Gemeinnütziger Wohnungsbau in Österreich: Wiener Dreh
Jeder Vierte lebt in einer der 220 000 Gemeindewohnungen.
Wie gut hat es doch Wien! Wohin man auch hört, was immer man liest, die Stadt ist ein Mietertraum. Fast zwei Millionen Bürger leben verteilt auf eine Million Wohnungen. Sechzig Prozent davon sind sozial gebunden. Jeder vierte Wiener lebt in einer der 220 000 Gemeindewohnungen, jeder sechste in einem Quartier der über fünfzig gemeinnützigen Bauvereinigungen. Seit einem Jahrhundert hat die Stadt ihren Bestand aufgebaut. Für Gemeindewohnungen sowie geförderte gemeinnützige Wohnungen sind die aktuellen Gehaltsobergrenzen mit 45 510 Euro Jahreseinkommen für einen Alleinstehenden, 67 820 für ein Paar und 85 670 für vier Personen so hoch, dass eigentlich jeder Haushalt anspruchsberechtigt ist.
Das Gros der Mieter sind Normal- und Gutverdiener. Ihre Wohnungen sind Erbhöfe, die über Generationen innerhalb der Familie und zu den billigen Bestandsmieten weitergereicht werden. Darüber hinaus ist beinahe alles förderfähig: Eigentumswohnungen, Eigenheime und selbst Kleingartenhäuser erhalten zinsgünstige öffentliche Darlehen. Das hängt mit den Finanzen zusammen. Von rund 650 Millionen Euro, die jährlich in den sozialen Wohnungsbau fließen – das ist doppelt so viel wie im doppelt so großen Berlin – kommen 150 Millionen aus Steuereinnahmen des Bundes.
In Berlin darf eine Person zum Erhalt des Wohnberechtigungsscheins für eine maximal geförderte Wohnung nicht mehr als 16 800 Euro in Jahr verdienen. Würde diese Person nach Wien ziehen, müsste sie jahrlang auf die Zuteilung einer sozial gebunden Wohnung warten. Bis dahin bliebe nur der freie Wohnungsmarkt, auf dem Mietpreisbeschränkungen Empfehlungscharakter haben. Auch in Wien fehlt Wohnraum. Der Bevölkerungszuzug ist im Verhältnis noch stärker als in Berlin.
Bis 2020 sind 4000 neue Gemeindewohnungen geplant
Wien hat seit 2004 keine eigenen Wohnungen mehr gebaut. Der geförderte Neubau lag ausschließlich bei den gemeinnützigen und freien Unternehmen. Da zuletzt nur gut die Hälfte der jährlich 15 000 benötigten Wohnungen errichtet wurde, will die Stadt wieder als Bauträger auftreten. Geplant sind 4000 neue Gemeindewohnungen bis 2020. Mit 7,50 Euro Kaltmiete pro Quadratmeter wird ihre günstigste Neubaumiete ungefähr der Berliner Obergrenze für die Übernahme der Unterkunftskosten von Hartz-IV-Beziehern entsprechen. Berlins Einstiegsmiete im Sozialwohnungsbau liegt bei 6,50 Euro. Das Etikett der „sozialen Mieterstadt Wien“ drängt sich hier nicht wirklich auf.
Die Mieten in Wien sind keineswegs niedriger als in Berlin, aber die Mietpreissteigerung ist flacher. Von zentraler Bedeutung ist dafür die Bauland- und Siedlungsentwicklung. Mit dem 1984 gegründeten Wohnfonds hat die Stadt systematisch eine 2,8 Quadratkilometer große Grundstücksreserve an bebauungsfähigen Flächen angelegt. Wien plant große Areale und lässt sie von privaten Investoren und gemeinnützigen Bauvereinigungen realisieren.
Mit dem Sonnwendviertel ist ein Stadtteil für 13 000 Bewohner und 20 000 Arbeitsplätze südlich des neuen Hauptbahnhofs entstanden. Das Nordbahnviertel auf 75 Hektar wird bis 2025 Wohnort für 20 000 und Arbeitsort für nochmal so viele Menschen sein. Vor seiner Fertigstellung wird auf dem ehemaligen Gelände des Nordwestbahnhofs ab 2022 ein neues Quartier auf 44 Hektar für rund 5000 Wohnungen und 5000 Beschäftigte begonnen. Selbst eine Planstadt wird gegenwärtig an Wiens Peripherie errichtet. Die Seestadt Aspern wächst auf dem 240 Hektar großen Gelände des ehemaligen Flughafens am östlichen Stadtrand für 20 000 Einwohner heran. Dazu entstehen Handels-, Gewerbe- und Büroflächen sowie Bildungs- und Forschungseinrichtungen für die gleiche Anzahl von Beschäftigten. Nichts erinnert an die missglückten Satellitenstädte aus den 1970er Jahren.
In Berlin dominiert Stillstand
Entsprechend seiner Fläche und Bevölkerung, bräuchte Berlin gleich mehrere Aspern. Doch wo Wien Siedlungsentwicklung voran bringt, dominiert in Berlin Stillstand. Von vier Stadtquartieren bzw. Entwicklungsgebieten allein im Bezirk Pankow ist bei allen fraglich, ob es je zur Bauleitplanung kommt. Beim großen Blankenburger Süden, mit einer Fläche von 70 Hektar, ist umstritten, ob die ursprünglich veranschlagten 6000 oder besser noch 10 000 Wohnungen entstehen. Darüber wogt der Konflikt mit Anwohnern und innerhalb der Regierungskoalition, obwohl in beiden Varianten von städtischer Bebauung kaum die Rede sein kann. Nach Art und Dichte entsprechen sie Kleinsiedlungsgebieten mit vorort-ähnlichem oder dörflichem Charakter. Wegen heftiger Kontroversen über den Verlust von Äckern, nahmen die Regierungsparteien das zweitgrößte Siedlungsgebiet Elisabeth-Aue gleich ganz aus dem Koalitionsvertrag. 5000 Wohnungen für 12 500 Menschen bleiben eine wohlmeinende Idee. Dass keine Auenlandschaft zerstört, sondern ein einstiges Rieselfeld bebaut werden soll, ändert nichts am Anspruch der Anlieger auf lebenslange Freiheit von Bebauung.
Es geht ihnen ausschließlich – so sagen sie – um die Rettung der Natur, die Sicherung einer Frischluftschneise und um den Erhalt einer „Kälteinsel“.
Ulrich Springer
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