Flüchtlingsunterkunft in Berlin-Zehlendorf: Sie wollen es schaffen
340 Menschen, darunter 51 Kinder, wohnen im Containerdorf am Hohentwielsteig in Zehlendorf – eine Reportage über den friedlichen Alltag in der Unterkunft und neue Hoffnungen.
Von Weitem sieht das zweistöckige Flüchtlingsheim im Zehlendorfer Hohentwielsteig aus wie ein bunter Bienenwabenbau. Blaue, rote, grüne und gelbe Container wechseln sich mit weißen ab. Am Eingang heißt ein Transparent jeden, der das Gelände betritt, auf Deutsch und Arabisch „Herzlich willkommen“. Um hineinzugelangen, muss man zunächst die Schleuse, einen vorgeschalteten Container am Eingang, passieren. Hier wachen die Sicherheitskräfte. Jeder Bewohner, der von draußen kommt, zeigt seinen Heimausweis, jeder Besucher wird auf die Anlage geleitet. Hier fallen an die Containerwände gepinnte Kinderzeichnungen ins Auge, das frische Grün des jungen Rasens und selbst bemalte mit Erde gefüllte Säcke, aus denen Heidekraut sprießt.
Ende August bezogen die ersten Flüchtlinge das neue Containerdorf, das vom Arbeiter-Samariter-Bund betrieben wird. Es ist das sechste dieser Art in Berlin und wurde von der „Task Force Notunterbringung“ des Landesamtes für Gesundheit und Soziales (Lageso) errichtet. Nun ist die Anlage voll belegt. 340 Menschen wohnen hier, 51 davon sind Kinder. Die Flüchtlinge kommen überwiegend aus Syrien, dem Irak, Eritrea, Afghanistan, dem Kosovo. Im Inneren der Container hat man augenblicklich das Gefühl, sich in einem modernen Plattenbau zu bewegen. Es ist hell und ansprechend. 170 Zimmer gibt es insgesamt. Durchgangszimmer werden überwiegend von Familien bewohnt. Ein Blick in die Räume zeigt das Grundmobiliar: Stühle und Tische, Betten und Metallschränke. Die Menschen versuchen, sich so gut es eben geht behaglich einzurichten. Hier liegt ein Teppich auf dem blauen Linoleumboden, da hängen Kinderzeichnungen an der Wand, dort steht eine Stehlampe.
Neuankömmlinge im Hohentwielsteig erhalten die Grundausstattung: Handtücher, Bettzeug, Teller, Tassen, Besteck und Töpfe. Gekocht werden kann in den Gemeinschaftsküchen. Auch in diesen ist es auffallend sauber und aufgeräumt. Im ersten Stock duftet es nach frisch gebackenem Brot. Eine farbige Frau überquert den Flur und grüßt. Sie trägt ein Tablett voll mit kleinen Weizenküchlein. Jede Etage verfügt über geräumige sanitäre Einrichtungen mit Duschen und Toiletten, darunter auch behindertengerechte Anlagen.
Mittwochs kommt der ehrenamtliche Arzt
Immer montags von zehn bis zwölf Uhr und mittwochs von 13 Uhr 30 bis 14 Uhr 30 ist Waschtag. Neun Waschmaschinen und Trockner stehen dafür bereit. Wer waschen will, meldet sich bei den Betreuern an. Die helfen dann, falls nötig, beim Bedienen der Maschinen. Handtücher und Bettwäsche können wöchentlich oder 14-tägig gewechselt werden. Hierbei gilt: An den dafür vorgesehenen Tagen die benutzten Wäschestücke bei den Heimmitarbeitern abgeben, um frische in Empfang zu nehmen. Und immer am Mittwochvormittag hält ein Arzt für Allgemeinmedizin ehrenamtlich eine Sprechstunde ab.
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Während die Eltern die vielen Behördengänge machen, können die Kinder, falls sie noch nicht zur Schule oder in den Kindergarten gehen, auf dem Spielplatz spielen. Die Kids fühlen sich hier sichtlich wohl. Sie flitzen umher, spielen fangen, fahren auf gespendeten Tretrollern, Dreirädern, Bobbycars. Ganz normale Kinder eben. Ein Junge klatscht mit einem Mitarbeiter des Sicherheitsdienstes ab. „Warum biste nicht in der Schule?“, will der wissen. „Ich war beim Schularzt“, antwortet der Kleine und hält ihm einen Fußball hin. „Pump mal auf!“ Der Junge, ein Syrer und seit sechs Monaten mit seiner Familie in Deutschland, spricht bereits fließend Deutsch. Ein Großteil der Männer des Sicherheitspersonals stammt aus Ländern, aus denen auch die Flüchtlinge kommen. Etliche Mitarbeiter des 14-köpfigen Betreuerteams im Containerdorf ebenfalls. Das verringert Sprachbarrieren und Berührungsängste. Man kommt schneller miteinander in Kontakt. Die Stimmung in der Unterkunft ist gut, die Atmosphäre entspannt. Die Menschen, die hier Zuflucht gefunden haben, sind erst einmal angekommen. Da macht es auch nichts, dass so manches noch nicht fertig ist. Bis vor wenigen Tagen werkelten noch Bauarbeiter auf dem Gelände, Bagger waren im Einsatz, Gräben wurden zugeschüttet, der künftige Bolzplatz wurde gewalzt. Jetzt stehen auf ihm zwei Fußballtore. Es gibt einige Areale, die noch von Bauzäunen gesichert werden.
Alle hoffen darauf, dass das Internet bald funktioniert
„Alles kein Problem und absehbar“, sagt der Heimleiter. „Was unsere Arbeit allerdings massiv erschwert: Wir haben bisher keinen Festnetzanschluss und kein Internet. Noch hängen die Leitungen aus den Wänden, pro Haus bis zu 80 Kabel. Laut Lageso, das uns die Gebäude übergeben hat, müssen nun wir alles fertigstellen lassen. In der Ausschreibung stand jedoch, dass die Anlage schlüsselfertig übergeben wird. Immerhin geht es um einige 1000 Euro!“ Das Lageso erklärte auf Anfrage, es könne sich nur um ein Missverständnis handeln, selbstverständlich würden die Kosten für Telefon und Internet übernommen und die fälligen Arbeiten umgehend ausgeführt. Nun kommt also Bewegung in die Sache. Auch die Flüchtlinge hoffen auf baldiges Internet. Ermöglicht es ihnen doch, mit ihren Familien in der verlorenen Heimat in Verbindung zu bleiben.
So wie die Kurdin Avan R., die mit ihrem Mann Sangar R. und den beiden Kindern im nordirakischen Kirkuk lebte, wo es immer wieder zu Gefechten zwischen kurdischen Truppen und IS-Kämpfern kommt. Als ihr Bruder vor fünf Monaten von einer Bombe getötet wurde, beschlossen Avan R. und ihr Mann mit der Hilfe von Schleusern zu fliehen. „Es war ein sehr gefährlicher Trip“, erzählt die 31-jährige. „Wir hätten alle sterben können. Wir sind sehr erleichtert, hier zu sein und wollen möglichst schnell Deutsch lernen und Arbeit finden.“ Avan R. ist Ingenieurin für Landwirtschaft, ihr Mann Lehrer. Das Schönste sei, fügt sie hinzu, keine Angst mehr haben zu müssen, dass die Kinder entführt oder getötet werden könnten. Nun könnten sie in Frieden und Sicherheit aufwachsen und eine gute Ausbildung bekommen. Den Anfang machte bereits ihr sechsjähriger Sohn. „Er wurde vor Kurzem in die Grundschule am Buschgraben eingeschult“, sagt Avan R., „und die Klassenlehrerin ist begeistert, weil er so gut im Unterricht mitkommt.“
Auf ähnlich abenteuerlichen Wegen gelangte der 28-jährige Abdalkader A. nach Deutschland. Er flüchtete aus seiner Heimatstadt Rakka in Syrien, ließ Eltern samt sieben Geschwistern zurück, weil er nicht für den „Islamischen Staat“ (IS) kämpfen wollte. „Keiner unter 40 darf die Stadt mehr verlassen“, erzählt er, „entweder kämpfst du für den IS, oder sie bringen dich um.“ Ein Schleuser brachte Abdalkader A. mit dem Auto bis in die Türkei. Von dort gelangte er auf Umwegen nach Griechenland und schlug sich wie Tausende andere zu Fuß und manchmal auch mit dem Zug über Mazedonien, Slowenien, Ungarn und Tschechien bis nach Deutschland durch. Seit Mai ist Abdalkader A. nun hier und hat bereits eine Aufenthaltsgenehmigung erhalten. Jetzt lernt er Deutsch an der Volkshochschule und jobbt in der Küche eines Restaurants am Ku’damm. In Rakka hat der junge Syrer den Realschulabschluss gemacht und danach viele Jahre in einem Gas- und Öl-Unternehmen gearbeitet. Seine größte Sorge: „Seit sechs Wochen habe ich nichts mehr von meiner Familie gehört, der IS hat vermutlich das Internet gekappt.“
Ebenfalls vor dem IS geflohen sind die beiden Iraker Alsadi A. und Aus A. Erst schlugen die beiden 28jährigen sich bis in die Türkei durch, dann ging Alsadi A. auf ein überfülltes Schiff und Aus A. zu Fuß weiter. Seit acht Monaten sind sie in Deutschland und warten – zur Untätigkeit verdammt – auf ihre Aufenthaltserlaubnis. Denn ohne die dürfen sie nicht arbeiten und können auch keinen bezahlten Deutschkurs besuchen. Aus A. ist gelernter Schweißer und hat einen Monat lang auf eigene Kosten privaten Deutschunterricht genommen. Doch dann reichte das Geld nicht mehr. Alsadi A. war bei der irakischen Armee und möchte eine Ausbildung zum Dekorateur machen.
Die Verweildauer beträgt drei bis sechs Monate
Die Flüchtlinge haben eines gemein: Den unbedingten Willen, es irgendwie zu schaffen! Vorwärts zu kommen! Sie wollen lernen, arbeiten, ihren Beitrag leisten und dem Land, das sie so gut aufgenommen hat, etwas zurückgeben. Das Containerdorf im Hohentwielsteig ist dabei nur eine Durchgangsstation. Die Verweildauer beträgt drei bis sechs Monate. Haben die Bewohner erst ihre Aufenthaltsgenehmigung, geht es darum, Ausbildungsplätze, Arbeit und Wohnung zu finden. Gemeinsam mit der Villa Mittelhof, einem Stadtteil- und Nachbarschaftszentrum in Zehlendorf, wurden Anfang Oktober Arbeitsgruppen eingerichtet. Viele ehrenamtliche Helferinnen und Helfer kommen hierbei, je nach Eignung und Interesse, zum Einsatz. So gibt es eine Gruppe, die Patenschaften für die Flüchtlinge vermittelt. Die Paten sollen ihnen die Stadt zeigen, mit ihnen Deutsch sprechen, sie beim Einkaufen oder beim Fahren mit der BVG unterstützen, ihnen bei der Wohnungs- und Arbeitssuche helfen. Begegnungsstätte für diese Patenschaften ist das neue Integrationscafé, das sich im Erdgeschoss des Heims befindet und immer dienstags und donnerstags von 14 bis 18 Uhr geöffnet hat. Besuche von Anwohnern sind ausdrücklich erwünscht. Dass die Flüchtlinge sich im Café-Betrieb mit einbringen und so Kontakte zur Bevölkerung knüpfen ebenso. Eine Berliner Versicherungsgesellschaft betreibt das Café ehrenamtlich mit zwei Mitarbeitern. Angeboten werden selbst gebackene Kuchen, Kaffee, Tee und kalte Getränke.
In einer weiteren Arbeitsgruppe bieten etwa 35 ehrenamtliche Deutschlehrer und -lehrerinnen klassischen Deutschunterricht an. Die Kurse finden in der Unterkunft, im Mittelhof und in einer Zehlendorfer Buchhandlung statt. Laut Heimleitung haben sich alle erwachsenen Bewohner, die noch ohne Aufenthaltserlaubnis sind, dafür angemeldet und lernen nun einmal pro Woche Deutsch. Diese Kurse sind sehr begehrt, vermitteln sie den Flüchtlingen doch das Gefühl, aktiv etwas Sinnvolles zu tun und nicht nur passiv abwarten zu müssen.
Blumenrabatte und Rankpflanzen verschönern den Container
Im Rahmen des Gartenprojektes haben die Flüchtlinge bereits den Rasen gesät, Heidekraut gesetzt und Hochbeete bepflanzt. Letztere zunächst nur mit Kresse, weil der Winter naht. Im Frühjahr sollen Gemüse und Zierpflanzen folgen, und Zehlendorfer Jugendliche werden die Wände der Containerbauten und die Zäune mit Blumenrabatten und Rankpflanzen verschönern. Außerdem existiert noch das Fahrradprojekt. 30 gespendete Räder stehen auf dem Gelände bereit und können von den Bewohnern ausgeliehen werden. Das schafft Mobilität. Wer noch nicht auf einem Fahrrad gesessen hat, kann das Radeln lernen und auch wie man einen Drahtesel repariert. „Unser Spendenlager ist mehr als gut gefüllt“, erklärt die stellvertretende Heimleiterin. „Das Einzige, was wir jetzt noch brauchen, sind Patenschaften!“ Dazu wird im Containerdorf am 23. Oktober von 16 bis 18 Uhr ein Informationsnachmittag veranstaltet.
Nicki Pawlow ist Schriftstellerin und lebt mit ihrer Familie in Berlin-Zehlendorf. Sie schreibt regelmäßig für den Tagesspiegel über die alltäglichen Dinge des Lebens. Zuletzt erschien ihr Roman „Der bulgarische Arzt“ (Langen Müller Verlag, München 2014). Folgen Sie Nicki Pawlow auch auf Twitter.
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