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In dem Botanischen Garten findet derzeit eine Ausstellung der Pflanzen Shakespeares Werke statt.
© Thilo Rückeis

Lyrische Symboliken:: Blühende Fantasie

William Shakespeare und die Pflanzen – Ausstellung im Botanischen Garten über eine spezielle Beziehung.

Eine Theaterbühne ohne Bühnenbild – das war zu Zeiten William Shakespeares üblich. Also entwarf der 1564 geborene berühmte Stückeschreiber Wortkulissen, um sein Publikum in den Bann zu schlagen. Dazu benutzte er bevorzugt symbolträchtige Pflanzen, in seinen Werken kommen rund 120 Arten vor. Eine Ausstellung im Botanischen Garten in Dahlem widmet sich jetzt dem Thema „Garten=Theater. Pflanzen in Shakespeares Welt“. Sie zeigt auf 20 Tafeln in passender Umgebung, wie der Dramatiker Pflanzen für Andeutungen, Gleichnisse und manches bis heute nicht gelöste Rätsel nutzt.

Dabei ist die Hauptaufgabe der Pflanzen in seinen Stücken, dass sich das Publikum Handlungsorte und wechselnde Jahreszeiten auf der Bühne vorstellen kann. Im „Sommernachtstraum“ verströmen Rosen und Geißblatt betörende Düfte und tragen so zur lauschigen Atmosphäre bei. In „König Lear“ heißt es: „Durch den Hagdorn bläst der kalte Wind“ – so soll beim Zuschauer das Bild der ungemütlichen Heide im Kopf entstehen. „Hamlet“ beginnt im Spätwinter, der Blumenkranz der toten Ophelia am Höhepunkt des Dramas besteht aus Frühsommerblumen.

„In Shakespeares Werk finden sich fast ausschließlich in England vorkommende Wild- und Nutzpflanzen. Bei seinen Stücken, die am Mittelmeer spielen, verzichtet er auf Palmen – die Leute sollten sich einen Wald vorstellen, den sie kennen“, sagt Stefan Schneckenburger, Direktor des Botanischen Gartens Darmstadt und Kurator der Ausstellung des Verbandes Botanischer Gärten.

Pflanzen als Symbole für Gewalt, Tod, Liebe und Sexualität

Rosen und Lilien kommen bei Shakespeare am häufigsten vor. Rosen sind bei ihm unter anderem ein Symbol für den Kampf zwischen den Häusern York und Lancaster um die Thronfolge, die eine weiße beziehungsweise rote Rose im Wappen führten und die sich im 30 Jahre andauernden Rosenkrieg einen erbitterten Kampf lieferten. Im Drama „Heinrich VI.“ heißt es dazu:

„Und prophezein will ich: heut dieser Streit/Der zur Entzweiung wuchs im Temple Garden/Soll zwischen Roter Rose und der Weißen/Zu Tod und Todesnacht vieltausend Seelen reißen.“

Pflanzen stehen bei Shakespeare nicht nur für Gewalt und Tod, sondern auch für Liebe und Sexualität. Dabei geizt er nicht mit deftigen Anspielungen. In „Romeo und Julia“ reden zwei Freunde Romeos über dessen Wünsche: „Jetzt sitzt er unter einem Mispelbaum/Und wünscht sich, ein Mädchen wäre eine solche Frucht/Die die Mädchen Mispeln nenn, wenn sie unter sich kichern./Ach, Romeo, wär sie doch, ach wär sie doch so etwas,/Ein offener Arsch/Vagina und du eine Birne von Poperinghe.“ Die Mispel war ein derber Ausdruck für das weibliche Genital, die dickbäuchige Birne mit ihrem langen schlanken Hals war zu Shakespeare Zeiten das verbreitete Symbol für einen erigierten Penis mit Hodensack, hinter „Poperinghe“ verbirgt sich das Wortspiel „pop her in“.

Shakespeare wusste um die Fachkenntnis seines damaligen Publikums

Die Ausstellung kann allerdings nicht alle Fragen klären. Das englische Wort „hebenon“ aus dem „Hamlet“ wurde vor über 200 Jahren beim bis heute bekanntesten Shakespeare-Übersetzer August Wilhelm Schlegel zu „Bilsenkraut“ – laut Schneckenburger zu Unrecht. Offen bleibt, was mit „hebenon“ tatsächlich gemeint ist. Keine ganz unwichtige Frage, schließlich wird Hamlets Vater ein tödliches Gebräu mit diesem Namen während des Mittagsschlafs ins Ohr geträufelt. Auch sonst spielen Heil- und Giftpflanzen wie die Alraune eine große Rolle in Shakespeares Stücken. Er konnte sicher sein, dass ihre Erwähnung auf ein kenntnisreiches Publikum trifft, schließlich war die Heil oder Tod bringende Wirkung von Pflanzen für die damaligen Menschen überlebenswichtig.

Frank Günther, aktuell der renommierteste deutschsprachige Shakespeare- Übersetzer, erläutert im lesenswerten Ausstellungskatalog, warum heutige Generationen mehr Probleme beim Verstehen der Texte haben.

Viele Bezüge Shakespeares sind heutzutage nur in kommentierten Ausgaben zu verstehen

Günther hatte eine Zeile aus dem Sommernachtstraum mit „Verfaultes junges Getreide ohne Bartflaum“ übersetzt und konnte sich darunter nichts vorstellen. Deshalb fragte er seinen Nachbarn, einen Bauern. Der hatte noch nie etwas von Shakespeare gelesen oder gesehen und wusste trotzdem sofort Bescheid. „Er holte seinen alten eingestaubten Erntekranz von der Wand und zeigte mir die eingeflochtenen reifen Weizenähren, die alle tatsächlich einen ,Bart’ hatten, nämlich die sogenannten Grannen, dünne Borsten oder Haare“, erinnert sich Günther und fügt hinzu: „Shakespeares Welt und Weltwissen, geprägt vom ländlichen Herkommen und engem Verhältnis zu allem Natürlichen in spätmittelalterlicher Zeit, ist dem Großstadtmenschen von heute fremd und oftmals unverständlich geworden.“

Eine im wahrsten Sinne des Wortes anschauliche Ausstellung – die auf den Tafeln vorgestellten Pflanzen werden im Botanischen Garten durch ihren Duft und ihre optischen Reize lebendig. Allen Besuchern gibt Schneckenburger mit auf den Weg nach Hause: „Man sollte Shakespeare heute nur noch in einer kommentierten Ausgabe lesen. Viele Bezüge kann man nur so verstehen.“ Täglich bis 6.11. im Botanischen Garten Berlin-Dahlem. Geöffnet 9-20 Uhr (August), 9-19 Uhr (September), 9-18 Uhr (Oktober), 9-16 Uhr (November).

Joachim Göres

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