Neues Center in Moabit: Ehemalige Schultheiss-Brauerei wird Shopping-Quartier
HGHI-Geschäftsführer Harald Huth sieht große Perspektiven für den Standort im einstigen Arbeiterbezirk.
Einst wurde an der Stromstraße in Moabit Bier gebraut. Jetzt befindet sich dort eine Großbaustelle. Im Sommer 2018 soll das Schultheiss-Quartier eröffnet werden, ein weiteres Einkaufszentrum in Dimensionen, die Berlin inzwischen von Arkaden, Malls und Shoppingcentern kennt.
Zwischen Turmstraße, Stromstraße, Perleberger und Lübecker Straße rotieren die Betonmischer. Der Sound von Sandstrahlgebläse und Hammerschlägen dringt durch das belebte Quartier. Aus einem Tankfahrzeug wird Substrat für die Dachbegrünung abgefüllt. Überall sind fleißige Handwerker zu sehen, auf den Gerüsten, beim Innenausbau, an den Zufahrten, auf den Dächern.
Was hier, nicht weit vom U-Bahnhof Turmstraße entfernt, entsteht, verändert das alte Moabit.
Auf Plakatfolien am Bauzaun steht „Ein buntes Zentrum für einen bunten Kiez“. An anderer Stelle ist auf einem Schild von einer „Ideenfactory“ mit Ateliers für Künstler und Kleingewerbler die Rede. In Zahlen: Mehr als 30 000 Quadratmeter Verkaufs- und rund 15 000 Quadratmeter Büroflächen werden von der HGHI Holding GmbH rund um das denkmalgeschützte einstige Brauereigebäude bereitgestellt. Dazu kommt noch ein Hotel an der Turmstraße mit 8500 Quadratmetern Fläche und 250 Zimmern. Das Gesamtinvestitionsvolumen wird auf der Internetseite der Projektentwickler mit 250 Millionen Euro angegeben.
Beim Projekt in Moabit spielt Brauerei-Kolorit eine große Rolle
Mit rund 100 Geschäften ist das Schultheiss-Quartier in Moabit etwa mit der Größe der Potsdamer Platz Arkaden vergleichbar. HGHI-Geschäftsführer Harald Huth sieht große Perspektiven für den Standort im einstigen Arbeiterbezirk: „Im Herzen von Berlin-Mitte vereint das Schultheiss-Quartier alle Facetten des städtischen Lebens wie Arbeiten, Einkaufen, Übernachten und Unterhaltung in einem einzigartigen Ambiente.“ Die HGHI Holding GmbH ist spezialisiert auf Shoppingcenter. Sie hat mit der vor drei Jahren eröffneten Mall of Berlin am Leipziger Platz den bisher größten Einkaufstempel in der Stadt errichtet.
Beim Projekt in Moabit spielt Brauerei-Kolorit eine große Rolle. Die hellgelbe Backsteinfassade an der Stromstraße erinnert an die glorreichen Zeiten, in denen die kupfernen Bierkessel und die burgähnlichen Gemäuer vom Wachstum der Großstadt kündeten. Seit der Gründerzeit vor 150 Jahren wurde an der Stromstraße gebraut. Bis um 1980 die letzte Maische angerührt wurde. In den 70ern hatte die Brauerei einen besonderen Ruf an den Universitäten. Die Studentenjobs im Flaschenkeller galten als das Nonplusultra, wenn es um die härtesten Jobs ging.
Von 1990 bis 2015 residierte im alten Sudhaus ein gastronomischer Betrieb. Nach der Schließung des Restaurants ist dort zwar unter ungeklärten Umständen ein großer Kupferkessel verschwunden (im Bezirksamt spricht man von Diebstahl). Dennoch könnte im Altbau wieder so etwas wie Brauhausflair aufkommen. „Die Berücksichtigung von Sudkesseln ist eine von mehreren Optionen, die wir derzeit prüfen“, sagt Mirco Hillmann von der HGHI.
Für den Stadtteil bieten sich Entwicklungschancen
In den Altbauten – etwa im Kesselhaus – könnten auch Künstler und Kreative in kleinen Ateliers unterkommen. Nachdem noch Mängel an der Bausubstanz festgestellt wurden, wird das Gebäude aktuell aufwendig saniert. Dem Projektentwickler liegen bereits Anfragen aus den Kunstgattungen Fotografie und Malerei vor. Angeboten werden Flächen ab 25 Quadratmeter.
Wie die HGHI Holding weiter mitteilt, sind im Gewerbeteil bereits achtzig Prozent der Flächen vermietet. Die Shopping-Möglichkeiten im Schultheiss-Quartier reichen von Modeboutiquen über Schuhgeschäfte bis zum großen Ankermieter Kaufland an der Perleberger Straße. Unter den Anbietern tummeln sich die bekannten Namen in der Branche wie Intersport, Woolworth, Thalia, Deichmann, Mediamarkt oder Alnatura. Für das Segment Entertainment sollen Angebote wie Fitnessstudios und Erlebnisgastronomie sorgen.
Für den Stadtteil bieten sich mit dem neuen Shoppingcenter Entwicklungschancen. Denn nach der Schließung des Hertie-Kaufhauses 2009 – gleich gegenüber dem alten Brauereistandort – gab es kaum noch nennenswerten Einzelhandel in Moabit. Backshops, Telefonläden, Express-Reinigung und Spielsalons prägten zuletzt das Viertel. Das Späti-Image dürfte der Kiez vom kommenden Sommer an nun verlieren.
Dazu trägt schon mal die optische Aufwertung an Turm- und Stromstraße bei. Die Ecke war über Jahrzehnte alles andere als ansehnlich. Mit den schmucken Neubauten und der Fassadengestaltung durch den Schweizer Architekten Max Dudler wird nun die Straßenfront in ihrer Gesamtlänge an die charakteristischen Altbaufassaden der Brauerei angepasst. Von diesem aus Backsteinen geformten Ambiente erhoffen sich die Investoren eine Ausstrahlung, die über den Bezirk Mitte hinausreicht. Das Hotel, direkt an der Turmstraße gelegen, setzt Akzente, die man dort bisher nicht kannte.
Der Verkehr könnte für Probleme sorgen
Die Verkehrsströme hin zum neuen Einkaufsquartier könnten aber noch für Probleme sorgen. Die HGHI Holding bietet 400 Parkplätze in einer doppelstöckigen Tiefgarage an. Der Bezirk Mitte will aber auch den öffentlichen Nahverkehr für die Kunden des Einkaufspalastes stärken. Bezirksbürgermeister Stephan von Dassel verweist auf die geplante Verlängerung der Straßenbahn vom Hauptbahnhof bis zum U-Bahnhof Turmstraße. An der Lübecker Straße ist ein Halt mit direktem Weg in das Schultheiss-Quartier geplant. „Somit wird auch die Attraktivität des öffentlichen Verkehrs erhöht“, sagt Stephan von Dassel.
Das Straßen- und Grünflächenamt nimmt darüber hinaus derzeit die Parksituation unter die Lupe. „Damit soll die Einführung der Parkraumbewirtschaftung in diesem Bereich geprüft werden“, kündigt der Bezirksbürgermeister an. Es scheint so, also ob für die Turmstraße bald eine neue Ära beginnt. Ein prominenter Nachbar des Quartiers freut sich bestimmt schon auf das Ende der Bauarbeiten, die Botschaft der Republik Tadschikistan. Die Vertretung befindet sich direkt neben der Auffahrt für die Baufahrzeuge in der Perleberger Straße.
Das Schultheiss-Quartier in Moabit ist für die HGHI Holding das derzeit größte Projekt. Daneben modernisiert man das „Tegel-Center“ in der Gorkistraße. Mit Shoppingcentern ist das Unternehmen in Berlin groß geworden. Als weitere Referenzen dienen das Einkaufszentrum „Das Schloss“ in Steglitz und auch die „Gropius-Passagen“ im Süden der Stadt.
Der gut erhaltene Gebäudekomplex der Schultheiss-Brauerei in Moabit „dokumentiert die Entwicklung des Brauereiwesens in Berlin und verweist auf das Wachstum der Großstadt im 19. Jahrhundert, das die Ansiedlung von Brauereien dieser Größe erst ermöglichte“, heißt es in der Denkmaldatenbank des Landes Berlin. Gleiches lässt sich vielleicht auch einmal über die Ansiedlung des neuen Shoppingcenters sagen: Von denen kann Berlin offenbar auch nicht genug bekommen.