Beobachter gehen von einem anderen Grund aus.
- Laurin Meyer
- Marie Rövekamp
Für so manchen wird es sich wie ein Entzug anfühlen. Instagram experimentiert gerade damit, nach Jahren der Gewöhnung seine wichtigste Funktion einzuschränken: die kleinen, roten Herzchen, die jedem anzeigen, wie sehr ein Foto gemocht wird. „Nutzer, die Teil des Tests sind, sehen nicht mehr die Gesamtzahl der Likes und Views von Fotos und Videos anderer in ihrem Feed“, erläuterte die zu Facebook gehörende Foto-Plattform. Die Summe der Likes bleibt nur noch für die eigenen Beiträge sichtbar. Unklar ist, wie viele Menschen betroffen sein werden. Weltweit nutzen mehr als eine Milliarde das soziale Netzwerk.
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Was sich das Unternehmen dabei denkt? Offiziell lautet die Begründung von Instagram, man wolle „den Menschen helfen, sich auf die Fotos und Videos zu konzentrieren, die sie teilen, und nicht darauf, wie viele Likes sie dafür bekommen.“ Der Chef der Plattform, Adam Mosseri, hatte bei einem Auftritt zudem persönlich betont, er ergreife durchaus Maßnahmen, die seinem Geschäft schaden, wenn das Unternehmen dafür dem Wohlbefinden der Nutzer diene.
Tatsächlich wurden Gefällt-mir-Funktionen wie diese schon oft kritisiert. Blinkt ein rotes Herz bei Instagram, blinkt es direkt im Belohnungszentrum des Gehirns. Außerdem werden Glückshormone ausgeschüttet, ähnlich wie bei gutem Essen, Sex oder Drogen. Likes haben also einen enormen Einfluss auf Emotionen. Bei vielen Herzchen fühlt sich jemand anerkannt, ist zufrieden. Bei wenigen drohen Selbstzweifel. Die Hintergründe für diese Reaktionen sind neurowissenschaftlich bestätigt.
Jeder wird permanent bewertet
Die britische Gesundheitsorganisation hat in einer Studie sogar herausgefunden, dass Instagram das Seelenleben von Jugendlichen und jungen Erwachsenen negativer beeinflusst als jedes andere soziale Netzwerk. Wissenschaftler haben rund 1500 Social-Media-Nutzer im Alter zwischen 14 und 24 Jahren befragt. Besonders bei Instagram hätten die Mädchen und Jungen von einem verminderten Selbstbild und einer negativen Körperwahrnehmung bis hin zu depressiven Verstimmungen besprochen.
Denn: Jeder wird permanent bewertet. Je mehr Likes desto besser. Jugendliche haben bei den bearbeiteten Fotos von Influencerinnen und Freunden außerdem das Gefühl, nicht gut genug auszusehen. Die perfekt inszenierten Erlebnisse und Reisen lassen das eigene Leben langweilig aussehen. Aus der Sozialpsychologie ist schon lange bekannt, dass ein zu starker Wunsch, zu gefallen, ebenso schädlich sein kann wie Vergleiche mit anderen. Plattformen wie Instagram haben aus diesen Bedürfnissen allerdings ihr Geschäftsmodell gemacht.
Ausgerechnet der Mann, der den „Like“-Button auf Facebook erfunden hat, hat schon vor zwei Jahren ernsthaft davor gewarnt. Justin Rosenstein war vor zehn Jahren Teil einer Gruppe von Ingenieuren, die den kleinen Daumen für Facebook entwickelt hat. „Ich habe sozialen Medien irgendwann mehr Aufmerksamkeit gewidmet, als ich eigentlich wollte“, erzählte Rosenstein im ZDF-Interview. „Jedes Mal, wenn einer deiner Beiträge geliked wird, brummt das Telefon. Du bekommst ständig Feedback und irgendwann lässt dich das Smartphone einfach nicht mehr los.“ Auch Twitter-Gründer Jack Dorsey gab auf einer Ted-Konferenz einmal bekannt: Wenn er seine Plattform nochmal starten müsste, würde er keinen Like-Button hinzufügen.
Instagram hat Angst vor Image-Schaden
Doch steckt hinter den Plänen von Instagram wirklich bloß der Versuch, das Risiko von psychischen Problemen, von Mobbing bei jungen Menschen einzudämmen? Die Wahrheit ist auch: Das Unternehmen will sich angesichts der öffentlichen Kritik vor Image-Schäden schützen. Und nicht nur das. Das kleine Herzchen auf Instagram ist mehr als nur eine soziale Droge. In der digitalen Geschäftswelt sind die Gefällt-mir-Klicks längst zu einer eigenen Währung geworden.
Das merken vor allem Influencer, die Stars des Portals. Sie werben in ihren Beiträgen teils kräftig für Unternehmen, tragen deren Kleidung oder verlinken auf Onlineshops. Das Prinzip: Je beliebter die Beiträge der Influencer sind, desto mehr Geld sind Werbepartner bereit, für deren Dienste zu zahlen. Dass es Instagram beim Testlauf nur um das Wohl seiner Nutzer geht, bezweifeln darum auch Marketingagenturen.
Sie glauben vielmehr, dass es die Plattform selbst auf das lukrative Werbegeschäft abgesehen hat. „Likes sind zu einem wichtigen Kriterium für die Vermarktung von Influencern geworden“, sagt André Mörker, Geschäftsführer der Berliner Agentur Media-Part. Bleibt die genaue Anzahl der Gefällt-mir-Klicks verborgen, werde es zumindest schwieriger, den Werbewert eines Influencers zu bestimmen. Seine Vermutung: Der Mutterkonzern Facebook könnte bald selbst zum Vermarkter werden – und einen exklusiven Zugang zu den Profil- und Post-Daten anbieten, die bislang öffentlich waren.
Das Geschäft, das Influencer mit Produktwerbung auf Plattformen wie Instagram aufgebaut haben, wächst rasant. Schon im kommenden Jahr wird der deutsche Influencer-Markt voraussichtlich die Milliardenmarke überschreiten. Das will die Softwarefirma „Facelift“ mit der Agentur „Jung von Matt“ in einer Umfrage ermittelt haben. Noch 2017 beliefen sich die Einnahmen der deutschen Influencer auf gut 500 Millionen Euro. „Und Facebook bekommt bislang keinen einzigen Cent davon“, sagt Mörker. Von der Konzerntochter Instagram heißt es: Für Autoren von Inhalten, für die die Plattform Instagram geschäftlich wichtig ist, werde nach einer Lösung gesucht. Angst vor einem neuen Konkurrenten habe Agenturchef Mörker aber ohnehin nicht. „Wir haben bereits genügend Daten sammeln können“, sagt er. Mithilfe dieser Datenbank sowie von Machine Learning und Algorithmen könne er auch weiterhin den Werbewert eines Influencers bestimmen.
Influencer gefallen seltener
Wer darüber hinaus wissen will, wie viele Likes ein Beitrag eingebracht hat, muss nachzählen. Im aktuellen Testlauf listet Instagram nämlich nur noch auf, welcher Fan ein Herzchen hinterlassen hat. Doch das Zusammenrechnen könnte dauern, denn die Plattform grenzt ein, wie häufig sich Nutzer pro Minute durch die Liste der Liker klicken dürfen. Zudem bekommen die Stars der Branche oft mehrere hunderttausend Likes pro Bild, teils sogar mehr als eine Million.
Das könnte sich jedoch ändern: Ist die Anzahl der Likes nicht mehr öffentlich, klicken Nutzer schlicht seltener auf den Gefällt-mir-Button, vermutet das britische Analyseportal „Hype Auditor“. In einer Studie haben die Betreiber die Entwicklung der Like-Zahlen von Influencern analysiert, deren Fans zu einem Großteil aus einem der Testländer stammen. Das Ergebnis: Vor allem die Schwergewichte der Branche mit mehr als 100.000 Followern mussten schwere Einbußen hinnehmen. Ihre Like-Zahlen sind demnach unmittelbar nach Beginn des Versuchs in fast allen Testländern gesunken. Teilweise um mehr als ein Viertel wie etwa in Brasilien, einem der Länder mit den meisten Nutzern.
Ob die Likes versteckt bleiben, hat Instagram noch nicht entschieden. Dennoch wollen einige schon eine neue Währung ausgemacht haben: Kommentare. Neben einem kurzen Gefällt-mir-Klick können Nutzer auch persönliche Botschaften unter den Beiträgen hinterlassen. Für jeden sichtbar.
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