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Plätze frei. Überall in Deutschland stehen Wohnungen leer - nicht nur im Osten wie hier im mecklenburgischen Kriesow. Flüchtlinge in diese Wohnungen zu setzen, scheint erst einmal logisch. Die Abgeschiedenheit der Dörfer könnte aber auch ein Problem bei der Integration sein.
© Jens Büttner/dpa

Neues Integrationsgesetz: Koalition will Wohnsitzauflage für Flüchtlinge

Fachleute zweifeln Wirksamkeit für die Integration an. Höchstrichterliche Urteile setzen ohnehin enge Grenzen, denn auch Flüchtlinge haben ein Recht auf Freizügigkeit.

Die Idee scheint erst einmal vernünftig: Anerkannte Asylbewerber sollen gleichmäßig aufs Bundesgebiet verteilt werden, solange sie Sozialleistungen beziehen. So soll einerseits eine Ghettobildung vermieden und andererseits die Wohnungsnot in den großen Städten gelindert werden. Dorthin nämlich zieht es viele Geflüchtete.

Bisher ist die freie Wahl des Wohnortes nur während der Dauer des Asylverfahrens und für geduldete Flüchtlinge eingeschränkt, wenn sie nicht selbst für ihren Lebensunterhalt sorgen können. Die neue Regelung soll auf drei Jahre befristet sein. In den 90er-Jahren galt sie auch für Spätaussiedler.

Bei einer Konferenz zum bezahlbaren Wohnen hatte sich Bundesbauministerin Barbara Hendricks (SPD) im März zustimmend zu einer Wohnsitzauflage geäußert. Allerdings unter der Voraussetzung, dass diese sofort aufgehoben wird, wenn die Flüchtlinge eine Arbeit oder einen Ausbildungsplatz finden.

Am Donnerstag nun stellte die Koalition im Bund Eckpunkte eines Integrationsgesetzes vor, das auch eine Wohnsitzauflage beinhaltet. Über die Ausgestaltung der Auflage will sich Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) am 22. April mit den Ministerpräsidenten verständigen. Denkbar ist, dass Flüchtlinge einen bestimmten Wohnort zugewiesen bekommen, oder dass ihnen bestimmte Ballungszentren verwehrt werden. Verlassen Schutzberechtigte unerlaubt den ihnen zugewiesenen Wohnsitz, soll dies spürbare Konsequenzen haben, hieß es bereits am Donnerstag.

"Enorme Eingriffe in die Freiheit der Betroffenen"

Axel Gedaschko, Präsident des Bundesverbandes deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen, begrüßt eine Wohnsitzauflage: „Für eine gelungene Integration brauchen wir einen Zweiklang aus Bauen und Betreuen. Das bedeutet: Wir benötigen einerseits mehr bezahlbaren Wohnungsneubau in den Ballungsräumen. Auf der anderen Seite muss es wohnsitzzuweisende Regelungen für anerkannte Asylbewerber geben, auch um die Städte zu entlasten, die immensem Druck durch starke Zuwanderung aus dem In- und Ausland ausgesetzt sind.“ Die Menschen hätten dann häufig bessere Integrationschancen als in den überlasteten Metropolen.

Um das Gesetz wasserdicht zu machen, müssen die Juristen im Innenministerium jedoch einiges bedenken. Die Genfer Flüchtlingskonvention garantiert nämlich ein Recht auf Freizügigkeit. Auch im Wohnungswesen soll das aufnehmende Land ihnen „eine nicht weniger günstige Behandlung gewähren, als sie Ausländern im Allgemeinen unter den gleichen Bedingungen gewährt wird“.

Deshalb kritisiert der Deutsche Anwaltverein (DAV) die geplanten Wohnsitzauflagen. „Sie sind enorme Eingriffe in die Freiheit der Betroffenen und nicht einfach mit der Gefahr einer Bildung von sozialen Brennpunkten zu rechtfertigen“, sagte DAV-Sprecher Michael Reis dem Tagesspiegel. Das Bundesverwaltungsgericht habe bereits im Jahr 2008 hohe Hürden für Wohnraumauflagen aufgestellt. „Demnach müssen die Behörden die integrationspolitischen Probleme beschreiben und mögliche soziale Brennpunkte benennen. Außerdem muss angegeben werden, inwiefern Wohnsitzauflagen einen Beitrag zur Lösung der Probleme leisten“, sagt Reis.

Im Umkehrschluss heißt das, dass Wohnsitzauflagen grundsätzlich möglich sind. In einem Urteil vom 1. März hatte der Europäische Gerichtshof dies bestätigt, aber ebenfalls enge Grenzen gesetzt. Dieses Urteil sowie sonstige verfassungs- und menschenrechtliche Vorgaben würde das Innenministerium bei der Formulierung des Gesetzes „selbstverständlich sorgfältig beachten“, beruhigt der Sprecher des Innenministeriums Tobias Plate.

Eine gelenkte Verteilung ist nur vorübergehende Lösung

Abgesehen von rechtlichen Bedenken zweifeln Fachleute aber an der Wirksamkeit einer Wohnsitzauflage für die Integration. „Jobs findet man aus der Nähe, durch Netzwerke und direkte Kontakte“, sagt der Geschäftsführer von ProAsyl, Günter Burkhardt. Das bestätigt Katharina Müller vom Flüchtlingsrat Berlin: „Eine Community erleichtert den Einstieg in den Job. Das zeigen uns Gespräche mit Geflüchteten.“

Wer etwa drei Jahre in der Uckermark lebe, für den sei es „fast unmöglich“, dort eine Arbeit zu finden. Das UN-Flüchtlingskommissariat sieht das Problem ähnlich. „Die Praxis der wohnsitzbeschränkenden Maßnahmen stellt sich mitunter als ernstes Integrationshindernis dar.“ Denn in Landgemeinden könne es schwierig oder sogar unmöglich sein, am Ort des Wohnsitzes eine Arbeit zu finden.

Katharina Müller weist außerdem auf ein praktisches Problem hin: „Die Aufhebung der Wohnsitzauflage wird von beiden beteiligten Ausländerbehörden geprüft.“ Nämlich die im bisherigen und die im neuen Wohnort. „Man will sich gar nicht ausmalen, was das an Wartezeiten bedeutet. Da ist die Arbeit weg.“

Am Ende wird die Wohnsitzauflage der Politik nur eine Atempause verschaffen. „Auch eine gelenkte Flüchtlingsverteilung kann nur eine temporäre Erleichterung für die Immobilienmärkte darstellen. Schon heute liegen die Fertigstellungszahlen in den angespannten Märkten unter dem tatsächlichen Bedarf an bezahlbaren Wohnungen, auch ohne Einberechnung der Flüchtlingszahlen“, warnt der Zentrale Immobilien Ausschuss. Zudem: „Sobald die Frist für die Wohnortzuweisung ausläuft, müssen wir von einer erneuten innerdeutschen Bevölkerungswanderung ausgehen.“

Mit einem erneut steigenden Druck auf die Metropolregionen sei zu rechnen, prognostiziert der Interessenverband, der die aktuelle Entscheidung der Koalition aber begrüßte. mit dpa

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