Nahverkehr: „Berlin hat die Entwicklung verschlafen“
Der öffentliche Nahverkehr ins Umland hat Defizite – an den Stadträndern werden Park+Ride-Plätze knapp. Und der Senat will Parkplätze mit Wohnungen überbauen.
Wer im Norden Berlins in diesen Wochen versucht, den Ersatzverkehr an der S 2 zwischen den S-Bahnhöfen Buch und Heinersdorf durch den Einsatz des eigenen Pkw zu umgehen, kann auf das Anfahren des Park + Ride-Parkplatzes Pasewalker Straße verzichten. Denn der ist kurz nach Sonnenaufgang zugeparkt. Das dürfte auch nach Abschluss der Bauarbeiten in wenigen Monaten zur Regel werden. Berlins Speckgürtel wächst, nicht nur hier. Doch Berlins Stadtentwicklungspolitik wächst nicht mit. Stattdessen hat sie erst einmal den Autofahrern den Kampf angesagt. Der Senat plant keine neuen Anlagen für Park + Ride in Berlin und hat in den letzten fünf Jahren keine Park+ Ride-Anlagen in Berlin errichtet. Dies geht aus der Antwort des Verkehrssenats auf eine parlamentarische Anfrage des CDU-Abgeordneten Danny Freymark im Berliner Abgeordnetenhaus hervor.
Zu den zum großen Teil hausgemachten Problemen der Metropole Berlin – knapper Wohnraum, volle S-Bahnen, ewige Staus – dürfte nun auch noch der Individualverkehrsinfarkt im Übergang ins Umland und in den an das S- und Regionalbahn-Netz angeschlossenen Umlandgemeinden kommen. Denn „im Berliner Stadtgebiet wird vor allem die Kombination von Fahrrad und Öffentlichem Personennahverkehr (ÖPNV) im Rahmen eines Investitionsprogramms mit den Berliner Verkehrsbetrieben und der S-Bahn gefördert“, wie es Stefan Tidow in Vertretung für die Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz formuliert.
Nach Informationen von Johannes Martin (CDU), Bezirksstadtrat Wirtschaft, Straßen und Grünflächen in Marzahn-Hellersdorf, wurden die Bezirke unterdessen von der Landesregierung gefragt, ob sie nicht auch auf Parkplätze zugunsten des kommunalen Wohnungsbaus verzichten könnten. Weil es straßenverkehrstechnisch keinen Unterschied zwischen Park + Ride-Anlagen und anderen Parkplätzen gibt, könnte es sogar so weit kommen, dass diese öffentlichen Parkplätze bebaut werden. Pankows Baustadtrat Vollrad Kuhn (Grüne) lässt Sympathie für eine solche Lösung durchblicken, wenn er sagt: Im Zuge der wachsenden Pendlerströme sei es nicht zu schaffen sein, ausreichend Park+Ride-Plätze zu schaffen. Man müsse auf andere Mobilitätsangebote setzen – „neben dem verstärkten Wohnungsbau an ÖPNV-Knotenpunkten“.
Wenige Flächenreserven in den Bezirken
Der Bezirk Treptow-Köpenick bemüht sich nach Angaben von Rainer Hölmer (SPD), Bezirksstadtrat für Bauen, Stadtentwicklung und öffentliche Ordnung, „seit vielen Jahren“ ohne Erfolg darum, „den Senat in Abstimmung mit dem Land Brandenburg – bzw. den Landkreisen und Gemeinden – zu verbindlichen konzeptionellen Planungen zur Erarbeitung eines funktionierenden P & R-Konzeptes zu bewegen“. Aber was der Senat nicht will, das will er offenbar nicht. Für den motorisierten Individualverkehr der Pendler aus dem Umland hat Berlin keinen Plan.
Hinzu kommt, dass keine bzw. nur sehr wenige Flächenreserven in den Bezirken zur Verfügung stehen. Darauf weisen sowohl Hölmer als auch Martin hin. „Selbst wenn Flächen zur Verfügung stünden, würde die Wohnungsbauleitstelle sofort intervenieren, wenn wir auf die Idee kämen, dort Parkplätze zu errichten“, sagt auf Anfrage der Wirtschaftsstadtrat von Marzahn-Hellersdorf. Martin erläutert weiter: „Eine zentrale Herausforderung bei den P+R-Plätzen ist die starke Nutzung durch die umliegenden Landkreise. Beispielsweise die Plätze am S-Bahnhof Ahrensfelde oder auch die am S-Bahnhof Mahlsdorf und U-Bahnhof Hönow sind zu einem großen Teil durch Kfz aus dem Brandenburger Umland ausgelastet. Dies hängt aus meiner Sicht mit zwei Themen zusammen: Einerseits die Frage der Tarifbereichsgrenzen. Hier hatten alle Randbezirke bereits in der Vergangenheit angeregt, über eine Verschiebung der Tarifbereichsgrenzen zu sprechen. Andererseits die zum Teil dichtere Taktung der Bahnen. So gibt es beispielsweise auf der Linie S 5 auf Brandenburger Seite aufgrund des 20- beziehungsweise 10-Minuten-Taktes teilweise Probleme überhaupt zuzusteigen. Daher wird von vielen der Weg nach Berlin gewählt, um dann den 10- bzw. 5-Minuten-Takt vorzufinden. Hier gibt es dringenden Nachbesserungsbedarf, um Verkehr bereits auf Brandenburger Seite auf den ÖPNV zu lenken. Im Übrigen gäbe es hier zum Teil auch noch Platzressourcen und die Bereitschaft P + R-Plätze entlang dieser Bahnhöfe zu erweitern bzw. neu anzulegen. Allerdings wäre dies eine gemeinschaftliche Aufgabe von Berlin und Brandenburg.“
Auch im Umland gibt es kein Platz
Zweifellos sind diese Probleme nicht neu und auf allen Tangenten, die ins Umland führen, zu beobachten. Die Zahlen der Einpendler nach Berlin steigen, wenig überraschend. Nur reagiert die Landesregierung nicht darauf. Für Berlin verzeichneten die offiziellen Statistiker jeweils zum Stichtag 30. Juni für das Jahr 2014 noch 266 909 Einpendler, bereits drei Jahre später waren es 309375 Menschen – errechnet auf der Basis der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten. Zahlen für den 30. Juni 2018 liegen noch nicht vor.
Ob es im Umland an den S-Bahn-Höfen Platzressourcen gibt, ist sehr die Frage. „Viele Kommunen in Brandenburg nehmen inzwischen Abstand vom (Aus-)Bau von P+R-Anlagen, denn dieser stößt inzwischen an Grenzen“, sagt Elke Krokowski, Sprecherin des VBB Verkehrsverbundes Berlin-Brandenburg GmbH auf Anfrage: „Gründe sind zum Beispiel Mangel an Flächen in Bahnhofsnähe, hohe Grundstückspreise, kein oder wenig Nutzen für andere Bevölkerungsgruppen.“
Park + Ride-Plätze entlasten Innenstädte
Politisch ist der Ausbau oder gar der Neubau von Park + Ride-Flächen weder in Berlin noch in Brandenburg gewollt. „Gemeinsames Ziel ist es, dass mehr Menschen den öffentlichen Nahverkehr benutzen“, sagt eine Sprecherin des Infrastrukturministeriums Brandenburgs auf Anfrage. Unumwunden bestätigt sie: „An fast allen S- und Regionalbahnstationen in Brandenburg, vor allem im Berliner Umland, sind bereits P+R-Anlagen vorhanden. Die meisten dieser Anlagen sind ausgelastet, bei vielen übersteigt die Nachfrage das Angebot. Davon betroffen sind vor allem Stationen, die ein dichtes Bahnangebot haben – zum Beispiel Falkensee, Erkner, Bernau.“ Aus Sicht des Landes Brandenburg sei es wichtig, einen ausreichenden Zubringerverkehr mit Bussen zu jeder Bahnstation zu organisieren. Diesen Punkt betont auch VBB-Sprecherin Krokowski.
Jörg Becker, Verkehrsexperte des ADAC Berlin-Brandenburg, pocht für die Autofahrer darauf, dass der ursprüngliche Foto: Reinhart Bünger – von den Landespolitikern besser berücksichtigt wird. Er schlägt vor allem Änderungen der Tarifstruktur des ÖPNV – mit ihren Tarifzonen ABC – vor: „Da muss es kleine Leckerli geben“, sagt Becker. So könne verhindert werden, dass – um Geld für die Fahrkarte zu sparen – mit dem Auto eine preiswertere Zone angefahren wird. Auf einer Strecke solle man versuchen, den ABC-Tarif mit der Garantie auf einen Park+Ride-Parkplatz zu verbinden. Dies sei besser, als irgendwann riesige Probleme in den Innenstädten zu haben. „Zunächst muss der Nahverkehr erweitert werden. Wenn das gelungen ist, kann man erst darüber nachdenken, den Autoverkehr aus der Stadt herauszudrängen. Berlin hat die Entwicklung verschlafen.“