Eigentumswohnungen in Berlin: Illustre Lage für potente Kunden
Im Lützowkiez entstehen vier Neubauprojekte – dicht am Straßenstrich der Kurfürstenstraße.
Die Frauen auf dem Straßenstrich an der Kurfürstenstraße hatten noch nie einen einfachen Job. Jetzt aber verändert sich das Arbeitsumfeld der überwiegend osteuropäischen Prostituierten dramatisch. Wer in absehbarer Zeit in eine der zahlreichen feinen Neubauwohnungen im Kiez zwischen Lützowplatz und Potsdamer Straße in Tiergarten-Süd/Schöneberg zieht, wird hoffen, dass Frauen und Freier ihr Stammrevier alsbald räumen. Sicher ist das jedoch nicht. „Wir sind standhaft“, sagt Valeska, die bei knapper Bekleidung froh ist über die heutigen Sonnenstrahlen. „Ich arbeite hier schon zehn Jahre. Das läuft.“
„Befürchten Sie nicht, dass die neuen Bewohner, die demnächst viel Geld für ihre schicken Wohnungen im Kiez bezahlen, etwas gegen Sie und Ihre Kolleginnen unternehmen werden, weil ihnen Ihr Gewerbe nicht passt?“ Valeska sagt: „Was wollen die machen? Wird uns nicht stören. Haben Geld? Gut, nehmen gern potente Kunden…“ Oft muss man sich schon etwas wundern, welche Ecken Immobilienentwickler aussuchen, um ihr Geschäft zu machen.
Das Schlagwort der Branche lautete stets: Lage, Lage, Lage. In Berlin ist seit einiger Zeit ein anderer Dreiklang angesagt: Verdichtung, Verdichtung, Verdichtung. Beispiele gibt es bereits viele, besonders deutlich wird das aktuell in der Derfflingerstraße, die parallel zur Genthiner verläuft.
Das "Derff 22": 47 Eigentumswohnungen entstehen im Innenhof
In einen sehr mäßig großen Innenhof werden weitere Wohnhäuser geklotzt. Gebaut wird das „Derff 22“ vom Projektentwickler Profi Partner AG, München, der die Fläche im Dezember 2014 von Familie (Möbel)Krieger gekauft hat und zwei Häuser in einen Hinterhof setzt. Der Verkäufer im Beratungsbüro ist natürlich ganz begeistert. Leider hat er nur Klötzchenmodelle und Visualisierungen vorzuzeigen. Über einen Mangel an Interessenten muss er dennoch nicht klagen.
„Sehen Sie, der Eingangsbereich – eine gaaaanz hohe Decke und so hell.“ Als sogenannte Lückenbebauung werden in dem Innenhof 47 Eigentumswohnungen geschaffen. „Neues Wohnen im Lützowviertel“ wird das genannt. „Ja, eng, aber im gesetzlichen Rahmen“, sagt Carsten Spallek (CDU), Baustadtrat im zuständigen Bezirksamt Mitte.
Dass das Sicherheitsbedürfnis künftiger Bewohner in diesem Kiez größer sein wird als an anderen Standorten, ist dem Entwickler bewusst. „Das Derff22 Quartier zeichnet sich durch einen hohen Qualitäts- und Sicherheitsstandard aus“, heißt es in einer Informationsbroschüre. Ja, es werde so eine Art „gated community“ entstehen, sagt der Verkäufer. Es müsse ja nicht jeder Zugang haben. Deshalb werde es auch einen „Doorman“ geben.
Für die Wohnungen wird eine „hochwertige Ausstattung“ versprochen. Bodentiefe Fenster sollen Licht in die Zimmer lassen, eine bei der engen Bebauung dringend erwünschte Eigenschaft. Tageslicht haben Käufer von teuren Eigentumswohnungen allerdings auch gern in ihren Badezimmern.
Da das „Derff22“ jedoch auf engstem Raum gebaut wird, müssen „irgendwo Abstriche gemacht werden“, wie der Verkäufer zugibt. Also werden die Bäder laut Plan fensterlos an die Brandwand eines Nachbarhauses geflanscht. Die Wohnflächen der Ein- bis Fünfzimmerwohnungen reichen von etwa 31 bis 172 Quadratmeter, die Obergeschosse sind als Maisonette geplant. Vorgesehen sind auch eine Tiefgarage für 39 Pkw sowie Fahrradplätze und Kellerräume. Durchschnittlicher Kaufpreis der Wohnungen: rund 5000 Euro pro Quadratmeter.
Knapp 7000 Euro pro Quadratmeter, das ist sportlich
Quasi auf der Rückseite des „Derff22“, an der Genthiner Straße, plant der Immobilienentwickler Diamona & Harnisch etwas Großes. Das heißt, in dem Projekt „G40“, genauer Genthiner Straße 40 bis 46, werden 123 vornehmlich kleine Wohnungen entstehen, dazu 72 Parkplätze in einer Tiefgarage.
Wo jetzt noch die blau-silbrige Glasfassade des ehemaligen Krieger-Möbelhauses steht, sollen spätestens im kommenden Jahr über sieben Stockwerke fast ausschließlich Ein- und Zweizimmerwohnungen wachsen. Abgesehen vom Erdgeschoss, wo Läden geplant sind, und den Penthäusern, die etwas größer ausfallen.
Schnäppchenpreise erwartet in Berlin ja niemand mehr, doch ein Penthaus an der Genthiner Straße für knapp 7000 Euro pro Quadratmeter, das ist sportlich. Wem die 168 Quadratmeter zu groß, die 1 161 000 Euro zu viel sind – bitte sehr: Die 24-Quadratmeterwohnung im 1. Obergeschoss gibt’s für 150 000 Euro, alternativ den gleichen Grundriss im 5. OG für 180 000 Euro.
Verkauft ist bisher keine Wohnung, allerdings sollen nach Angaben des Unternehmens 20 Prozent bereits reserviert sein. Übrigens: Einen gewissen Sinn für Humor kann den Vermarktern nicht abgesprochen werden. Wer die Genthiner Straße kennt, wird das werbliche Versprechen für das „G40“ nicht unbedingt auf den Wintergarten in der Potsdamer Straße oder gar die Philharmonie gemünzt begreifen: „In Ihrer neuen Nachbarschaft befinden sich vielfältige Kultur- und Freizeitangebote, und zwar direkt vor Ihrer Haustür… Treten Sie einen Schritt hinaus und beginnen Sie die Erkundungstour!“
Das "Kurfürstencenter" ist inzwischen Makulatur
Ein paar Schritte weiter, Kurfürsten-/ Ecke Else-Lasker-Schüler-Straße und damit schon in Schöneberg, ist die Tiefgarage vom „Carré Voltaire“ fast fertig. Eindrucksvoll am Bauzaun: ein Computerbild des neuen Hauses. Fast hochherrschaftlich erscheint das Eckgebäude der Architekten Klaus Theo Brenner und Dominik A. Krohm, das ebenfalls unter der Regie von Diamona & Harnisch entsteht. 127 Wohnungen wird es geben, zwischen 50 und 280 Quadratmeter groß, zu Preisen von 200 000 bis 2 000 000 Euro. Mehrere der überwiegend zwei und drei Zimmer großen Apartments sind bereits verkauft. Bei den Penthäusern hingegen gibt es noch reichlich Auswahl…
In dem schwierigen Kiez köchelt seit geraumer Zeit noch ein anderes Projekt, das bisher nicht so recht gar werden wollte. Für einen Teil des von Möbel Hübner genutzten Parkplatzes, Genthiner-/ Ecke Kurfürstenstraße, war bereits seit Langem eine Bebauung im Gespräch. Zuletzt standen Anfang vergangenen Jahres 200 Mietwohnungen samt Ladenzeile im Erdgeschoss in Rede.
Das „Kurfürstencenter“ ist jedoch inzwischen Makulatur. Eigentümer Franz-Josef Glotzbach mit seiner G+R Projektentwicklung hat die vorgesehene Fläche an die Lagrande Immobiliengesellschaft verkauft. Dieser Projektentwickler hat die Pläne weitgehend übernommen und erwartet in wenigen Wochen eine Baugenehmigung.
Bedenken wegen des Straßenstrichs?
Aus den von Glotzbach angekündigten 200 Miet- sollen jetzt jedoch 180 überwiegend Eigentumswohnungen entstehen, von etwa 46 bis 160 Quadratmetern Größe. Im Erdgeschoss sind „Nahversorger“ wie Biomarkt und Drogerie vorgesehen. Darüber fünf Stockwerke sowie ein Staffelgeschoss. Der Name wechselte nun von Kurfürstencenter zu Kurfürstenhof.
Bedenken wegen des Straßenstrichs? „Ich glaube nicht, dass das bisherige Gewerbe auf der Straße so weiter fortgeführt werden wird“, sagt Daniel Alschweig, kaufmännischer Projektleiter bei Lagrande. „Potenziellen Freiern wird die Straße vermutlich zu belebt sein.“ Platz für irgendwelche Schmuddelecken werde auch nicht bleiben.
Die seit Jahren laufenden Bürgerbeteiligungsverfahren im Kiez, die preisgünstigen Wohnraum zum Ziel hatten, sind also hinfällig. Mit dem Vertrieb der Wohnungen will Lagrande Anfang 2017 beginnen. Baubeginn soll im Frühjahr sein, sagt der Projektleiter. Das Bezirksamt Mitte sieht auch keine Hürden mehr. „Da Lagrande sich nach dem gültigen Bebauungsplan richtet, wird einer Genehmigung nichts im Weg stehen“, sagt Bezirksbaustadtrat Carsten Spallek.