„Andi, wie lange dauert das noch?“: In welchen Bereichen es der Kanzlerin beim Autogipfel zu langsam ging
Die Entscheidung über Kaufanreize wurde vertagt. Doch der Autogipfel hat andere Weichen gestellt - und ein überraschendes Ziel formuliert.
Markus Söder übernahm den Part des Schlaumeiers, der das sagt, was alle schon wissen, aber noch nicht von allen gesagt wurde. Die Autoindustrie sei für die gesamte Wirtschaft von großer Wichtigkeit, betonte der bayerische Ministerpräsident am Dienstagabend in der Videokonferenz. Und ließ dann doch die Schlussfolgerung vermissen, die man von ihm erwartet hätte: Söder wiederholte nicht die Forderung nach einer Kaufprämie für Autos mit Verbrennungsmotor, sondern reihte sich ein in die Linie der Ministerpräsidenten aus Baden-Württemberg und Niedersachsen, der Industrievertreter und Gewerkschafter, die sich vorab festgelegt hatten. Über Nachfrageimpulse wird im Spätherbst geredet, wenn der Absatz nicht anzieht.
"Die Krise beschäftigt uns länger"
Und so blieb der Autogipfel, der im Regierungsdeutsch „Spitzengespräch der Konzertierten Aktion Mobilität“ heißt, eine von Einmütigkeit geprägte Veranstaltung. „Alle waren sich einig, dass uns die Krise noch länger begleiten wird“, sagte Daimler-Betriebsratschef Michael Brecht am Mittwoch dem Tagesspiegel.
Situationsbeschreibung, Vorstellung der Modelle für Transformations- und Eigenkapitalfonds und ein bisschen Digitalisierung, also vor allem vernetztes und autonomes Fahren – und schon war die zweistündige Videokonferenz unter der Leitung der Bundeskanzlerin beendet. Anfang November hört man sich wieder. Absichtserklärungen und Beschlüsse gab es aber auch. Deutschland soll eine Führungsrolle beim autonomen Fahren einnehmen, bis 2022 hätte man gerne Fahrzeuge mit autonomen Funktionen „im Regelbetrieb“. Die Industrie intensiviere dazu ihre Anstrengungen, damit „auch das Vertrauen in die neue Technologie in die Breite gebracht werden kann und der Nutzen gerade auch im ländlichen Raum frühzeitig demonstriert werden kann“, heißt es in einer Mitteilung der Bundesregierung. Das überrascht, denn in der Rezession kürzt die Industrie vor allem Investitionen in das in ferner Zukunft liegende autonome Fahren.
Schaeffler will 4400 Stellen streichen
Eine Frage von Wochen oder Monaten sind dagegen der Stellenabbau und mögliche Pleiten unter den Zulieferern. So hat Schaeffler am Mittwoch angekündigt, bis 2022 rund 4400 Stellen zu streichen, den Großteil davon in Deutschland. Nun soll bis zur nächsten Videokonferenz eine Arbeitsgruppe an zwei Instrumenten arbeiten, die sowohl IG Metall als auch der Verband der Autoindustrie befürworten. Das ist zum einen der mit privatem Kapital ausgestattete Transformationsfonds, der sich an Branchenunternehmen beteiligt, um ihnen den Strukturwandel zu erleichtern. Als staatlicher Bürge kommt hier die KfW in Betracht.
Zwei Milliarden für regionale Cluster
Zum anderen gibt es die von den Industriegewerkschaften initiierte Best Owner Group, die sich vorrangig an schwächelnde Zulieferer richtet. Als Kapitalgeber kommen hier auch große Zulieferer oder die Autohersteller in Betracht, die über diesen Weg einen Beitrag leisten zur Stabilisierung der Liefer- und Wertschöpfungsketten. Dazu sollen auch die regionalen Transformationscluster dienen, für deren Förderung im Konjunkturpaket gut zwei Milliarden Euro bereitliegen.
Industrie- und Arbeitnehmervertreter sind sich einig in der Sorge mit den Ministerpräsidenten der Autoländer Bayern, Baden-Württemberg und Niedersachsen, dass die über Jahrzehnte entstandenen Cluster die Coronakrise plus Transformation zur Elektromobilität nicht unbeschadet überstehen könnten. Mehrere Branchenvertreter äußerte am Dienstagabend die Befürchtung, dass es spätestens Mitte nächsten Jahres zu einer Pleitewelle kommen könnte. „Einigen steht das Wasser bis zum Hals“, sagte ein Teilnehmer. „Es darf keinen Wettbewerb geben nach dem Motto: Wer schießt die meisten Leute raus“, meinte Daimler-Betriebsratschef Brecht im Gespräch mit dem Tagesspiegel. „Wir müssen die Coronakrise und die Transformation meistern, ohne dass die Menschen Angst haben.“
Standardisierte Bezahlung stockt
Der Aufbau eines flächendeckenden Ladenetzes für E-Autos wurde ebenso angesprochen wie ein standardisiertes Bezahlsystem. „Andi, wie lange dauert das noch?“, fragte die Bundeskanzlerin den Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU), der bei dem Thema ähnlich langsam voran kommt wie Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) bei der staatlichen Flankierung der Transformation. Bereits Anfang des Jahres hatten Autoindustrie, IG Metall und der Arbeitgeberverband Gesamtmetall in einem gemeinsamen Papier die Relevanz „regionaler Transformationspläne zum Erhalt industrieller Kerne“ betont. Dann kam Corona. Und das Konjunkturpaket, in dem nun Mittel dafür vorgesehen sind.
SPD-Chef Norbert Walter-Borjans kritisierte Altmaier am Mittwoch, kein Konzept zu für die Verwendung der zwei Milliarden Euro zu haben. „Altmaier muss die Hersteller einbeziehen, vor allem auf die Zulieferer fokussiert sein und da, wo Steuergeld eingesetzt werden soll, dem Spurwechsel in die Zukunft dienen“, sagte Walter-Borjans. Von Steuerzahlern finanzierte Preisrabatte auf Verbrenner dienten nicht dazu, die Branche zukunftsfähig zu machen, betonte der SPD-Chef. Beim Schnüren des Konjunkturpakets hatten er und seine Co-Vorsitzenden Saskia Esken eine Kaufprämie auch für moderne Verbrenner verhindert. Zum Ärger der IG Metall und des niedersächsischen Ministerpräsidenten Stephan Weil (SPD), der ebenso wie seine Kollegen Söder (CSU) und Winfried Kretschmann (Grüne) breit angelegte Kaufprämien gegen die Rezession befürwortet.
„Wir sind besonders betroffen, gefühlt hängt hier jeder zweite Arbeitsplatz am Auto“, sagt Daimler-Betriebsrat Brecht. Auch im wohlhabenden Baden-Württemberg sei der Transformationsfonds wichtig „für Unternehmen, die gesund sind, aber derzeit kaum noch Kapital bekommen für die erforderlichen Investitionen“. Deshalb habe es auch bei diesem Thema „große Einigkeit“ gegeben.
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