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Wohnpark Herzberge. Bis 25 Meter hohe Wohnhäuser und ein Turmhaus sollen sich um einen Stadtplatz mit Wasserbecken gruppieren.
© K+K Architekten/Belle Epoque

Neubauprojekt in Lichtenberg: Es werde licht

In Lichtenberg entstehen 800 preisgünstige Mietwohnungen. Ein Architekten-Workshop erarbeitete die Pläne.

Wohnungsbau ist für Investoren das Gebot der Stunde. Das Kapital drängt in die Immobilienbranche. Mit erheblicher Dynamik und nach eigenen Zielsetzungen, die selten mit jenen der Öffentlichkeit übereinstimmen. Nicht dort, wo vorab sorgfältig und umsichtig Stadtplanung betrieben wurde, sondern dort wo zufällig Grundstücke rasch verfügbar sind und reibungslos Baurecht geschaffen wird, wachsen neue Wohnanlagen in die Höhe. Aber nicht „bezahlbarer Wohnraum“, der sich als Fachbegriff inzwischen eingebürgert hat, entsteht allüberall, sondern lukrative Eigentumswohnungen und hochpreisige Mietwohnungen.

Fast schon als Mäzenatentum erscheint daher der Plan des Unternehmers Torsten Nehls, mit seiner Gesellschaft für behutsame Stadterneuerung „Belle Époque“ in Lichtenberg 800 Wohnungen zu errichten, die sieben bis zehn Euro pro Quadratmeter Miete kosten sollen.

Man würde erwarten, dass die üblichen Gewinnmargen durch schlichteste Billigarchitektur von der Stange erreicht werden sollen. Weit gefehlt. Architektonische Qualität steht auf Nehls Agenda, interessante Grundrisse und ein attraktives Wohnumfeld. So hat er, beraten durch den Architekten Georg Kohlmaier, eine Art Wettbewerb in Form eines Workshops abgehalten. Ein Workshop deshalb, weil die gemeinsame Erarbeitung prozesshaft zu sinnfälligeren Lösungen führt als ein anonymer Wettbewerb ohne Rückkopplung.

Das 2,8 Hektar große Grundstück ist schwer zu beplanen

Zwölf namhafte Berliner Architekturbüros waren eingeladen, sich mit der Aufgabe und den schwierigen Randbedingungen des Grundstücks auseinanderzusetzen und Lösungen mit attraktivem Städtebau und effektive Grundriss- und Gebäudetypologien anzubieten. Offene Wohnformen sollten ermöglicht werden, die auch die Möglichkeit zur sozialen Teilhabe am Umfeld bieten.

Zusätzlich war der Wunsch formuliert, weitgehend industrielle Vorfertigung vorzusehen. Das 2,8 Hektar große Grundstück, an einer ruhigen Stichstraße gelegen, die namentlich zur Rhinstraße gehört, hat einen merkwürdigen, dreieckigen Zuschnitt mit länglichem Fortsatz und ist wahrlich nicht einfach zu beplanen. Zumal ein siebengeschossiges Bürogebäude aus den neunziger Jahren mittendrin bestehen bleiben soll.

Das Projekt sieht unterschiedliche Wohnungen mit konventionell geschnittenen und offenen Grundrissen vor.
Das Projekt sieht unterschiedliche Wohnungen mit konventionell geschnittenen und offenen Grundrissen vor.
© K+K Architekten / Belle Époque

Der ganze Stadtteil ist orthogonal – also rechtwinklig – strukturiert, die benachbarten Plattenbauten in Nord-Süd-Richtung, doch die Südgrenze des Grundstücks verläuft diagonal, weil sie einer offen geführten Fernheizleitung aus DDR-Zeiten folgt. Wenn es gelänge, die fatalen Rohre unter die Erde zu verlegen, hätte das neue Wohnquartier direkten Zugang zum Parkgelände des Krankenhauses und des Landschaftsparks Herzberge.

Ein Gesamtkonzept für die Planung des Gebietes fehlt

Die Misere mit der Leitungstrasse wirft jedenfalls ein Licht auf die Planungskultur des Bezirks. Das gesamte Gelände zwischen Herzberge und Landsberger Allee ist als Gewerbegebiet ausgewiesen. Aber nicht nur Nehls will hier bauen, auch andere Investoren haben große Flächen erworben. Doch konkrete Vorstellungen über die Planung des Gebietes gibt es im Bezirksamt nicht.

Wie soll gebaut werden, wie hoch, wie dicht, wie sind die Quartiere vernetzt, wo entstehen Kitas und Schulen? Wie müssen Straßen und öffentlicher Nahverkehr ergänzt werden? Man hat kein Personal für qualifizierte Planung und wird von der gegenwärtigen dynamischen Entwicklung überrannt. In großem Stil werden verfügbare Flächen nach dem Zufallsprinzip umgenutzt und werden Verhältnisse betoniert, deren Ordnung und Erschließung später langwierig und mühsam nachgebessert werden müssen.

So bleibt jedem einzelnen Investor nur der Weg über den „vorhabenbezogenen Bebauungsplan“. Der wird nach Bedarf aufgestellt. Das Ergebnis: ein Flickenteppich an einzelnen Quartieren ohne gegenseitige Beziehungen. Niemand fragt, wo die Menschen Brötchen kaufen, ihren Lottoschein abgeben oder zur Physiotherapie gehen können. Beim Projekt Herzberge zum Beispiel wäre es auch die Aufgabe des Bezirks, gemeinsam mit Vattenfall die unsägliche Rohrleitung zu versenken, die auf einen Kilometer Länge den ganzen Bereich zerschneidet. Natürlich will das zunächst niemand bezahlen.

Wie kann man 800 Wohnungen ins Blaue hinein planen?

Unterdessen versuchen die Architekten des Workshops selbst, die Beziehungen zur Umgebung nicht zu verbauen. Vielleicht kann man vorerst Fußgängerbrücken über die Rohre montieren. Ein kleines Subzentrum mit Café, Kiosk und Kita soll entstehen, denn die Fußwege zu den nächsten Infrastruktureinrichtungen Richtung Rhinstraße ist lang. Im Nordwesten anschließend hat ein Investor 1200 Wohneinheiten angedacht. Dem Bezirksamt liegt noch keine Bauanfrage vor, aber auch dahin wird es dann Verbindungswege geben müssen. Wie kann man 800 Wohnungen ins Blaue hinein planen?

Offene Wohnformen sollen soziale Teilhabe am Umfeld ermöglichen.
Offene Wohnformen sollen soziale Teilhabe am Umfeld ermöglichen.
© K+K Architekten / Belle Époque

Jedenfalls liegen nun die Vorschläge der Architekten auf dem Tisch. Den ersten Preis des Verfahrens errangen K+K Architekten (Holger Kühnel und Max Kaminski), der zweite Preis ging an Patzschke Schwebel Planungsgesellschaft, zwei dritte Preise an Augustin und Frank Architekten sowie an Heide & von Beckerath. „Belle Époque“ wird nun mit den Preisträgern die Entwürfe weiter entwickeln und mehrere Teams mit der Realisierung beauftragen. Sieben bis acht Geschoss hohe Blocks sollen entstehen, Nord-Süd-gerichtete, damit die grünen Innenhöfe viel Sonne bekommen, vielleicht ein 14-geschossiges Hochhaus vorn an der Ecke.

Sehr unterschiedliche Wohnungen soll es geben, konventionell geschnittene und offene Grundrisse. Geplant sind Kleinwohnungen mit 25 Quadratmetern, Kompakt- und Familienwohnungen mit 40 bzw. 70 Quadratmetern. Neue Bausysteme und eine perfekte Bau- und Ablaufplanung, eine hoch entwickelte Planungskultur also soll eine rasche Montage und Realisierung ermöglichen, denn die Bauzeit ist ein entscheidender Kostenfaktor.

Die Pläne sollen am 25. Januar dem Bezirksamt vorgestellt werden – anschließend geht es an die Umsetzung.

Der Autor war als Architekturkritiker Mitglied der Jury im Realisierungswettbewerb Wohnpark Herzberge.

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