Pläne für das RAW-Gelände: Szene-Kiez mit Hochhäusern
Im September beginnen die Detailplanungen für die Neugestaltung des berühmt-berüchtigten RAW-Geländes.
Eine junge Frau mit Rastalocken bettelt auf der Warschauer Brücke um Geld: „for Weed and Beer“. Hier ist die Stadt so, wie sich junge Touristen von Janz weit draußen einen alternativen Sehnsuchtsort in der deutschen Hauptstadt vorstellen. Hier wird der Mythos Berlin genährt. Der Freizeit und Freiheit zugewandt, dem Kommerz abgewandt. Ein bisschen „abgerockt“, etwas unordentlich, so präsentiert sich das ehemalige Reichsbahnausbesserungswerk „Franz Stenzer“ (RAW) in Friedrichshain dem Besucher. Die Mauern des heruntergekommenen RAW-Geländes sind über und über mit Graffiti übersät. So soll, so muss es bleiben, wenn es nach den ortsansässigen Betreibern selbstverwalteter Kulturbetriebe geht. Man überlegt, ob die Backsteine, die bei einem Neuaufbau dieses Standortes fallen müssen, in neue Gebäude eingemauert werden. Nachhaltigkeit ist ein Schlagwort dieser Zeit.
Die Investoren, die das Gelände 2015 erwarben, träumen andere Träume. Und weil die Träume der einen (Wohnhochhäuser) die Albträume der anderen sind (Clubsterben), wurde vergangene Woche eine dritte „Dialogwerkstatt“ geöffnet. Man kam zur dritten, finalen Bürgerbeteiligungsrunde zusammen. Die unterschiedlichen Interessengruppen auf dem RAW-Gelände konnten noch einmal Stellung nehmen zum vorläufigen Strukturplan, dem Vorläufer eines Bebauungsplanes, den die Investoren mit dem Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg und dessen Baustadtrat Florian Schmidt (Bündnis 90/Die Grünen) derzeit besprechen.
Anwohner beschweren sich über Lärm
Der Hintergrund: Das RAW-Gelände erstreckt sich von der Warschauer Brücke bis zur Modersohnbrücke und ist einer der wenigen großen Entwicklungsstandorte innerhalb des S-Bahnrings. Stadtweit bekannt ist der Standort vor allem durch die soziokulturellen Nutzungen und die Angebote der Sport-, Freizeit- und Clubszene. Große Bereiche des Geländes liegen jedoch schon lange brach und sind ungenutzt. Es gibt Probleme. Es wird gedealt. Anwohner beschweren sich über den Lärm, der nachts aus dem Party-Kiez herüberschallt. Im Februar 2016 wurde in unmittelbarer Nähe des RAW-Geländes ein Mann erstochen. Und im April dieses Jahres lag ein Obdachloser tot unter einem Baum neben seinen Sachen. Kreuzbergs Baustadtrat Florian Schmidt ist nicht allein, wenn er findet, dass das RAW-Gelände aktuell kein kiezverträglicher Tourismus-Hotspot ist.
Das Areal wirkt mit seinem morbiden Charme stellenweise ruinös; weitere Kollateralschäden während des Planungsprozesses sind zu vermeiden. Deshalb wurde die Urban Catalyst GmbH vom Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg beauftragt, ein Dialogverfahren zur Entwicklung des Standortes zu organisieren.
Investor verspricht Platz für Kultur
Ein Großteil des 52.000 Quadratmeter großen RAW-Geländes gehört seit dem 1. April 2015 dem Immobilienunternehmen Kurth (Göttingen). Investor Lauritz Kurth will „dem Gelände neue Nutzungen hinzuführen und die Nutzer in der Warschauer Straße abholen“. Es werde Räume für Kunst und Kultur geben, verspricht Kurth. Die markanten Punkte des Geländes will er erhalten, sagte der Unternehmer jüngst im „Säälchen“ auf dem Holzmarkt-Areal an der Spree. Dort soll künftig nicht nur abends und nachts etwas los sein, sondern auch tagsüber. Es sollen Dachgärten geschaffen werden, vielleicht mit angeschlossener Kita und gastronomischen Angeboten. „Wir werden ein Gelände haben, das sich finanziell trägt“, sagt Kurth, der sich zwar durchaus zur Alternativkultur auf dem RAW-Gelände bekennt, ihr aber nicht angehört. Der 30-Jährige und sein Vater hoffen, dass ihre Pläne mit der Subkultur zu vereinbaren sind.
Sven Heinemann, Landespolitiker der SPD im Abgeordnetenhaus, hofft das „unbedingt“ auch und sieht die auf dem Gelände geplanten Hochhäuser – zwei an der Zahl – auf einer Höhe mit dem Wasserturm (59 m) am Ostkreuz und dem BASF-Turm (63 m) auf dem benachbarten ehemaligen Narva-Gelände. Hierüber wird in der Bezirksverordnetenversammlung (BVV) Friedrichshain–Kreuzberg noch zu sprechen sein. Denn Kurth junior nennt als einen der Vergleichsparameter für die Bauhöhe den auf dem Anschutzgelände geplanten 138-Meter-Turm.
Auch Abriss steht an
Große Teile der historischen und zum Teil denkmalgeschützten Struktur sollen erhalten werden. Doch es geht auf dem RAW-Gelände auch um Abriss. Das Astra-Kulturhaus zum Beispiel, von Touristen auf dem Eventportal „tripadvisor“ gelobt als „alternativer Laden mit fantastischer Live-Musik“ ist fällig. „Wir begrüßen den Abriss“, sagte Astra-Geschäftsführer Torsten Brandt: „Das gibt uns die Chance, dass wir eine richtige Konzerthalle bekommen.“ Diskussionen um das RAW-Gelände erinnerten ihn an das Kreuzberg der achtziger Jahre, sagte Brandt: „Hier nicht bauen, da nicht bauen – wir brauchen aber doch Gewerbe und Wohnungen.“
Das allerdings ist eine weitere noch ungelöste Frage. Die BVV Friedrichshain-Kreuzberg möchte zum Beispiel nicht, dass auf dem RAW–Gelände Wohnungen entstehen. Es gibt eine Grundsatzentscheidung (die aber vielleicht umkehrbar ist). Das Areal soll dauerhaft als Kultur- und Freizeitstandort erhalten werden, hieß es im Juli 2014. Doch wer weiß schon, ob das 2018 Beschlusslage bleibt.
Baustadtrat Florian Schmidt zeigte sich jedenfalls überrascht über eines der Renderings der Kurth-Familie, das der Beamer an die „Säälchen“-Wand warf: „Ich verstehe es nicht. Wir haben gesagt, dass es einen Hochhausbereich gibt, jetzt sind es plötzlich zwei. Aber Schwamm drüber.“
Politiker sieht noch viel Arbeit
Andreas Malich gehört wie Kurth zu den Investoren auf dem RAW-Gelände. Er möchte hier als „Leiter Projektentwicklung Berlin“ für die IC Campus studentisches Wohnen realisieren. Die International Campus AG (München) kaufte die letzte freie Fläche des RAW im Oktober 2015. Sie liegt im Osten um die Halle 13 in der Revaler Straße 99. „Wir verhandeln auch mit einer Schule und mit Kitas“, sagte Malich. Die Wohnungen sollten zu einer günstigen Komplettmiete angeboten werden. Wie das alles in einem Bebauungsplan zu fassen ist? Es geht hier ja um ein altes Industrie-, mithin Gewerbegebiet. Dort kommt das Modell der kooperativen Baulandentwicklung nicht zum Zuge – mit den darin eingeschriebenen dreißig Prozent Flächenanteilen mietpreis- und belegungsgebundenen Wohnraums bei Wohnungsneubauprojekten. „Wir versuchen da etwas, was es noch gar nicht gibt“, sagte Bezirkspolitiker Schmidt mit Blick auf den künftigen Nutzungszuschnitt des RAW-Geländes. Wesentliche Themen seien noch gar nicht ausgehandelt worden, dazu gehöre auch das Thema Grünflächen. „Ich nehme mit, dass es doch noch einige Arbeit erfordert, Vertrauen herzustellen. Wir werden in den nächsten zwei Monaten kräftig vorankommen müssen“, sagte der Baustadtrat in seiner Bilanz des Abends: „Im September haben wir dann die Lenkungsgruppe und ein Fachgespräch.“ Anschließend dürfte klar sein, was Kurth abzufordern und dieser zu leisten bereit ist.