Klöckners Kommission für Landwirtschaft: In 20 Jahren noch begeistert Bauer – wie soll das funktionieren?
Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner beruft eine Regierungskommission zur Agrarpolitik der Zukunft ein. Leicht wird deren Arbeit nicht.
Es wie ist im Märchen der Gebrüder Grimm vom Wettlauf zwischen dem Hasen und dem Igel. Egal, wo der Hase auftaucht, der Igel ist schon da. Das ist eine Erfahrung, die auch Julia Klöckner machen muss. Die Bundesagrarministerin ist so etwas wie der Hase der Agrarpolitik.
Wo immer die Ministerin auftritt, sind die Demonstranten schon versammelt und zum Protest bereit – zu Land, zu Wasser, selbst in der Luft.
Den schönen Familienausflug mit ihren EU-Kollegen haben Umweltaktivisten der Ministerin beim informellen Agrarministerrat in Koblenz vor einer Woche verdorben. Während die Delegation gemütlich auf der Mosel schippern wollte, jagte Greenpeace mit kleinen Booten und großen Transparenten („kein Geld für gestern“) am Ausflugsdampfer vorbei.
Beim Arbeitstreffen tags drauf ließ Greenpeace Gleitschirmflieger mit Protestbannern starten, der Bund für Natur- und Umweltschutz zerdepperte demonstrativ 1500 Weinflaschen, um gegen den „Scherbenhaufen“ Agrarpolitik zu protestieren.
Doch der Igel hat noch ein anderes, oft noch ein viel wütenderes Gesicht. Wie Umweltschützer gehen nämlich auch die Bauern inzwischen gern auf die Straße, mit wachsender Radikalität. In Koblenz werden als „Henker der Landwirtschaft“ nicht nur Klöckner und Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), sondern auch der Präsident des Deutschen Bauernverbands, Joachim Rukwied, gebrandmarkt.
Als dann Landwirte auch noch Fahnen der rechtspopulistischen Landvolkbewegung mit Pflug und Schwert schwenken, wird es selbst dem Bauernpräsidenten zu bunt. „Wir distanzieren uns von jeder Radikalisierung“, betont er.
Die Stimmung ist aufgeheizt. Unter den Demonstranten seien viele „radikale Kräfte“ bedauert Klöckner. Eine gemeinsame Linie in der Agrarpolitik zu finden, wird immer schwerer. Doch nichts weniger als das sollen die Vertreter von Bauern-, Umwelt-, Wirtschafts- und Verbraucherverbänden schaffen, die gemeinsam mit Wissenschaftlern und Praktikern die „Zukunftskommission Landwirtschaft“ bilden. 31 Mitglieder hat die Runde, die sich an diesem Montag erstmals in Berlin bei der Bundeskanzlerin trifft.
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Ihr Auftrag: Sie soll praxistaugliche Empfehlungen für eine produktive und ressourcenschonende Landwirtschaft erarbeiten, heißt es im Agrarministerium. Die Experten sollen aber auch ein übergreifendes gemeinsames Verständnis entwickeln, wie mehr Tierwohl, Biodiversität, Klima- und Umweltschutz mit den fundamentalen Aufgaben der Erntesicherung und der ökonomischen Tragfähigkeit zusammengebracht werden können. Fehlt nur noch der Weltfrieden.
Nobelpreise sind schon für weniger anspruchsvolle Aufgaben verliehen worden. Dem Kommissionsvorsitzenden Peter Strohschneider hat die Bundesregierung erschwerend noch einen engen Zeitplan vorgeschrieben. Der frühere Präsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft soll nämlich bereits im Herbst einen Zwischenbericht vorlegen und im Frühsommer 2021 – rechtzeitig zur Bundestagswahl im darauf folgenden Herbst – den Abschlussbericht präsentieren.
Renate Künast: durchsichtiges Wahlkampfmanöver
Ex-Agrarministerin Renate Künast hält das für ein durchsichtiges Manöver. Dass Klöckner zum Ende der Wahlperiode eine Zukunftskommission Landwirtschaft einsetzt, von deren Vorschlägen in dieser Periode gar nichts mehr umgesetzt werden könne, ist nach Meinung der Grünen-Politikerin kein Zufall. „Ein Schelm, wer Böses dabei denkt“, sagte Künast dem Tagesspiegel. „Zum Beispiel, dass sie dies zu Wahlkampfzwecken gebrauchen oder missbrauchen möchte“.
Doch Klöckner versichert, dass es ihr um eine „gute Zukunft“ für die Landwirtschaft geht. Damit sich die junge Generation „auch noch in zwanzig oder fünfzig Jahren für die Arbeit auf dem Acker und im Stall begeistert“, will die Ministerin ihnen Planungssicherheit und klare Perspektiven geben. Zugleich will sie bei den Verbrauchern wieder „mehr Wertschätzung und Anerkennung“ für die Leistungen der Landwirtschaft erreichen. „Damit es zu einem Ausgleich der Interessen kommt, müssen sich Landwirtschaft und Gesellschaft respektvoll begegnen“, sagte Klöckner dem Tagesspiegel.
Es prallen unterschiedliche Interessen aufeinander
Doch die respektvolle Begegnung wird umso komplizierter, je unterschiedlicher die Interessen sind – das zeigt sich auch in der neuen Kommission. So kämpfen Umweltschützer für weniger Pestizide und mehr Insektenschutz auf dem Feld, Tierschützer wollen schärfere gesetzlichen Vorgaben für die Tierhaltung, während die Landwirte darauf pochen, dass Klima- und Tierschutz ihren Preis haben. Doch höhere Preise scheitern nicht selten am Einzelhandel, der ebenfalls in der Zukunftskommission vertreten ist.
„Die Kommission sollte sich auch mit Zielkonflikten auseinandersetzen und Vorschläge für deren Auflösung erarbeiten“, heißt es daher beim Deutschen Bauernverband. Die Freien Bauern, die nicht mit am Tisch sitzen, hoffen auf eine Stärkung der Familienbetriebe und eine Zerschlagung der aus ihrer Sicht zunehmenden monopolartigen Strukturen.
Welche Rolle die Agrarsubventionen spielen
Tatsächlich geben immer mehr, vor allem kleine Betriebe auf. Zwischen 2005 und 2016 mussten in der Europäischen Union über vier Millionen Bauernhöfe (29 Prozent) ihre Tore schließen, vor allem in Ostdeutschland kaufen sich zunehmend branchenfremde Investoren ein. Unterstützt wird das durch die EU-Subventionspolitik, die Inhaber großer Flächen begünstigt. Zwar wird über die Agrarförderung in Brüssel verhandelt, die Zukunftskommission wird dieses Thema aber nicht aussparen können. Welche Art von Landwirtschaft in welcher Höhe finanziell unterstützt wird, beeinflusst auch die Arbeit der Kommission.
Deutschland bekommt 6,35 Milliarden Euro im Jahr
EU-weit summieren sich die Agrarsubventionen auf stolze 59 Milliarden Euro im Jahr. Deutschland hat davon im vergangenen Jahr 6,35 Milliarden Euro erhalten. Die Empfänger: landwirtschaftliche Betriebe, Agrarkonzerne – und Behörden. Tatsächlich sitzt der größte Zuwendungsempfänger in Potsdam. Das Landesamt für Umwelt Brandenburg hat 2019 rund 20 Millionen Euro bekommen – für den Gewässer- und Hochwasserschutz, Umweltpflege und die Forstwirtschaft. Mit dem Geld wurden etwa zahlreiche Deiche gebaut, heißt es im Agrarministerium in Potsdam.
Wie sich die Subventionen verteilen
Die EU-Gelder verteilen sich grundsätzlich auf zwei Säulen. In der ersten Säule sind die Direktzahlungen an agrarwirtschaftliche Betriebe, diese machen rund 40 Prozent ihrer Einnahmen aus.
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Das Prinzip: Je mehr Flächen ein Betrieb hat, desto mehr Geld gibt es – auch wenn in Deutschland kleine und mittlere Höfe mit einer stärkeren Förderung der ersten Hektare unterstützt werden. Ein Hof mit 50 Hektar bekommt 14.000 Euro im Jahr, ein Großbetrieb von 5000 Hektar erhält 1,4 Millionen Euro. Die Mittel der zweiten Säule dienen der Entwicklung des ländlichen Raums und sollen Umwelt- und Klimaanstrengungen belohnen.
Die aktuelle Förderung läuft aus. Derzeit diskutieren die EU-Agrarminister über die Agrarförderung der Jahre 2023 bis 2027. Ein Ziel ist klar: Die Landwirtschaft soll grüner werden.
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