Wohnungskrise: Der Spekulant, unser Freund und Helfer
Die ständige Spekulanten-Schelte ist faktisch Unsinn, ökonomisch naiv und gesellschaftlich brandgefährlich. Ein Kommentar.
Lassen Sie uns über Spekulanten sprechen. Persönlich getroffen habe ich zwar noch niemanden, der sich explizit als solcher zu erkennen gegeben hätte. Wann immer aber in den vergangenen Monaten die Wohnungskrise das Thema war, durfte der kritische Verweis auf das Treiben dieser Berufsgruppe nicht fehlen.
Beispiel gefällig? Gerne: „Die Sorge vor Verdrängung, dem Verlust der eigenen Wohnung und den immer weiter steigenden Mieten ist das zentrale Problem für die Menschen in unserer Stadt.“ Zu diesem Schluss kam der Berliner Landesverband der Linken beim Parteitag im vergangenen Dezember - und stellte einen Satz später fest, wen die Schuld für diese Umstände träfe. „Immobilien sowie Grund und Boden sind im letzten Jahrzehnt in Berlin zu Spekulationsobjekten geworden.“
Ganz ähnlich klang die Analyse, die der grüne Koalitionspartner wenige Wochen später in der „Berliner Zeitung“ nachschob. Der hauptstädtische Wohnungsmarkt gleiche einem Schlachtfeld, auf dem nur noch die Stärksten bestehen, schrieb, nein!, donnerte die Fraktionschefin der Grünen im Abgeordnetenhaus, Antje Kapek. Der Schuldige für dieses Massaker war auch hier: der Spekulant. Ihre Partei prüfe daher die Einführung einer „Spekulationsbremse“ auf Landesebene. „Wenn das rechtlich möglich ist, könnten wir der zügellosen Spekulation mit Grund und Wohnungen endlich einen effektiven Riegel vorschieben“, versprach sie in ihrem Gastbeitrag.
Nüchtern betrachtet dürfte es allerdings nicht die Spekulation sein, sondern die ökonomische Fantasie der Grünen-Politikerin, die von Zügellosigkeit geprägt ist. Denn die These, dass die Berliner derzeit tausendfach ihre Wohnungen an Zocker verlieren, ist nicht einfach nur steil, sondern schon senkrecht. Genauer noch: sie ist faktisch Unsinn und volkswirtschaftlich naiv. Und damit nicht genug: Die Art und Weise, wie die Debatte geführt wird, hat antisemitische Untertöne - und ist deshalb brandgefährlich.
Viel Politik, wenig Realität
Fangen wir mit den Fakten an. Natürlich weiß man auch im Senat sehr genau, dass die ständige Spekulanten-Schelte viel mit Politik und wenig mit der Realität zu tun hat. In Berlin sei Spekulation „in einzelnen Teilbereichen wahrscheinlich gegeben", lässt Bausenatorin und Linkenpolitikerin Katrin Lompscher auf Anfrage mitteilen. „Hierzu kann die Spekulation mit Grundstücken (mit und ohne Baurecht) gehören, wie auch spekulativer Leerstand. In welcher Größenordnung und an welchen Stellen konkret Spekulation betrieben wird, ist dem Senat im Einzelnen nicht bekannt, da letztlich auch schwer ermittelbar.“ Kurzum: Nix genaues weiß man nicht.
Auch der jüngst veröffentlichte Wohnungsmarktbericht der landeseigenen Investitionsbank (IBB) fand keine Anzeichen für größere Zockeraktivitäten auf dem Immobilienmarkt. Vier Mal wird das Wort „Spekulation“ auf den insgesamt 117 Seiten erwähnt – kein einziges Mal wird es als größeres Problem benannt. Beim Thema Bauüberhang etwa, also der Anzahl der Wohnungen, für die eine Baugenehmigung vorlag, die aber nicht fertiggestellt werden konnten, heißt es: Eine mögliche Spekulation spiele, „wenn überhaupt, nur eine untergeordnete Rolle”.
Kapitalgeber und Warnsystem
Aber natürlich gibt es in Berlin auch Spekulation am Immobilienmarkt, wenn auch im deutlich geringeren Umfang als es die ständigen Vorwürfe vermuten lassen. Und sie funktioniert zudem nach anderen ökonomischen Prämissen, als es die Politik unterstellt. Denn Spekulanten sind nicht zwangsläufig düster-gierige Zeitgenossen, die sich mit halbseidenen Geschäften auf Kosten anderer bereichern. Im Gegenteil, sie übernehmen in der Volkswirtschaft einer modernen Nation wichtige Funktionen, die - ja, sie lesen richtig - Wohlstand schaffen und sichern.
Das brauchen Sie mir nicht glauben, aber glauben Sie es Michael Voigtländer, Ökonom am Institut der deutschen Wirtschaft (IW). „Schauen Sie sich die Berliner Start-up-Szene an“, sagt er, „Es gibt dort ganz massive Spekulationen darüber, welche Unternehmen ein Erfolg versprechendes Geschäftsmodell verfolgen und welche nicht.“ Letztlich gehen die Spekulanten mit ihren Wetten Risiken ein, die nicht immer mit einer üppigen Rendite belohnt wird. „Es braucht aber diesen spekulativen Mut der Investoren, damit neue Ideen entwickelt werden können und daraus neue Produkte entstehen“, sagt Voigtländer.
Doch Spekulanten kommt noch eine weitere wichtige Funktion für die Märkte zu, als Warnsystem nämlich. Angenommen in China würden durch Brände große Teile der Getreideernte vernichtet werden - wie würden Bauern weltweit davon erfahren, dass sie ihren Anbau ausweiten müssen, um Hungersnöte zu verhindern? Sie ahnen es bereits: durch Spekulanten. Denn Rohstoffe wie Getreide werden seit Jahrhunderten als sogenannte Terminkontrakte an den Finanzmärkten gehandelt; steigt ihr Preis, ist das ein sicheres Signal dafür, dass eine Produktionsausweitung profitabel sein könnte. Spekulanten dienen den Produzenten also dafür, vor Knappheit zu warnen und ihnen die Bedürfnisse an den Märkte einzuflüstern.
Ein Spekulant kommt selten allein
Auf dem Berliner Immobilienmarkt flüstern die Spekulanten schon lange nicht mehr, sie rufen, brüllen und schreien. Und bleiben doch ungehört von der Politik. Nehmen wir das Kosmosviertel im Berliner Bezirk Treptow: Für damals 800 D-Mark (rund 410 Euro) pro Quadratmeter kaufte der Immobilieninvestor „Schönefeld Wohnen GmbH“ Ende der 90er Jahre die Plattenbausiedlung von der Landesregierung - und bot sie schon ein Jahr später wieder zum Kauf an. Dann allerdings mit einem üppigen Aufschlag: 1200 D-Mark (rund 615 Euro) sollte jetzt der Quadratmeter kosten, berichtete der „RBB“.
Einen Käufer fand er in den kommenden Jahren nicht, stattdessen beschränkte er sich bei der Instandhaltung auf das allernötigste, was wiederum zu Lasten der Mieter ging, die über Pfusch bei der Sanierung klagten. Im März 2019 dann gelang der Weiterverkauf doch noch: Für 250 Millionen Euro wechselte die Wohnanlage den Besitzer. Ein „Spekulantenpreis“ sei das, schimpfte Alexander Kraus vom Bund der Steuerzahler Berlin. Und wer hatte sich auf diesen Irrsinnsdeal eingelassen? Eine landeseigene Wohnungsgesellschaft.
Der Staat täte also gut daran, sich beim Thema Spekulation nicht allzu weit aus dem Fenster zu lehnen. Denn wie der Fall Kosmosviertel zeigt, hat die Landesregierung die spekulative Preissteigerung dort nicht nur nicht verhindert, sondern erst ermöglicht. Das Land Berlin muss sich darüber im Klaren sein, dass es mit solchen Ankäufen die Preise für Bestandsimmobilien und für verfügbare Projektentwicklungen enorm in die Höhe treibt", zitierte der „RBB“ den Geschäftsführer des Immobilienentwicklers Treucon, Thomas Doll. Auch ihm waren übrigens die Wohnungen zum Kauf angeboten worden - er lehnte dankend ab.
Und dass den Senat eine Mitschuld an Spekulation trifft, kommt häufig vor in Berlin. Zum Beispiel bei den Bauflächen: Allein im vergangenen Jahr stiegen die Baulandpreise in der Hauptstadt laut Statistikamt um 77 Prozent. „Das ist eine wahnsinnige Rendite, die tatsächlich zum Spekulieren einlädt", sagt IW-Immobilienexperte Michael Voigtländer. „In Berlin ist diese Situation eingetreten, weil das Angebot insgesamt zu gering ist. Wenn der Senat sich dazu entschließen würde, mehr Bauland ausweisen würde, fielen die Renditen deutlich geringer aus.“ Doch das geschieht nicht. Warum nicht? Das müssen Sie die Bausenatorin fragen.
Von Heuschrecken und Miethaien
„Die Diskussion ist da ein bisschen merkwürdig geworden“, findet Voigtländer. „Es wird zu wenig Bauland vom Senat ausgewiesen, es werden zu wenige Lücken in der Stadt bebaut oder die Ämter sind zu langsam damit, Baugenehmigungen zu erteilen. Die Politik missbraucht den Spekulanten als Sündenbock“, sagt Voigtländer.
Und ab hier wird es dann hässlich.
Denn das die eigenen Misserfolge kleingeredet, die Verfehlungen anderer hingegen aufgebauscht werden, gehört (nicht nur) in der Politik zum Geschäft. Die Art und Weise allerdings, wie der Diskurs geführt wird, welche Sprachbilder gewählt werden um Spekulanten zu beschreiben und zu attackieren, erinnert an die zwölf dunkelsten Jahre in der deutschen Geschichte.
Nehmen wir die Berliner Initiative, die ein Referendum über die Verstaatlichung von Immobilienkonzernen wie die Deutsche Wohnen abhalten will. Eine Verstaatlichung dieses Großkonzerns werde Signalwirkung für die ganze Branche haben, hoffen die Aktivisten. Auf einem ihrer Flyer heißt es, die „kleinen Miethaie schauen auf den großen Miethai und nehmen ihn als Vorbild. So wird auch eine Niederlage des großen Miethais für die Kleineren eine Lehre sein.“ Ein Gutachten im Auftrag der Linken-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus kam wiederum zum Ergebnis, das Konkurrenzunternehmen Vonovia agiere wie ein Finanzinvestor mit angeschlossener Immobilienwirtschaft. „Sie können jederzeit ihre Beteiligungen an den Börsen wieder abstoßen und weiterziehen, wie ‚Heuschrecken‘“.
Tiere aber gehören in die Wildnis oder den Zoo, nicht in die Sprache.
Fragt man Samuel Salzborn, einen der profiliertesten Antisemitismus-Forscher in Deutschland, ob Begriffe wie der „Miethai“ oder die „Heuschrecke“ problematisch sind, fällt seine Antwort deutlich aus. „Ja, sind sie“. Aus zwei Gründen, sagt der TU-Professor: „Zum einen wurden Tier- und insbesondere Ungeziefer-Metaphern im Nationalsozialismus verwandt, zum anderen liegt in diesen Metaphern eine Entmenschlichung und zugleich eine implizite Vernichtungsandrohung - denn was sonst macht man mit Ungeziefer?“
Im Unterschied zu der Ungeziefer-Metapher liege im Begriff „Miethai“ neben der Entmenschlichung noch eine andere Dimension, sagt Salzborn: „Die des aggressiven Raubtiers, also die Vorstellung einer unkontrollierten, animalischen und genuin aggressiven Verhaltensweise, bei der nun wiederum genau andersherum suggeriert wird, dass man selbst einer solchen zerstörerischen Drohung ausgesetzt sei.“
Verkürzte Kapitalismuskritik
Doch die ökonomischen Theorien der Enteignungskampagne haben noch an anderer Stelle Anleihen an problematisches Gedankengut genommen. Vor einigen Tagen traf ich den Sprecher der Initiative, Rouzbeh Taheri, der seine Enteignungspläne mit dem Hinweis darauf rechtfertigte, dass es sich bei der bei den Aktien der Deutschen Wohnen um ein Spekulationspapier handele, dessen Wert ohne unternehmerisches Handeln zustande gekommen sei. „Und wer zockt muss eben wissen, dass er sein Geld auch verlieren kann“, sagte er.
Soweit, so falsch. Denn einerseits erbringt der Konzern mit der Bewirtschaftung der Wohnungen ja sehr wohl eine unternehmerische Leistung (ob zur Zufriedenheit seiner Kunden, bleibe mal dahingestellt).
Andererseits unterstellt Taheri einen Unterschied zwischen Finanzkapital und industriellem Kapital, den es in der Realität nicht gibt. Gefährlich sind seine Argumentationsmuster deshalb, weil sie der klassischen nationalsozialistischen Agitation gegen den Kapitalismus folgen, wonach das schlechte, „raffendes Kapital“ der Börsen und Banken dem guten, „schaffenden Kapital“ der Industrie und Handwerker gegenübersteht.
Antisemiten seien von den Strukturen der kapitalistischen Gesellschaft überfordert, sagt Professor Salzborn. „Es gibt eine Unfähigkeit und Unwilligkeit, abstrakt zu denken“, das aber sei die Voraussetzung, um die kapitalistische Ökonomie zu verstehen, in der „das Abstrakte” und „das Konkrete” Teil einer unauflösbaren Einheit sind. „Während abstrakte Konstrukte wie das Geld oder Aktien von Antisemiten verhasst sind, glorifizieren sie das Konkrete, also zum Beispiel die körperliche Arbeit.“ Zugleich würden in den antisemitischen Vorstellungen alle Abstraktheiten, also nicht nur Geld und Aktien, sondern auch Prinzipien wie Weltgewandtheit oder Urbanität, antisemitisch projiziert: weil im antisemitischen Weltbild das Judentum aufgrund des abstrakten Gesetzes-Charakters seiner Religion mit allem in Verbindung gebracht wird, was man an der Moderne hasst.
Was also folgt daraus? Sind Taheri, Kapek und Lompscher Antisemiten? Natürlich nicht.
Eine Aktie macht noch keinen Gordon Gekko und eine fragwürdige Argumentation keinen Judenhasser. „Kapitalismuskritik ist natürlich nicht per se antisemitisch, ganz im Gegenteil”, sagt Professor Salzborn. „Aber jede Kapitalismuskritik, die nicht auf die strukturellen Prinzipien zielt, sondern konkret nach persönlich Verantwortlichen sucht, also zugleich moralisiert und personifiziert, ist strukturell antisemitisch.” Aktivisten und Politik sollten sich deshalb bewusst darüber sein, dass sie nicht nur eine populistische Debatte führen, sondern darüber hinaus Ressentiments schüren.