Flüchtlinge: "Das hier ist die Luxusversion"
Im ehemaligen Rathaus Wilmersdorf können die Flüchtlinge noch nicht für ihre Zukunft planen. Ihre Gedanken kreisen vor allem um ihre Familien.
Die Architektur atmet noch den braunen Geist: Außen protzig, innen piefig steht das ehemalige Rathaus Wilmersdorf am Fehrbelliner Platz. Gebaut für die Deutsche Arbeitsfront, die Pseudogewerkschaft der Nationalsozialisten, residierte hier einst eine Verwaltungsstelle der Wehrmacht. Noch 1957 wurden im Innenhof Wappen ehemaliger ostdeutscher Städte angebracht, darunter die von Königsberg und Stettin. Heute erklären Tafeln: „Mit diesen Wappen werden keine Ansprüche verbunden. Sie erinnern an einen Teil der deutschen und europäischen Geschichte.“
Jetzt ist das jüngst erst frei gezogene Rathaus Schauplatz der Zeitgeschichte. Kinder toben durch die schummrigen Flure. Mit dem Bobbycar können sie 100 Meter Strecke machen, ohne zu wenden. Das ehemalige Rathaus ist heute Flüchtlingsunterkunft. „Das hier ist eine Luxusversion“, sagt der stellvertretende Unterkunftsleiter Philipp Bertram, „wir haben Zimmer!“ Anderswo ist das nicht so, da müssen Stellwände in Hallen einen Hauch von Privatheit schaffen.
Ins Gebäude hinein kommt man über einen Seiteneingang, der von Männern in schwarzen Uniformen bewacht wird. An den Wänden im Haus hängen Plakate des vermissten Mohamed, der vom Hof des Landesamtes für Gesundheit und Soziales (Lageso) verschwand. Zettel in fünf Sprachen weisen zum Deutschunterricht. „Refugees Welcome“ steht auf einem Transparent.
Wie möchten die Menschen wohnen, wenn sie einmal hier raus sind, angekommen in Deutschland? „Erwarten Sie nicht zu viel“, hatte Philipp Bertram von der Initiative „Wilmersdorf hilft“ gewarnt. Die Bewohner seien mit ihrer aktuellen Situation beschäftigt. 500 von 820 hätten auch nach Wochen noch keine Registrierung vom Lageso bekommen, obwohl sie sich mitten in der Nacht dorthin aufmachten, um einen möglichst guten Platz in der Warteschlange zu bekommen.
Eine ganz kleine Wohnung würde reichen
Oben in der Kantine möchte Reith aus Syrien dann aber doch etwas erzählen. Gerade hat er sein Mittagessen beendet, eine Fertigmahlzeit aus der Aluschale. Der Student der Wirtschaftswissenschaften hatte in Syrien eine Wohnung mit zwei Zimmern. So sollte es in Deutschland auch wieder sein. Große Erwartungen hatte Reith nicht, sagt er, so wurde er auch nicht von der Situation in Berlin enttäuscht. Die schlechtesten Bedingungen auf seiner Flucht hat er in Ungarn erlebt, berichtet Reith. „Die Polizei hat uns geschlagen“, sagt er, „die hatten keinen Respekt.“
Mit am Tisch sitzt Mohammed (29), ebenfalls aus Syrien und Autolackierer von Beruf. In seiner Heimat wohnte er in einem Haus mit einem kleinen Springbrunnen im Hof, erzählt er. Eine Rakete hat es zerstört. In Deutschland möchte Mohammed ein ganz normales Leben führen. „Wir sind praktisch veranlagt“, sagt er über sich und seine Landsleute. Es könne eine ganz kleine Wohnung sein, in der er später mal lebt. Egal, Hauptsache seine schwangere Frau, die Eltern und die beiden Schwestern könne er in Sicherheit bringen. Wie das wohl gehe, dass er seine Familie nach Deutschland holen könne, fragt Mohammed.
Frustriert von seiner Wohnsituation ist Diaa (37). Er ist zu Besuch am Fehrbelliner Platz, wohnt aber in einem Hostel. Nur für zehn Tage ist der Gutschein gültig, den ihm das Lageso ausstellt. Danach muss er sich wieder neu anstellen. „Warum ist das so?“, fragt Diaa und beklagt die Zeit, die er mit Warten verschwendet. Auch Reith wundert sich: „Sie wussten doch, dass so viele Flüchtlinge kommen. Warum sind sie nicht vorbereitet?“
Unten im Foyer sitzt eine junge Frau aus Albanien mit zwei älteren Männern zusammen. Sie ist als freiwillige Helferin hier, will in Berlin studieren. „Die Albaner sind nicht so wie die Flüchtlinge aus Syrien“, sagt sie. „Sie haben in ihrer Heimat nicht schlecht gelebt, auch wenn sie hier auf ein besseres Leben hoffen.“ Ob sie dann nicht besser zu Hause geblieben wären? „Ja“, findet die junge Frau.
"Wir wollen nur in Sicherheit sein"
Auch Kebe aus Gambia spielt mit dem Gedanken, zurückzugehen. Nach Italien, wo er in einer Wohnung gemeinsam mit seinem Bruder lebte. „Ich bin seit 46 Tagen hier und habe noch keine Papiere. Ich verstehe das System nicht und keiner sagt uns etwas“, berichtet der 30-Jährige. „Das ist schon hart.“
Über einen Besuch im Frauenraum, wo gerade Deutschunterricht erteilt wird, entsteht der Kontakt zu der Syrerin Dina. Sie bittet uns in ihr Zimmer. Wo sich einst zwei Sachbearbeiter gegenüber saßen, sind jetzt zwei breite Matratzen ausgelegt. Die 40-jährige Mutter von fünf Kindern hat versucht, es ihrer Familie möglichst gemütlich zu machen.
„In Idlib haben wir im Haus des Cousins meines Mannes gelebt“, erzählt Dina. Der Cousin und seine Kinder seien bei einem Raketeneinschlag gestorben, von dem Haus stand nur noch die Hälfte. Ihr Mann hat dann alles Land verkauft, was er besaß, damit die Familie nach Deutschland kommen konnte. Er ist vorgegangen und wohnt jetzt in Frankfurt. Noch darf Dina mit den Kindern nicht zu ihm, drei Monate müssen Ankommende in einer Erstunterbringung bleiben, 40 Tage sind um.
„Wir haben gehört, dass die Regierung den Flüchtlingen ein Haus und ein Auto gibt“, sagt Dina. „Aber deswegen sind wir nicht hier. Wir wollen nur in Sicherheit sein.“