Kommunaler Wohnungsbau: Studie zeigt: kein Neubau unter 3500 Euro
Der rot-rot-grüne Senat setzt auf Ankäufe von Gebrauchtimmobilien. Nur auf den ersten Blick scheint das preiswerter zu sein.
Nun ist es heraus: 2427 Euro kostete die landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften – und damit den Steuerzahler – der Neubauquadratmeter in Berlin im ersten Quartal 2018 im Durchschnitt. Die Grundstückskosten sind in diesen Betrag nicht inkludiert. Realistisch betrachtet, kommen noch einmal 1000 Euro für das Grundstück pro gebautem Quadratmeter hinzu – und jede Menge Probleme bei der Durchsetzung und Bewilligung von Bauanträgen. Da mag es auch unter finanziellen Gesichtspunkten durchaus reizvoll sein, Wohnungsbaubestände in großer Zahl zu Preisen unter 3500 Euro (inkl. Grundstück) anzukaufen, wie vom Regierenden Bürgermeister Michael Müller intentiert. Aber ist es auch sinnvoll?
Was finanziell mach- und leistbar ist, darüber haben die Senatsverwaltungen für Stadtentwicklung und Finanzen keinen klaren Überblick. „Im Einzelfall werden im Abgleich mit den Unternehmensprämissen Wirtschaftlichkeitsberechnungen erstellt und Chancen und Risiken bewertet. Zahlen gibt es dazu nicht“, sagte eine Sprecherin der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung dazu auf Anfrage. Berlins Senator für Finanzen ließ eine entsprechende Tagesspiegel-Anfrage bis zum Redaktionsschluss unbeantwortet.
Nach der Landeshaushaltsordnung (LHO) sind vom Land Berlin für alle finanzwirksamen Maßnahmen angemessene Wirtschaftlichkeitsuntersuchungen durchzuführen. Der Bund der Steuerzahler Berlin wies auf Anfrage auf Paragraf 7 der LHO (Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit, Kosten- und Leistungsrechnung) darauf hin, dass in geeigneten Fällen privaten Anbietern die Möglichkeit gegeben werden muss darzulegen, ob und inwieweit sie staatliche Aufgaben oder öffentlichen Zwecken dienende wirtschaftliche Tätigkeiten ebenso gut oder besser erbringen können.
Nach Lust und Laune
Was sagt der Landesrechnungshof Berlin zu dem Vorhaben, große Immobilien-Portfolios in Milliardenhöhe in Landesbesitz zu bringen und in Milieuschutzgebieten Vorkaufsrechte auszuüben, koste was es wolle? Die Antwort fällt – positiv gedeutet – verhalten aus: Der Landesrechnungshof Berlin hat sich mit der Gesamtthematik überhaupt noch nicht beschäftigt.
„Der Rechnungshof kann sich zu einzelnen fachlichen Fragen und Themen im Allgemeinen nur äußern, wenn er dazu Prüfungserfahrungen hat“, schreibt eine Sprecherin: „Dies gilt nach dem Haushaltsrecht auch für die Beratung des Abgeordnetenhauses und des Senats. Zu Ihren Fragen kann ich Ihnen daher bis auf Weiteres keine inhaltliche Antwort zukommen lassen.“ Der Rechnungshof werde „im Rahmen seiner Unabhängigkeit über Prüfungsaktivitäten in diesem Bereich entscheiden“.
Das Land Berlin und seine Bezirke, können zur Zeit – so scheint es – kaufen, was und wie es gerade beliebt.
„Der Bund der Steuerzahler Berlin hat massive Zweifel daran, dass die Ausübung von Vorkaufsrechten in Milieuschutzgebieten das wirtschaftlichste Mittel ist, um die Wohnraumversorgung in Berlin zu verbessern“, schreibt Alexander Kraus, Vorstandsvorsitzender des Berliner Steuerzahler-Vereins: „Mit dem Baugesetzbuch im Rücken kauft das Land Berlin Objekte zu Spekulantenpreisen, bei denen eine wirtschaftliche Erhaltung in der Zukunft unrealistisch ist.“
Aus Sicht des Bundes der Steuerzahler Berlin werde das baurechtliche Instrument der Ausübung von Vorkaufsrechten unter Einsatz von viel Steuergeld dazu missbraucht, die Mietentwicklung künstlich zu drücken. Kraus weist darauf hin, dass die Intention des Baurechts hier aber eine andere war, „nämlich die Erhaltung der Zusammensetzung der Wohnbevölkerung. Mietsteigerungen aufgrund der massiven Bevölkerungszunahme werden aus Sicht des Bundes der Steuerzahler aber nur durch mehr Wohnungsangebot und nicht durch den staatlichen Kauf von Bestandsimmobilien aufgefangen“.
Die Langzeitrecherche „Wem gehört Berlin“ ist eine Kooperation des Tagesspiegels mit dem gemeinnützigen Recherchezentrum Correctiv. Auf unserer Plattform wem-gehoert-berlin.de können Sie uns mitteilen, wer Eigentümer Ihrer Wohnung ist, und welche Erfahrungen Sie mit Ihrem Vermieter gesammelt haben. Mithilfe der Daten suchen wir nach unverantwortlichen Geschäftspraktiken und machen den Immobilienmarkt transparenter. Eingesandte Geschichten werden nur mit Ihrer Einwilligung veröffentlicht.
Zahlen, die nicht gefallen
Um einen Überblick über die Kostensituation beim Neubau durch die landeseigenen Wohnungsunternehmen zu bekommen, hatte die WVB Wohnraumversorgung Berlin – eine Anstalt öffentlichen Rechts – im vergangenen Jahr beim BBU Verband Berlin-Brandenburgischer Wohnungsunternehmen e.V. eine Analyse in Auftrag gegeben und darum gebeten Handlungsempfehlungen auszusprechen.
Diese Studie wird – mit Ausnahme des vom Tagesspiegel erstmalig veröffentlichtenn Charts (siehe Grafik) – seit Herbst 2018 unter Verschluss gehalten. Nach Informationen dieser Zeitung, war das Land mit den Ergebnissen – insbesondere mit den BBU-Empfehlungen – nicht einverstanden. Zwar wurde die Studie nach einer entsprechenden Ankündigung vom 22. August 2018 für einige Zeit online gestellt – allerdings mit veränderten, teilweise getilgten BBU-Empfehlungen.
Der Verband schaltete daraufhin Rechtsanwälte ein, die Studie verschwand aus dem Netz. Ob und wann sie je veröffentlicht wird, steht in den Sternen. Der Vorstand der Wohnraumversorgung Berlin – Jan Kuhnert und Alexa Prietzel – ließ Tagesspiegel-Anfragen zur Thematik bis zum Redaktionsschluss unbeantwortet. In einer Pressemitteilung der Wohnraumversorgung hieß es zuvor: „Die Studie belegt, dass der Einsatz allgemein anerkannter und nachvollziebarer Kriterien für kostengünstiges Bauen nicht zwingend dazu führt, dass das jeweilige Projekt am Ende tatsächlich kostengünstig umgesetzt werden kann.“
Quasi gekaufte Wahlargumente
Wie ist das Vorgehen Müllers unter diesen Vorzeichen politisch zu deuten und zu bewerten? Wolfgang Maennig, Professur für Wirtschaftspolitik an der Universität Hamburg (Fachbereich Volkswirtschaftslehre), ist Mitglied der Expertenkommission „Nachhaltige Baulandmobilisierung und Bodenpolitik“ des Bundes. Der Berliner verfolgt die Vorgänge in seiner Heimatstadt genau.
Er sagt: „Der Senat sieht, dass er mit seiner Idee, den Wohnungsbau zu beschleunigen, nicht hinreichend vorankommt. De Facto weiß das Land: Wir können nur für 2800 Euro bauen plus 1000 Euro Bodenkosten pro geschaffenem Quadratmeter Wohnraum. Das sind 3800 Euro, darunter bekommt das Land es bei korrekter Berechnung nicht. Also ist es eine scheinbar vernünftige Lösung, Wohnungen zu kaufen, die man für 3800 Euro pro Quadratmeter oder darunter kaufen kann. Unsere Politiker kaufen sich quasi ihre Wahlargumente, indem sie Wohnungen rekommunalisieren und die kommunalen Bestände erhöhen. Volkswirtschaftlich gesehen wird so aber nicht ein einziger Quadratmeter Wohnraum neu geschaffen.“