Wohnungsbau: Zündendes Konzept
Ein ehemaliges Tanklager am Spreeufer in Charlottenburg soll Standort für 1100 neue Mietwohnungen werden. Der traditionsreiche Werkbund hat dafür 33 Architektenbüros versammelt.
Noch stehen die ehrgeizigen Pläne des Berliner Werkbundes für eine kleine Stadt am Ufer der Spree in Charlottenburg auf dem Papier. Doch schon bald, auf einer Klausurtagung Anfang Juli in Amsterdam, sollen in Architektengesprächen die Entwürfe für die 38 Wohnhäuser ausgewählt werden. Das Verfahren ist so ungewöhnlich wie das Vorhaben selbst. Auf dem Gelände eines Tanklagers soll gleich neben dem Heizkraftwerk von Vattenfall eine Musterstadt mit rund 1100 Mietwohnungen entstehen.
Der traditionsreiche Werkbund, im Jahre 1907 als Zusammenschluss von Künstlern, Architekten und Unternehmern gegründet, peilt mit dem Projekt nicht mehr und nicht weniger als eine Neubestimmung der Stadt im 21. Jahrhundert an. „Wir wollen einen Impuls geben für eine zeitgemäße Urbanität“, sagt Werkbund-Projektleiterin Corinna Scheller.
Erste stadträumliche Skizzen sind angefertigt, 33 Architektenbüros, darunter so illustre Namen wie Kleihues, Dudler, Tchoban und Patzschke, haben auf dem fast drei Hektar großen Gelände Baulose für die 38 Häuser erhalten. In bisher schon sechs großen Gesprächsrunden wurde seit Herbst 2015 fachkundig über die Stadt der Zukunft beraten.
Aber zunächst sind vor Ort einige Hausaufgaben zu erledigen. So muss für das Areal zwischen Quedlinburger Straße im Norden und der Uferstraße Am Spreebord im Süden ein Bebauungsplan aufgestellt werden. Die Arbeit daran hat noch nicht begonnen. Baustadtrat Marc Schulte (SPD): „Der Einstieg in das Verfahren ist davon abhängig, dass eine Vereinbarkeit mit dem benachbarten Kraftwerksstandort hergestellt werden kann.“ Zwar liefen schon Immissionsuntersuchungen, aber Ergebnisse lägen noch nicht vor.
Ungewöhnlich ist der Verzicht auf einen Architektenwettbewerb
Der Betreiber des Heizkraftwerkes am Spreeufer, das Unternehmen Vattenfall, sieht allerdings keinerlei Probleme mit der Nachbarschaft zur geplanten Werkbundstadt. Man habe eine Betriebsgenehmigung und halte sich an „rechtlich bindende Emissionsvorschriften“, erklärt Sprecher Olaf Weidner auf Anfrage. „Wir werden am Standort Charlottenburg auch künftig umweltfreundliche Wärme in guter Nachbarschaft für die Nachbarn produzieren.“
Bedenken wegen der Nähe zur geplanten Werkbundstadt seien unbegründet. Weidner verweist auf den Kraftwerksstandort Mitte an der Jannowitzbrücke: „Dort beginnt die Wohnbebauung direkt am Heizkraftwerk. Das Zusammenleben funktioniert seit 20 Jahren wunderbar.“ Vattenfall freue sich auf die neuen Nachbarn in Charlottenburg.
Auf dem vorgesehenen Baugrund müssen aber erst noch die Tanks geleert und abgeräumt werden. Dies soll, so Stadtrat Schulte, bis zum nächsten Jahr geschehen. Im Bereich der Füllstation wurde eine „kleinere Altlast“ festgestellt. Die wird der Eigentümer des Grundstücks, die Hamburger Projektentwicklungsgesellschaft Plus Bau, beseitigen. Das Unternehmen ist ganz offiziell Partner der Werkbund-Planungen. Geschäftsführer Michael Lange: „Wir sind als Plus Bau Schlüsselinitiator für eine langfristige Veränderung im Quartier und wollen einen attraktiven Stadtteil mit Wohnungen auch für breite Schichten der Bevölkerung schaffen.“
Ungewöhnlich ist der Verzicht auf einen Architektenwettbewerb bei einem Vorhaben dieser Größe. Paul Kahlfeldt, Vorsitzender des Deutschen Werkbundes und Mitinitiator des Berliner Projekts: „Mit dem Procedere eines gemeinsam erarbeiteten städtebaulichen Entwurfs und der Auswahl der Entwürfe für die einzelnen Häuser ohne eine herkömmliche Juryentscheidung, sondern durch die beteiligten Architekten selbst, wollten wir bewusst einen anderen Weg gehen.“
Dieses ungewöhnliche Verfahren lässt aufhorchen. Dabei sind jeweils drei Büros mit der Planung für eine Parzelle befasst. Auf der Klausurtagung vom 8. bis 10. Juli in Amsterdam wählen alle beteiligten Architekten gemeinsam mit dem Werkbund und dem Grundstückseigentümer dann den jeweils besten Entwurf aus. Im bisherigen Verlauf des Verfahrens sei es „sehr harmonisch“ zugegangen, ist aus dem Teilnehmerkreis zu hören.
Die Fassaden sollen sich in die backsteingeprägte Umgebung einfügen
Entgegen dem landläufigen Neubautrend zu hochpreisigem Wohneigentum in der Innenstadt setzen die Werkbund-Macher auf den für Berlin traditionsreichen Mietwohnungsbau. Sie wollen sich auch am „Berliner Modell der kooperativen Baulandentwicklung“ beteiligen. Statt der vom Senat gewünschten 25 Prozent bezahlbarer Neubauwohnungen mit Einstiegskaltmieten von 6,50 Euro pro Quadratmeter bieten sie sogar 30 Prozent an. Allerdings sollen auch mehrere Hochhäuser mit bis zu 16 Stockwerken entstehen, um dadurch urbane Dichte herzustellen, wie es heißt.
Für die Werkbundstadt wird, ähnlich wie einst in den Gründerzeitquartieren, eine gemischte Bauherrenstruktur anvisiert. Es könnten sich auch kommunale Wohnungsbaugesellschaften beteiligen. Mit der Degewo sei man in Gesprächen, teilt die Projektleitung mit. Ob das Konzept aber Raum lässt für große Gesellschaften, bleibt fraglich. Denn die Planer haben anderes im Sinn: „Die Eigentümer der Parzellen sollen möglichst auch private Bauherren sein, die ihre Mietshäuser verwalten und im Idealfall auch selbst dort wohnen.“
Die Fassaden der Werkbundhäuser, so die Projektidee, fügen sich in die backsteingeprägte Umgebung am Charlottenburger Spreeufer ein, ein in Berlin traditionsreicher Baustoff. Für die gemeinschaftliche Auswahl der einzelnen Entwürfe wurde deshalb nicht zufällig die holländische Metropole ausgewählt. „Amsterdam ist eine wunderbare Stadt des Ziegels, historisch und zeitgenössisch“, sagt Corinna Scheller. Das passe zur Einstimmung auf die Materialauswahl der künftigen Fassaden.
Selbst wenn es in Amsterdam gelingt, die Entwürfe für immerhin 38 Häuser festzulegen, bleibt die Werkbundstadt immer noch ein gutes Stück Zukunftsmusik. „Für das notwendige Bebauungsplanverfahren wird eine Dauer von zwei Jahren angesetzt“, sagt Stadtrat Schulte. Das Bauen selbst könnte drei weitere Jahre beanspruchen. Aus heutiger Sicht liegt die Kostenschätzung bei rund 300 Millionen Euro. Doch wie man in Berlin von vielen Beispielen weiß, wird es am Ende meistens teurer.
Nahe am geplanten Baufeld gibt es jedenfalls schon eine weiteres zündendes Projekt: Der als Mierendorff-Insel bekannte Kiez hat die erste Runde des Wettbewerbs Zukunftsstadt des Bundesministeriums für Bildung und Forschung erreicht