Architektur als gebaute Kultur: "Zuerst kommen die Künstler, dann die Projektentwickler"
Die Stadt als Labor: Architekten und Berliner Politiker diskutieren über die urbane Zukunft. Tegel soll wie Adlershof werden - nur viel größer
Berlin ist nicht die einzige Stadt, in der man sich Gedanken darüber macht, wie sie in Zukunft aussehen wird. Auch Stadtplaner, Projektentwickler, Architekten, Investoren und Unternehmer in Paris, Lissabon, London oder Tampere sehen sich verschiedenen Herausforderungen gegenüber. Der demografische Wandel ist nur eine davon.
Es geht auch darum zu verstehen, wie Menschen im digitalen Zeitalter ihre Stadt nutzen, wie und wo sie wohnen und arbeiten, welche Transportmittel sie wann und wie nutzen, warum und in welcher Form Vielfalt zu neuen Entwicklungen anregt und wie man Daten nutzen kann, um eine bessere Stadt zu bauen. Dafür treffen sich Experten aus Politik, Wirtschaft und Wissenschaft regelmäßig zum Austausch. So auch in der vergangenen Woche bei zwei Veranstaltungen in Berlin.
Lücken bieten Raum für Kreativität
Zum einen hat das Aedes Architektur Forum den Architekten Daniel Libeskind und Berlins Staatssekretär für kulturelle Angelegenheiten, Tim Renner, zum Dialog über die Zukunft der Stadt aufgefordert. Gesucht wurden Visionen, wie Berlin seiner Rolle als Kreativmetropole auch künftig gerecht werden kann. Denn noch lebt die Stadt von ihrem unfertigen Zustand, von den Räumen und Lücken, die Kreativen Platz bieten für Experimente und Wagnisse.
Mit dem Verlust von bezahlbaren Atelierflächen oder Brachen wie dem Tacheles verschwinden auch immer mehr Künstler aus der Innenstadt. Gerade aber ihre Präsenz und die daraus resultierende soziale Mischung machen Berlin so attraktiv und kreativ. Bei der Eroberung eines Kiezes kämen immer erst die Künstler und Musiker, dann die Galerien und Clubs und schließlich die Projektentwickler, so Renner, der die Trennung zwischen der ernsten und der unterhaltenden Kultur nicht nachvollziehen kann. „Wir müssen alles gleichermaßen fördern“, sagt er.
Architektur sei ein Teil dieser Kultur. „Sie ist gebaute Kultur“, sagt Libeskind. „Insofern dürften Stadtentwicklung und Bauen nicht so technokratisch sein. Eigentlich müssten sie zusammen mit Kunst und Kultur in einem Ressort innerhalb der Senatsverwaltung verankert sein.“ Nur so könne auch ein klares Verständnis dafür entstehen, was die Stadt antreibt und wie sie künftig weiterhin ein Anziehungspunkt für junge Menschen aus aller Welt bleiben kann.
"Freiräume kann man auf Dauer nicht ungenutzt lassen"
Genau diese Attraktivität war der Grund dafür, dass das Thinktank „La Fabrique de la Cité“, das vom französischen Bauunternehmen Vinci ins Leben gerufen wurde, zum internationalen Seminar in Berlin geladen hat. „Die Stadt ist ein Labor“, sagt Pierre Coppey, Präsident des Thinktanks und Vizegeschäftsführer von Vinci. „Sie muss sich immer wieder neu erfinden. Hier gibt es viele Realitäten mit jungen Start-ups und einer lebendigen Musik- und Kulturszene.“ Darüber hinaus sei Berlin mit einem starken Dialog zwischen den Bürgern und der Politik beispielgebend. Bürgerbeteiligung sei Teil der Stadtkultur, so Coppey.
Bei diesen städtebaulichen Dialogen geht es immer wieder darum, Freiräume zu erhalten. Sei es der Mauerpark, die Brache am Moritzplatz, die zum Prinzessinengarten wurde, oder das Tempelhofer Feld. „Das sind grandiose Freiräume“, sagt Berlins Senator für Stadtentwicklung Andreas Geisel. „Aber solche Freiräume kommen nicht ohne Probleme. Man kann sie auf Dauer nicht ungenutzt lassen. Daher müssen wir an einem überzeugenden Konzept arbeiten, das Raum bietet für Wohnen, die Kreativwirtschaft und kulturelle Einrichtungen.“
Es gehe darum, dem Bevölkerungswachstum und seinen Bedürfnissen gerecht zu werden und gleichzeitig die notwendigen städtebaulichen Qualitäten zu schaffen. „Leider gelingt uns das nicht immer“, gibt Geisel zu. „Im Fall des Tempelhofer Felds haben wir unsere Pläne zu spät und nicht überzeugend präsentiert und die Bürger haben uns somit nicht vertraut, dass wir nach 5000 Wohnungen am Rand des Felds auch aufhören zu bauen.“ Die Herausforderung bestehe nun darin, eine überzeugende Idee zu entwickeln und das Vertrauen zurückzugewinnen.
Tegel soll Technologiecampus werden
So ein Fehler soll bei Tegel nicht passieren. Wenn der BER dann endlich 2017 eröffnet und in Tegel der Flugbetrieb eingestellt wird, will die Stadt ihr bereits existierendes Konzept sofort umsetzen. Dann wird aus dem Flughafen ein Technologiecampus. „In Tegel wollen wir Adlershof replizieren, nur viel größer“, so Stadtentwicklungssenator Geisel. Denn neben der Kultur sind Wissenschaft und Forschung für die wirtschaftliche Entwicklung Berlins elementar.
Mit über 50 Forschungs- und universitären Bildungseinrichtungen ist Berlin ein Magnet für junge Wissenschaftler und Gründer aus aller Welt – der Großteil der jährlichen Zuwanderung kommt mittlerweile aus dem Ausland. Nicht wenige haben bereits in Berlin eine Heimat für ihr Start-up gefunden und sind Teil der neuen Wirtschaft, die Apps entwickelt, mit denen man seinen Kiez vernetzen oder die eigene Wohnung weitervermieten kann.
So wird das Leben in der Stadt immer mehr von digitalen Dienstleistungen bestimmt. „Urban Data ist ein neues, weites Feld, das uns zahlreiche Möglichkeiten eröffnet, an die wir noch gar nicht gedacht haben“, sagt Pierre Coppey. Dabei gehe es nicht nur darum, dem Autofahrer rechtzeitig eine Stauwarnung zu geben, sondern auch die Dimensionierung von Infrastruktur an die Bedürfnisse der Nutzer anzupassen. Smart City bedeutet also die Vernetzung von Menschen und Häusern mit der Infrastruktur. Was Coppey aber besonders beeindruckt, ist die Offenheit der Berliner Stadtplaner gegenüber den Bürgern: „Das ist ein gutes Beispiel für gelebte Demokratie.“