Konferenz Global Solutions: In Berlin suchen kluge Köpfe nach Lösungen für die Welt
Vom Wachstum zum Wohlstand für alle: In Berlin diskutieren heute und morgen Experten beim Gipfel der Think Tanks über Antworten auf die Probleme der Welt.
Nobelpreisträger und Leiter renommierter Forschungsinstitute kommen an diesem Montag und Dienstag in Berlin zusammen, um den G 20 Vorschläge zur Lösung der drängendsten Probleme der Erde zu machen. Die wissenschaftliche Vorbereitung gehört zur Strategie der Regierung für den G-20-Gipfel, zu dem sich die Staats- und Regierungschefs der 20 größten Volkswirtschaften Anfang Juli in Hamburg treffen.
Der Vorteil des Ansatzes: Wissenschaftler können unabhängig von Tagesgeschehen, parteipolitischer Opportunität und machtpolitischem Druck Vorschläge entwickeln. Sie zielen auf längerfristige und nachhaltigere Therapien, betont Dennis Snower, Präsident des Instituts für Weltwirtschaft (IfW) in Kiel. Gemeinsam mit Dirk Messner, Direktor des Deutschen Instituts für Entwicklungspolitik (DIE), leitet er diese „T 20“ genannte Konferenz der Think Tanks. Der Tagesspiegel zählt zu den Mitorganisatoren.
Vier Nobelpreisträger unter den Gästen
Schwerpunkte der T 20 sind Themen wie Nachhaltige Entwicklung, Stabilität der Finanzmärkte, Migration, Digitalisierung, Klimawandel sowie die Bekämpfung von Armut und Hunger. Vier Nobelpreisträger sind unter den Gästen in Berlin: George Akerlof (Georgetown University, Washington), Edmund Phelps, Michael Spence und Joseph Stiglitz (alle Columbia University, New York).
Die G 20 können im Idealfall viel Gutes bewirken. Das haben sie 2008 bewiesen, als sie sich unter dem Eindruck der globalen Finanzkrise auf Notmaßnahmen zur Stabilisierung der Finanzsysteme verständigten. Der Zusammenbruch des Bankensystems und eine weltweite Depression wurden vermieden.
Kein Wachstum ohne Nachhaltigkeit
Nun sollen die G 20 ihr Verständnis von ihrer Aufgabe weiter entwickeln, argumentieren Snower und seine Mitstreiter. Die Zielsetzung beschränke sich nicht mehr auf ökonomische Stabilisierung und Wirtschaftswachstum. Wachstum muss nachhaltigen Nutzen haben. Wenn sich die ökonomische und die soziale Entwicklung in Gesellschaften voneinander abkoppeln, schafft das Probleme. Diese Auseinanderentwicklung sei inzwischen Realität in vielen Staaten, analysiert Snower. Die Summe der Realeinkommen in diesen Volkswirtschaften steige, sie würde aber zunehmend ungleich verteilt. Die Ungleichheit innerhalb einer Volkswirtschaft sei vielerorts zu einem größeren Problem geworden als die Ungleichheit zwischen den einzelnen Ländern. Als treibende Kräfte sieht der Ökonom die Wirkungen der Globalisierung, des technischen Fortschritts und die Abhängigkeit von Finanzströmen.
Die Konferenz hier ab 9 Uhr im Livestream:
Das führe zu politischem Unmut in vielen Schichten der Gesellschaft. Snower verweist auf die britische Volksabstimmung über den Ausstieg aus der EU und die US-Präsidentschaftswahl, aber auch auf Unruhen und Protestbewegungen in Schwellenländern sowie die Migrationsströme.
"Die Erde ist in sozialen Fragen fragmentiert"
Er und seine T-20-Mitstreiter ziehen daraus den Schluss, dass die G 20 sich nicht mehr auf die „enge Aufgabe“ beschränken können, das Wirtschaftswachstum und die Stabilität der Finanzmärkte zu fördern. Wenn sie die sozialen Belange außer Acht lassen, riskierten sie, ihre Legitimität zu unterminieren. Zu den neuen Aufgaben der G 20 werde es gehören, ein globales soziales Wohlergehen zu unterstützen – in der Kurzformel: „from growth to inclusive growth“ (vom reinen Wirtschaftswachstum zu einem Wachstum, das allen zugute kommt).
In letzter Konsequenz fordern die T 20 die G 20 dazu auf, eine gemeinsame globale Vision zu entwickeln: Wohlstand, nachhaltig geschützte Umwelt, soziale Inklusion und Widerstandskraft gegen plötzliche Schocks für die Systeme. Ohne eine gemeinsame Vision werde es keine nachhaltigen Lösungen geben, denn jedes Land sei stark davon abhängig, was in anderen Ländern geschehe. Die Erde sei heute in Wirtschaft, Umwelt und Technologie weitgehend integriert, jedoch in sozialen und politischen Fragen zunehmend fragmentiert.
Was fehlt? Die politische Macht
Zu dieser Herausforderung gehört es, neu zu definieren, was in den Bereich des Privaten und des Nationalen falle und was zu den globalen gemeinsamen Gütern gehöre, auf die alle Erdbewohner Anspruch haben. Die T-20-Vordenker rechnen die Finanzsysteme, das Klima, die Artenvielfalt, die Wasser- und Landreserven zu den globalen Gemeinschaftsgütern. Sie zu schützen und klug zu managen, sei nicht nur eine Gerechtigkeitsfrage, sondern eine Bedingung für Frieden und Sicherheit. Um dieses Ziel zu erreichen, sollten die G 20 einerseits in technische und soziale Innovation investieren und andererseits eine neue Kultur globaler Kooperation und Aktion entwickeln. Sie müssten sich als eine Familie der Nationen begreifen. Diese Art des Herangehens solle die nationalen und lokalen Instanzen nicht ersetzen, sondern komplementär an deren Seite treten.
Der Ansatz, Wissenschaftler mit der Identifizierung der drängendsten Probleme und Lösungsvorschlägen zu beauftragen, hat freilich eine Schattenseite – nämlich sobald es um die Realisierung geht. Sie haben keine politische Gestaltungsmacht. Sie sind darauf angewiesen, dass die Staats- und Regierungschefs ihre Vorschläge übernehmen. Die zielen jedoch in letzter Konsequenz auf Umverteilung innerhalb der nationalen Gesellschaften. Da wird es Widerstände geben, nicht nur aus ökonomischen, sondern auch aus politischen und kulturellen Gründen.
Religion und Frauen bleiben Streitthemen
Die G 20 sind von ihrem Staats- und Gesellschaftsverständnis her heterogen. Westliche Demokratien gehören dazu, aber auch autoritäre Regime und absolute Monarchien. Liberale Vorstellungen von Teilhabe, Transparenz und Gleichberechtigung mischen sich mit konservativen Ansichten über die Rolle von Religion oder Frauen. Umso schwerer ist es, einen Konsens über folgenreiche Eingriffe in die ökonomischen, politischen und sozialen Systeme zu finden.
Die T 20 sehen diese Hindernisse. Angesichts von Kriegen und Terror könne die Forderung nach einer gemeinsamen globalen Vision naiv erscheinen, gestehen Teilnehmer zu. Zugleich sei dieser Ansatz aber der einzig erfolgversprechende, um Frieden und Wohlstand für die ganze Menschheit näher zu kommen.
Dabei stellt sich auch die Frage der politischen Teilhabe in allen Staaten. Mit Anordnungen von oben werde sich das Ziel nicht erreichen lassen. Die Regierungen müssten ihre Bürger stärker einbeziehen. Die Globalisierung und der Umgang mit ihr sollen die Menschen in den Mittelpunkt stellen und sie dazu befähigen, mit den Folgen der Globalisierung umzugehen.
Die T-20-Tagung wird von einem Stipendienprogramm flankiert. Eine Jury hat im April aus über 1300 Bewerbungen 100 „Young Global Changers“ aus 100 Ländern ausgewählt. Diese Nachwuchskräfte haben ihr eigenes Programm in Berlin, werden aber auch an dem zweitägigen Gipfel in der ESMT-Hochschule am Schlossplatz teilnehmen.
Christoph von Marschall