Baurechtsexperte zur Stadtentwicklung: "Berlins Politik fördert den Protest gegen Verdichtung"
Die Landesregierung macht sich erpressbar durch Bürger, sagt Baurechtsexperte Ulrich Battis und fordert vom Senat Mut zu Entscheidungen.
Herr Battis, Berlin will die Bürger bei Stadtplanungsfragen künftig noch stärker beteiligen. Ist das aus der Sicht eines Staatsrechtlers der richtige Weg?
Grundsätzlich ist Partizipation richtig und vernünftig. Ich habe über Bürgerbeteiligung Anfang der 70er Jahre habilitiert, da war so etwas noch vollkommen undenkbar. Jetzt ist das ein großer Trend. Die stärkere Öffentlichkeitsbeteiligung ist völker- und europarechtlich vorgegeben und sinnvoll. Dahinter stehe ich auch uneingeschränkt.
Aber?
Diese Beteiligungsform ruft oft Konflikte mit Entscheidungen von Repräsentativorganen hervor. Wir erleben das gerade exemplarisch in Berlin. Was hier gerade passiert, ist das klassische Nimby – „not in my back yard“. Nachverdichtungen gern, aber bitte nur dort, wo man nicht selbst wohnt. Doch das funktioniert nicht.
Die städtischen Wohnungsbaugesellschaften haben unlängst in einem gemeinsamen Brief an die Bausenatorin Lompscher darauf hingewiesen, dass die aktuelle Betonung der Partizipation durch den Senat auch „sehr individuelle“ Protesthaltungen unterstütze.
Die Berliner Politik muss sich in der Tat den Vorwurf gefallen lassen, dass sie solche Protesthaltungen fördert. Natürlich ist nicht jede Verdichtung sinnvoll, es gibt höchst zweifelhafte Fälle. Aber im Moment läuft das darauf hinaus, dass man das möglichst ganz unterbinden möchte, und die Politik gibt im Zweifel klein bei.
Seitdem die Nachbarn einen Hochhausbau auf der Fischerinsel verhindert haben, hat sich die Annahme entwickelt, dass Anwohner ein Veto-Recht besitzen.
Und genau das darf nicht sein. Es gibt kein Veto-Recht, das ist ja gerade der Punkt. Das ist eine vollkommene Fehlentwicklung. Der Fall Fischerinsel ist eine Kapitulation vor Einzelinteressen, im Grunde eine Selbstabschaffung der Politik. Wenn Sie einen Siedlungsdruck haben wie in Berlin und nichts dagegen machen, dann fliegt Ihnen das Ganze irgendwann um die Ohren. Da muss auch der Regierende Bürgermeister Müller, der ja lange genug Bausenator war, mal klare Worte finden.
Ein solches Durchregieren soll es unter Rot-Rot-Grün ja nicht mehr geben. Der aktuelle Senat verweist auf die Autonomie der Bezirke in Baufragen.
Das ist der falsche Weg in einer Stadt, die eine Einheitsverwaltung hat. Es ist schlicht eine Fehlentscheidung, dass Berlin auf eine notwendige zentrale Steuerung der Bauplanung verzichtet. Die Folgen dieser Herangehensweise zeigen sich ja nun: Die Bezirke erweisen sich als erpressbar und betreiben Klientelpolitik für Anwohner.
Die Begründung des Senats für diese Autonomie-Philosophie lautet, die zwölf Bezirke seien doch im Grunde jeweils eigene Großstädte.
Das stimmt, gemessen an der Einwohnerzahl. Man verweist gern auf ähnlich große Städte in Nordrhein-Westfalen. Aber dort wird das Zaunkönigverhalten mit einer sehr, sehr strikten Landes- und Regionalplanung eingedämmt, die den Kommunen zum Teil parzellenscharfe Vorgaben macht. In Berlin glaubt man, darauf verzichten zu können.
Was sollte Berlin also tun?
Ganz einfach: Der gesamte Senat, nicht nur Frau Lompscher, muss einfach politische Führung zeigen. Das ist in einer parlamentarischen Demokratie notwendig. Die Partizipationsäußerungen müssen gewürdigt werden, aber letztlich muss die Politik dennoch Farbe bekennen. Gemeinderäte und Parlamente müssen den Mut zu Entscheidungen zeigen. Sie dürfen sich nicht hinter den Bürgern verstecken und Proteste zum Anlass nehmen, gar nichts zu tun. Das führt auf Dauer zu tiefen Frustrationen und weiteren Missständen.
Und wie sollte Partizipation ganz konkret gestaltet werden?
Frühzeitig. Wenn die Firmen schon ihre Baugenehmigungen haben, ist es dafür zu spät. Sie sollte in der Bauleitplanung ansetzen, die Vorgaben machen das Baugesetzbuch und das Ausführungsgesetz. Klar muss aber sein: Partizipation ist kein Herrschaftsmittel, sondern in erster Linie ein Mittel demokratischer Kontrolle. Das bedeutet, man kann Alternativen vorbringen und inhaltlich alles diskutieren. Aber die Politik muss das in einem angemessenen Rahmen halten, die Argumente abwägen und dann entscheiden. Wofür werden die Leute sonst gewählt? Sonst kann man ja gleich das ganze System abschaffen.
Ulrich Battis berät derzeit die Kanzlei GSK Stockmann. Das Gespräch führte Christian Hönicke.
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