Konzert gegen Rassismus: Wem gehört Chemnitz?
Für die Musiker geht es um Anstand, viele Chemnitzer aber sehen das Konzert gegen Fremdenhass als Provokation. Wer ist wirklich in der Mehrheit?
Dann wird es still. Einige Sekunden nur, aber es wirkt, weil es so selten geworden ist in Chemnitz. Einige Tausend stehen auf dem Parkplatz nahe der Johanniskirche vor der schwarzen Bühne. Sie schweigen für Daniel Hillig, jenen Tischlerlehrling, der in der Nacht zum 26. August am Rande eines Stadtfestes erstochen worden war. Mutmaßlich von einem Iraker und einem Syrer. Aber sie sind hier, um Lärm zu machen. Gegen die Neonazis, die seitdem in Chemnitz durch die Straßen marschieren.
Zwei Stunden zuvor sitzt Campino am Montagnachmittag auf einem Podium in der Stadthalle von Chemnitz. Für den Sänger der Toten Hosen ist die Sache klar: „Das, was hier stattfindet, ist kein Kampf rechts gegen links.“ Was derzeit in Chemnitz stattfinde, sei vielmehr „ein Kampf von allen Menschen mit Anstand gegen einen übergriffigen, rassistischen Mob“. Deswegen ist er an diesem Tag nach Chemnitz gekommen, deswegen tritt er am Abend vor bis zu 50.000 Zuschauern beim Benefizkonzert unter dem Motto „Wir sind mehr“ auf. Gemeinsam mit Musikern wie Kraftklub, Feine Sahne Fischfilet und Marteria.
Es ist der vorläufige Höhepunkt in einem seit Tagen andauernden Kampf um die Deutungshoheit in Chemnitz. Seit Bilder von Neonazis um die Welt gingen, die auf der Straße den Hitlergruß zeigen. Bilder von Gegendemonstranten. Bilder von Chemnitzern, die zu all dem lieber nichts sagen. Seitdem wird in der Republik wieder diskutiert, wer hier eigentlich wirklich die Meinung des Volkes vertritt.
"Zum Glück sind die nachher wieder weg"
Robin Rottloff hat diesen Kampf von Anfang an aufgenommen. Der Sprecher des Bündnisses „Chemnitz nazifrei“ hat in den vergangenen Tagen kaum geschlafen, hektisch an der Organisation des Konzerts mitgearbeitet. Er sagt, er könne nicht einschätzen, wie sich die Situation in Chemnitz entwickle, wenn Montagabend nach dem Konzert die meisten Gegenprotestler nach Hause führen. Wie dann das Kräfteverhältnis in der Stadt sei. Die Frage, die viele in Chemnitz an diesem Tag umtreibt: Gilt das Motto „Wir sind mehr“ am Dienstag auch noch?
Man muss sich vom Konzertareal nur ein paar Querstraßen weit entfernen, um Stimmen zu hören, die ahnen lassen, dass das letzte Wort darüber nicht gesprochen ist. Wo man Chemnitzer trifft, die alle von sich behaupten, nicht rechts zu sein, aber Sätze sagen wie: „Zum Glück sind die nachher wieder weg“ oder „Die haben angekündigt, heute die Gedenkstätte vom Daniel zu schänden.“ Einer verlangt, den Mitgliedern der Chemnitzer Band Kraftklub, die jetzt auftritt, das Wohnrecht zu entziehen. Zumindest dem Sänger, der sei besonders frech.
Der, Felix Brummer, gibt sich keinen Illusionen hin: „Wir sind nicht naiv, wir wissen, dass wir mit dem Konzert nicht alles verändern können“, sagt er. Er und seine Bandkollegen wohnen immer noch in ihrer Heimatstadt. Brummer hatte die Idee zu dem Konzert am vergangenen Dienstag. Innerhalb weniger Stunden trommelte er befreundete Künstler zusammen. „Manchmal ist es wichtig zu zeigen, dass man nicht alleine ist“, sagt er.
Das Gefühl, alleine gelassen zu werden, hatten zuletzt viele Menschen in Chemnitz. Nach dem Mord an Daniel Hillig demonstrierten an zwei Tagen in Folge große Gruppen von Rechtsradikalen in der Stadt, die sächsische Polizei hatte die Lage nicht unter Kontrolle. Menschen wurden durch die Straßen gejagt. Bei Zusammenstößen mit Gegendemonstranten gab es mindestens 18 Verletzte.
Am Rande pöbelt ein Mann mit Cowboyhut gegen die Konzertbesucher: Die seien doch alle scheinheilig und interessierten sich nicht für den getöteten Daniel Hillig. Die meisten gehen vorbei, ein paar versuchen, ins Gespräch zu kommen. Bringt aber nichts. „Ihr Schweine gehört alle zusammengeschlagen.“
Eine große Zahl von Menschen in Chemnitz selbst hat das Konzert abgelehnt, manche wollten es sogar komplett verhindern. Auf Facebook-Seiten von AfD-Politikern wurde diskutiert, ob man die Veranstaltung nicht durch eine anonyme Bombendrohung stoppen könnte. Der Bundestagsabgeordnete Stephan Brandner beschimpfte den Auftritt als „widerliches Linksextremistenkonzert“. Neonazigruppen riefen dazu auf, sich unter die Feiernden zu mischen und dann zu attackieren. Der Besitzer einer Pension in Bahnhofsnähe wollte ab dem Nachmittag sein Haus abschließen. „Wenn die Toten Hosen spielen, kommen viele Chaoten“, sagt er. Die wollten sicher klauen, im schlimmsten Fall randalieren.
Glückwunsch an Chemnitz für dieses friedliche und fröhliche Konzert, welches einen wirklichen, lebensbejahenden Kontrast zu den verbitterten AfDlern, Neonazis und nützlichen Mitläufern darstellt.
schreibt NutzerIn Aldermann
„Gegenwind sind wir gewohnt“, sagt Robin Rottloff vom Bündnis „Chemnitz nazifrei“. „Viele schauen weg, viele verharmlosen, da ist es doch klar, dass wir für diese Leute unerwünscht sind.“
Im Stich gelassen fühlt Rottloff sich deshalb auch von Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer, der das Problem rechter Gewalt kleinrede. Immerhin: „Die Chemnitzer CDU hat mit zu den Gegenprotesten am Samstag aufgerufen – das gab es noch nie!“
Eigentlich sollte das Konzert vor dem Marx-Monument stattfinden. Dort hatten in den vergangenen Tagen immer wieder Rechte demonstriert. Die Feier sollte dem andere Bilder entgegensetzen. Doch wegen der vielen Zuschauer haben die Veranstalter ihre Bühne einige hundert Meter entfernt aufgebaut. Am Fuße des Monuments ist stattdessen ein DJ-Pult. Andere Bilder gibt es trotzdem: tanzende Menschen, lachende Gesichter. Keine Wut.
Ein kleiner Sieg
Es gibt also gleich zwei Orte, an denen die Menschen feiern. Genau dazwischen liegt die Stelle, an der Daniel Hillig starb. In dem Meer aus Kerzen und Blumen steht nun ein größeres Holzkreuz.
Vielleicht zeigt sich nirgendwo deutlicher als hier, wo die Gräben verlaufen. 150 Leute haben sich dort versammelt. In der einen Ecke des Platzes stehen Menschen mit „Refugees Welcome“-Bannern. Ihnen gegenüber eine Gruppe Männer, dazwischen ein Schild: „An euren Händen klebt das Blut von Daniel Hillig.“ Irgendwann geht die Polizei dazwischen, bildet einen Kreis um den Tatort. Auf Nachfrage, ob hier Linke von Rechten getrennt werden, sagt ein Beamter: „Ich würde sagen, drinnen stehen die, die trauern und außen die, die was dagegen haben.“
Beim rechten Aufmarsch am vergangenen Donnerstag hatte das Bündnis „Chemnitz nazifrei“ noch auf Proteste verzichtet– aus Sicherheitsgründen. Von Linken aus der ganzen Republik seien sie dafür kritisiert worden, erzählt Konzertorganisator Rottloff. Der Verzicht sei als Kapitulation verstanden worden. „Solche Kritik lässt sich auch bequem vortragen, wenn man selbst in Berlin oder Leipzig-Connewitz sitzt.“ Heute aber ist ein kleiner Sieg für ihn. Ein Sieg für einen Tag.