Bilanz der Lehman-Pleite 2008: Insolvenzverwalter verteidigt sein Millionen-Honorar
Nach der Pleite der Investmentbank Lehman im Jahr 2008 kämpfen Kleinanleger weiter um ihr Erspartes, der Insolvenzverwalter aber soll Hunderte Millionen Euro einstreichen. Das ruft Empörung hervor.
Nicht immer trifft Gregor Gysi den Ton der Nation. Doch in Sachen Lehman-Insolvenz dürfte der Fraktionschef der Linken die Mehrheit der Deutschen hinter sich wissen. „Diejenigen, denen die Lehman-Zertifikate von gewissenlosen Bankberatern aufgeschwatzt wurden, werden mit Minizahlungen abgespeist oder gehen leer aus, während die Banken mit 80 Prozent Entschädigung rechnen können“, ärgert sich Gysi. Was die Sache auf die Spitze treibt, ist jedoch das üppige Honorar, das Insolvenzverwalter Michael Frege, der seit vier Jahren die Abwicklung der deutschen Tochter betreibt, erwarten kann. Gut 833 Millionen Euro – exakt 833 844 347,92 Euro – könnten Frege und die Großkanzlei CMS Hasche Sigle, für die er tätig ist, verlangen, hat der Berliner Professor Ulrich Keller ausgerechnet.
Seitdem diese Zahl im Raum steht, hagelt es Proteste. Michael Frege ist über Nacht das böse Gesicht des Kapitalismus geworden, den sein Bruder Andreas, besser bekannt als „Campino“, mit seinen „Toten Hosen“ auf millionenfach verkauften Tonträgern geißelt. US-Gläubiger, vor allem Hedge-Fonds, kündigten Klagen an. Die Kanzlei ruderte zurück. „Wir hatten nie vor, 833 Millionen Euro zu verlangen“, sagte Freges Chef, Hubertus Kolster, dem Tagesspiegel am Sonntag. Man habe sich mit dem Gutachten nur einen Überblick verschaffen wollen. „Unsere Forderung wird wahrscheinlich unter 500 Millionen Euro liegen“, schätzt der geschäftsführende Partner der Frankfurter Großkanzlei, die mit über 600 Anwälten, Steuerberatern und Notaren die größte in ganz Deutschland ist. Bisher hat Frege drei Abschlagszahlungen über insgesamt 70 Millionen Euro erhalten. Was insgesamt für ihn und seine Kollegen herausspringen wird, entscheidet das Amtsgericht Frankfurt. Abgerechnet wird am Schluss des Verfahrens, das dürfte in ein bis drei Jahren der Fall sein, schätzt Kolster.
Damit wären die Deutschen schneller als die Insolvenzverwalter in den meisten anderen Ländern. Und davon gibt es reichlich. Bevor die US-Großbank Lehman Brothers am 15. September 2008 Insolvenz anmeldete, war sie mit ihren Töchtern auf der ganzen Welt tätig. Derzeit laufen über 80 Insolvenzverfahren parallel. Schon heute steht fest: Die Abwicklung der einst von den deutschen Brüdern Mendel und Maier Lehman gegründeten Bank ist das teuerste Insolvenzverfahren der Welt. Zu den Geschädigten gehören nicht nur große Investoren wie Banken, Versicherungen und Kommunen, sondern auch Kleinsparer. Allein in Deutschland hatten über 50 000 Anleger Anleihen der US-Investmentbank gekauft, die über Nacht praktisch wertlos wurden. Seitdem wird gestritten. Einige Sparer erhielten einen Teil ihres Geldes von den Kreditinstituten per Vergleich zurück, andere klagten – mal mit, mal ohne Erfolg, je nach Einzelfall.
65 Milliarden Dollar verlangen die Gläubiger.
Auch diese Lehman-Anleger können nun versuchen, Geld vom Insolvenzverwalter zurückzuholen. Allerdings nicht in Deutschland, wo Frege es nur mit Großanlegern wie der Bundesbank, dem Einlagensicherungsfonds der Banken und den Kommunen zu tun hat, sondern in den USA oder in Holland. Denn ein Großteil der in Deutschland vertriebenen Papiere wurde von der niederländischen Lehman-Niederlassung herausgegeben. In Holland ist man aber noch nicht so weit. „Es gibt noch keine Fristen für die Anmeldung der Ansprüche“, weiß Thomas Hechtfischer, Geschäftsführer der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW). Auch wie viel die Sparer zurückbekommen, ist unklar. Das sei von Papier zu Papier unterschiedlich, heißt es bei der DSW. Aus den USA kamen bereits Schecks mit einer Quote von 17 Prozent.
Dabei ist die Insolvenzmasse dort größer als erwartet. Für 6,5 Milliarden Dollar verkaufte US-Insolvenzverwalter Bryan Marsal kürzlich die Immobilientochter Archstone, zuvor hatte er bereits 435 Millionen Dollar von der Citigroup eingetrieben. Hinzu kommt: Viele Papiere in den Lehman-Depots, die wertlos schienen, haben sich erholt. Doch das alles wird nicht reichen, um die 65 Milliarden Dollar zusammenzukratzen, die die Gläubiger verlangen. Zumal allein Marsal und seine Kollegen bereits über 600 Millionen Dollar kassiert haben. Nun drohen in Deutschland ähnliche Verhältnisse. Gregor Gysi will das verhindern. „Es ist höchste Zeit, die Vergütung für Insolvenzverwalter so zu deckeln, dass sie den Leistungen entspricht“, fordert er. In der Union sieht man das anders. „Ich bin gegen eine Deckelung“, sagte Ernst Hinsken, Vorsitzender des Wirtschaftsausschusses, dem Tagesspiegel am Sonntag, „die gesetzliche Grundlage reicht aus“. Der CSU-Politiker sieht die Gefahr, dass sonst Insolvenzverwalter Großfälle nicht mehr übernehmen. Bei CMS hält man die Diskussion über das Honorar für übertrieben. „In den ersten Tagen hatte die Bank nur ein paar Hundert Millionen Euro an liquiden Mitteln, daraus haben wir in vier Jahren 15 Milliarden Euro gemacht“, betont Hubertus Kolster. Das Geld kommt von anderen Lehman-Schwestern und von Dritten. Kolster rechnet vor: Seit vier Jahren arbeiten 70 Anwälte und 30 Insolvenzspezialisten an der Sache, insgesamt seien bislang 720 000 Stunden zusammengekommen, für die Kanzlei sei das ein Aufwand von etwa 216 Millionen Euro. Doch der Einsatz habe sich gelohnt, meint der Anwalt. „Wir sind sicher, dass wir am Ende des Verfahrens mindestens 60 Prozent zahlen können, auch 80 Prozent sind möglich, vielleicht sogar noch mehr.“ Übrigens: Normal sind in Deutschland zehn Prozent – oder weniger.