Nach der Förderalismusreform: Finanzhilfen flossen lange in alte Wohnungsprogramme
Berlin steuert um, doch zu spät: Neue Wohnungen werden mit Bundesmitteln erst seit 2014 gebaut. Mit den Geldern hätte man seit 2007 rund 500 Sozialwohnungen pro Jahre errichten können.
Bundesmittel für den Wohnungsbau hat Berlin jahrelang in Verpflichtungen aus alten Programmen gesteckt, statt neue Wohnungen zu bauen. Das fällt dem Land nun auf die Füße.
„Die Hütte brennt“, schreibt eine vom Abgeordnetenhaus berufene Expertengruppe in ihrem aktuellen Bericht zur Reform des Sozialen Wohnungsbaus: „Angesichts der angespannten Wohnungsmarktlage Berlins sind mindestens 20 Prozent der Mieterhaushalte nicht in der Lage, auf dem allgemeinen Berliner Wohnungsmarkt eine angemessene Wohnung anzumieten. Sie bedürfen dazu der Hilfe Berlins.“ Ein Belegungsrecht, das durch die Förderung von Wohnraum entstanden ist, sei dafür das geeignete Instrument.
Doch jährlich 32 Millionen Euro sogenannte Kompensationsmittel, die seit 2007 nach Berlin flossen, sind dafür verloren. Grundlage für diese Zahlung des Bundes war, dass die Länder nach der Förderalismusreform Aufgaben übernahmen, die vorher dem Bund oblagen. Zum Beispiel die Wohnungsbauförderung.
Nicht Legalität, aber Legitimität wird in Frage gestellt
Verpflichtungen aus laufenden Wohnungsbauprogrammen mit den Geldern zu erfüllen, etwa Mietzuschüsse zu zahlen, war nichts Unrechtes. Das bestätigt das Bauministerium auf Nachfrage. Denn: „Auch die bis dahin gewährten Bundesfinanzhilfen wurden von den Ländern stets zur Ausfinanzierung laufender Wohnungsbauprogramme eingesetzt“, sagt ein Sprecher.
„Nur weil es nach dem Bundesgesetz vielleicht rechtmäßig war, ist es wohnungspolitisch für den angeheizten Wohnungsmarkt Berlin nicht sinnvoll gewesen“, entgegnet Chris Kühn, Sprecher für Bau- und Wohnungspolitik der Grünen im Bundestag. Berlin hätte es natürlich freigestanden, die Mittel in den Neubau von Sozialwohnungen zu investieren, gibt Kühn zu bedenken.
„Mit den Geldern hätte man etwa 500 Sozialwohnungen pro Jahre finanzieren können“, sagt Iris Spranger, baupolitische Sprecherin der SPD im Abgeordnetenhaus. „Aber erstens hatten wir damals nicht die angespannte Wohnungslage und zweitens hatten wir eine katastrophale Haushaltslage.“
Seit 2014 fließen Gelder in ein Wohnungsbauprogramm
Seit 2014 hat das Land umgesteuert und gibt die Kompensationsmittel zusammen mit weiteren Geldern in ein Wohnungsbauprogramm. Bisher wurden damit rund 1200 Wohnungen gefördert, 2016 sollen es 2500 sein, 2017 dann 3000 und 2018 schließlich 5000 Wohnungen, sagt Spranger.
Ausgereicht werden die Mittel von der Investitionsbank Berlin. Zwei Förderalternativen gibt es: erstens ein Baudarlehen mit einem Tilgungsverzicht von 25 Prozent. Es müssen also nur 75 Prozent zurückgezahlt werden. Die Miete für so eine Wohnung darf im Schnitt 6,50 Euro pro Quadratmeter im Monat betragen. Wohnen dürfen darin nur Mieter mit Wohnberechtigungsschein. Zweitens ein Baudarlehen mit einkommensorientierten Zuschüssen. Hier kann die Miete bis zu acht Euro pro Quadratmeter betragen. Je nach Einkommen des Mieters wird sie durch Zuschüsse auf bis zu sechs Euro pro Quadratmeter verringert. Die Zuschüsse erhält der Eigentümer und reicht sie an den Mieter weiter, indem er die Miete verringert.
Günstige Wohnungen fehlen
Es sei allerdings zu spät gewesen, in den Bau von Sozialwohnungen zu investieren, sagt Wiebke Werner vom Berliner Mietervereins. „Die Konsequenzen sehen wir tagtäglich. Es fehlt an günstigen Wohnungen. Wäre Berlin früher eingestiegen, dann hätten wir jetzt eine nicht ganz so angespannte Situation“, sagt sie. Werner sieht 3000 neue Wohnungen jährlich mit Mietpreisbindung als das Mindestmaß an. „Sonst steigt der Druck weiter“, sagt sie.
Die Einsicht, dass Wohnraumförderung notwendig ist, sei zu spät gekommen: „Jetzt baut das Land Berlin hinterher.“
Für den Mieterverein fordert sie: „Wenn schon Fördermittel in Anspruch genommen werden, sollte die Belegungsbindung dauerhaft sein. Da wird viel Geld investiert und die Bindungen fallen nach 20 Jahren wieder weg.“ So hat sich die Zahl der Sozialwohnungen laut dem erwähnten Expertenbericht seit 2005 auf 115 000 fast halbiert. In den nächsten fünf Jahren würden 17 000 Wohnungen aus der Bindung fallen, in den darauf folgenden fünf Jahren weitere 19 000.
Der Bund stockt die Kompensationsmittel auf
Immerhin stockt der Bund die Kompensationsmittel 2016 um 500 Millionen Euro auf über eine Milliarde Euro auf. Davon erhält Berlin dann 64 Millionen Euro. 2017 und 2018 sollen es noch einmal 500 Millionen mehr sein, jedenfalls will das Bauministerium dies erreichen.
„Im Zuge der Verhandlungen über die weitere Aufstockung ist bei einer Besprechung der Bundeskanzlerin mit den Ministerpräsidenten der Länder im Juli vereinbart worden, dass sich Bund und Länder auf eine neue Aufteilung verständigen, die den unterschiedlichen Bedarf besser als der bisherige Verteilungsschlüssel berücksichtigt“, stellte der Sprecher des Bauministeriums in Aussicht.
Noch größerer Anteil für Berlin?
Genau könne daher noch nicht gesagt werden, wie hoch die Anteile Berlins sein werden. Da der Bedarf des Landes aber unbestritten hoch ist, könnte der Anteil der Stadt sogar noch höher ausfallen. Auf jeden Fall haben die Länder bei der ersten Aufstockung der Mittel 2015 zugesagt, das Geld künftig für die sozialen Wohnraumförderung einzusetzen. „Der Bund wird sie beim Wort nehmen“, kündigt der Sprecher des Bauministeriums an.
Über 2019 hinaus blickt Chris Kühn von den Grünen: „Wir brauchen dafür ein neues Konzept. Die Schuldenbremse wird dazu führen, dass die Länder viel weniger Mittel zur Verfügung haben. Deswegen setzen wir uns für eine neue Wohnungsgemeinnützigkeit ein.“ Sie beruht im Wesentlichen auf einer Steuerbefreiung für gemeinnützige Wohnungsbauunternehmen.
Susanne Ehlerding
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