Plattenbau in Berlin-Lichtenberg: Herr Czech und die U-Bahn im elften Stock
Ein Lichtenberger Rentner hat in seine Plattenbauwohnung einen U-Bahnwagen von 1928 hineingebaut. Zieht er die Notbremse, geht das Licht an.
Ein Plattenbau in Friedrichsfelde-Ost in Lichtenberg. Elf Etagen, die alle gleich aussehen. Ganz oben wohnen Herr Czech und seine Frau. Sie haben ihre Wohnung etwas umgewandelt: Wer sie betritt, steht in einem originalgetreu nachgebauten U-Bahnwagen aus den zwanziger Jahren. Mit Bänken, Schiebetüren, Notsitz, Feuerlöscher – alles im Original. Außer den Lampen, die sind aus einem anderen Wagentyp, wie Sigmund Czech zugibt, während er die Notbremse betätigt – das ist sein Lichtschalter. Die Größe stimmt auch nicht ganz, denn der Korridor ist einen Meter kürzer als der herkömmliche U-Bahnwaggon. Aber von der Höhe her passt es. Diese Kleinigkeiten fallen nur Sigmund Czech selbst auf, der gerne alle Details erläutert.
Es handelt sich um einen Triebwagen der Bauart A 2, gebaut im Jahre 1928. Im November 1972 kauften die BVB (Berliner Verkehrsbetriebe Ost) von der BVG (West) 40 Wagen dieses Typs. 1965 wurden sie umgebaut und hatten von nun an eine andere Holzverkleidung. Und wer es ganz genau wissen will: Die alte BVG-Nummer des Wagens lautete 357, später bei der BVB war es die 1287128.
Hinter den Schiebetüren, die sich „ebenso schwer wie früher“ öffnen lassen, hängt ein altes U-Bahn-Schild vom Wittenbergplatz – „Da habe ich immer umsteigen müssen“, erklärt Sigmund Czech. Der 67-jährige Rentner hat früher als Elektromeister gearbeitet. Leidenschaftlicher Bahnfahrer war er schon immer. Heute ist er aktiver Drehorgelspieler, steht einmal im Jahr mit Frank Zander auf der Bühne. Und er sammelt: Seit 1974 hortet er in Ordnern Zeitungsausschnitte, Prospekte und Fotos von allem, was ihn interessiert. Zum Beispiel über alle Berliner Stadtbären, von Urs bis Schnute. Und sein Ordner „Charlotte von Mahlsdorf” enthalte mehr Material über die Gründerin und langjährige Leiterin des Gründerzeitmuseums als dieses selbst, sagt er.
Die U-Bahn hat er sich kurz nach der Wende in den Flur gebaut. Etwa zwei Monate brauchte er dafür. Zusammen mit seiner damals 14-jährigen Tochter schleppte er alle Teile vom nahen Betriebswerk Friedrichsfelde herbei. Dort wurden die Wagen gerade ausgeschlachtet, und für zehn Ostmark konnten sie sich bedienen. „Ich hab erst gar nicht geglaubt, dass man da als Zivilist was davon haben darf.“ Aber es habe keine Komplikationen gegeben, niemand habe ihn gefragt, was er denn mit den verschrotteten U-Bahnteilen anfangen möchte. Nur das Ausbauen musste er selbst übernehmen.
Wie er überhaupt auf die Idee gekommen sei? Das kann Czech heute gar nicht mehr beantworten: „Die Idee war einfach da.“ Und er ist ein Mann der Tat. Eine Genehmigung für die Wohnung musste er nicht einholen. Lediglich seine Frau wäre zu befragen gewesen, sagt Herr Czech heute. Gefragt hat er sie dennoch nicht, sondern die Sachen einfach in die Wohnung geschleppt, als seine Frau mal ein Wochenende nicht da war. „Ich wollte mir keine Absage einholen, deswegen hab ich nicht gefragt“, sagt Czech und lacht.
Eine tolle Urgeschichte aus dem Herzen Berlins. Es wäre zu wünschen, diese Herzensarbeit zu bewahren. Am besten ein Museum im 11. Stock draus machen.
schreibt NutzerIn kohlenstoffeinheit
Als seine Frau nach Hause gekommen sei und den ganzen Schrott gesehen habe, habe sie sich natürlich erschrocken und ja, sie sei auch sauer gewesen, das gibt er zu. Seine Frau, die noch nicht in Rente ist, konnte sich eben nicht vorstellen, dass das einmal fertig wird, was ihr Mann da im Flur fabriziert. „Aber mit der Zeit hat sie sich mit dem Waggon angefreundet.“ Und bei der Fertigstellung sei sie sogar begeistert gewesen.
Sogar eine kleine Schnapsbar hat Czech in den Waggon eingebaut. Wenn Paketzusteller oder Heizungsableser kommen, erzählt Sigmund Czech, würden die natürlich schon erst mal erstaunt gucken, wo sie hier gelandet sind. Aber alle seien stets sehr interessiert und würden ihn für sein handwerkliches Geschick loben.