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Ohne Staatshilfe dürfte den Lufthansa-Fliegern das Abheben bald schwer fallen.
© REUTERS

Milliardenhilfe als „wilde Verstaatlichungsfantasie“?: In diesen Tagen entscheidet sich das Schicksal der Lufthansa

Die Kranich-Rettung rückt näher. Schon streiten Politiker über ihren zukünftigen Einfluss. Und die Konkurrenz tobt angesichts der geplanten Staatshilfe.

Michael O’Leary bringt sich schon in Stellung. Der für sein freidrehendes Mundwerk bekannte Vorstandschef der Billigairline Ryanair schießt seit Tagen gegen die Lufthansa. Beide Konzerne kämpfen seit Jahren um die Vorherrschaft am Himmel in Europa. Dass Deutschland seine Nationalairline in der Coronakrise mit Staatshilfen retten will, lässt den Manager aufdrehen.

Als „Crack-Kokain-Junkie“, der nicht genug kriegen könne, beschimpfte O’Leary die Lufthansa im britischen Fernsehen. Die bis zu zehn Milliarden Euro an Krediten und anderen Hilfen für den Kranich-Konzern, über die spekuliert wird, hält er für zu hoch. Nach der Krise würden die Deutschen gestärkt „herumlaufen und alle anderen aufkaufen“, so seine Sorge.

Tatsächlich geht es erst einmal darum, dass die mehr als 700 geparkten Flugzeuge der Lufthansa überhaupt wieder abheben können und das Traditionsunternehmen den Corona-Stillstand im Luftverkehr überlebt. Eine Million Euro verbrennt der Konzern aktuell nach eigenen Angaben – pro Stunde. Ohne Einnahmen rinnt Konzernchef Carsten Spohr das Geld im Rekordtempo durch die Finger, weshalb ohne Staatshilfen das sichere Ende droht.

Ein laut „Bild“ und anderen Medien für diese Woche angesetztes „Spitzengespräch“ mit Kanzlerin Angela Merkel (CDU), Finanzminister Olaf Scholz (SPD), Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) und Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) ist nach Tagesspiegel-Informationen aus Regierungskreisen zwar nicht geplant. Doch hinter den Kulissen beginnt tatsächlich die finale Phase der Verhandlungen, in die sich nun auch Merkel einschaltet.

Grundsatzdiskussion um Staatsbeteiligungen

„Flughäfen, Flugzeugbauer, Airlines – für Deutschland müssen wir stützen und schützen“, sagte Scheuer am Wochenende der „Welt“ ohne über den Stand der Verhandlungen zu informieren. Auch die Lufthansa schweigt zu Details.

„Wir befinden uns mit den Regierungen unserer Heimatländer Deutschland, Schweiz, Österreich, und Belgien in intensiven und konstruktiven Gesprächen über Finanzierungsinstrumente, um kurzfristig eine nachhaltige Sicherung der Solvenz zu erreichen“, sagte eine Lufthansa-Sprecherin am Sonntag dem Tagesspiegel. Zum Kranich-Konzern gehören auch die Fluglinien Swiss, Austrian und Brussels Airlines. 

Außer Kreditpaketen in Milliardenhöhe von den vier Ländern steht auch eine stille oder weniger stille Beteiligung des Staates an der Airline im Raum. In Österreich wird darüber offen diskutiert, um das Drehkreuz in Wien zu schützen, aber auch in Deutschland, dem mit Abstand größten Geldgeber.

Das weckt bereits Begehrlichkeiten in der Politik und sorgt für Streit in der Koalition und eine Grundsatzdiskussion über die Rolle der Staats in der Wirtschaft in der Coronakrise.

„Wenn Unternehmen wie Lufthansa aus Steuergeldern Staatshilfen in Milliardenhöhe bekommen, müssen auch Mitspracherechte für den Bund gewährleistet sein“, forderte SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich in der „Bild“. „Das ist schon aus Verantwortung für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter unerlässlich.“ Eine stille Beteiligung lehne er deshalb ab, was die Union kontert.

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„Der Staat ist nicht der bessere Unternehmer. Deshalb wäre ein Eingriff in die Unternehmensführung falsch“, sagte der CSU-Wirtschaftsexperte Hans Michelbach der Nachrichtenagentur Reuters am Sonntag. „Ich bin der Auffassung, dass eine stille Beteiligung bei einem milliardenschweren Hilfspaket die bessere Lösung ist.“

Schlechtes Beispiel Commerzbank

Ein späterer Ausstieg werde „durch eine Mitwirkung an der Unternehmensführung“ nur unnötig erschwert. Michelbach verwies auch auf die Erfahrungen mit der Commerzbank, bei der sich der Staat eigentlich längst vollständig zurückgezogen haben wollte, was aber auch ein Jahrzehnt nach der Finanzkrise noch nicht geschehen sei. Auch der stellvertretende CDU/CSU-Fraktionschef Carsten Linnemann wies den SPD-Vorschlag zurück.

„Sollten Politiker Einfluss auf unternehmerische Entscheidungen nehmen, dann muss das sehr gut begründet werden. Ich habe bislang noch von keiner solchen Begründung gehört“, sagte Linnemann dem „Handelsblatt“. „Auch bei einer stillen Beteiligung muss die Lufthansa sich an die Regeln des Wirtschaftsstabilisierungsfonds (WSF) halten, etwa bei der Auszahlung von Dividenden", so Linnemann. „Um die zu untersagen braucht der Staat keinen Sitz im Aufsichtsrat.“

Während die FDP-Fraktionsvize Christian Dürr der SPD „wilde Verstaatlichungsfantasien“ vorwarf, dem „die Bundeskanzlerin einen Riegel vorschieben“ müsse, bekommen die Sozialdemokraten Unterstützung von der Linkspartei. Eine stille Beteiligung würde bedeuten, „der Staat schiebt die Kohle rüber, hat aber nichts zu sagen“, sagte Linken-Fraktionsvize Fabio De Masi. Nach der Corona-Pandemie werde ein „unternehmerischer Staat“ gebraucht, „der eingreift und die Interessen von Beschäftigten und Allgemeinheit schützt“.

10.000 Jobs weniger bei der Lufthansa

Auch die Grünen sprechen sich gegen eine „passive Zuschauerrolle“ der Regierung aus. „Wenn der Bund Lufthansa hilft, braucht er ein aktives Mitspracherecht und muss Einfluss auf die Zukunftsausrichtung, insbesondere auf die Strategie zur Klimaneutralität und die soziale Ausrichtung nehmen“, erklärten die Wirtschaftsexpertin Katharina Dröge und der Haushaltsexperte Sven-Christian Kindler.

Während die Politik schon von allen Seiten an der Lufthansa zerrt, bereitete Konzernchef Spohr die 135.000 Mitarbeiter in den vergangenen Tagen auf schwierige Jahre vor. Nach dem Corona-Shutdown werde der Kranich mit gestutzten Flügeln dastehen, so die Botschaft. Um 100 Flugzeuge werden die Flotte schrumpfen müssen, was auch 10.000 Stellen weniger bedeute.

Die dann hohe Schuldenlast werde das Unternehmen belasten. Allein eine Milliarde Euro pro Jahr werde es kosten, die Kredite zurückzahlen. Das entspricht rund der Hälfte des Ebit-Gewinns aus dem vergangenen Jahr. Die Airlines seien als erste von der Coronakrise getroffen worden, und würden sie als letzte hinter sich lassen, glaubt Spohr. Bis 2023 werde der Neuaufbau des Geschäfts mindestens dauern.

Das Schicksal teilt die Lufthansa mit den meisten Airlines. Ob der europäische Nachbar Air France-KLM, die US-Rivalen American Airlines und Delta oder eigentlich üppig subventionierte Staatsairlines wie Emirates – ohne Hilfen überstehen nur wenige Fluglinien das Grounding. Wo sie ihnen verwehrt wird, bleibt oft nur die Pleite. South African Airways etwa ist nach 86 Jahren nun bereits Geschichte. 

Felix Wadewitz

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