Wilhelmstraße: Bei der Platte dreht sich alles um den Abriss
Der Streit um den Abriss der Plattenbauten in der Wilhelmstraße 56–59 geht wohl vor Gericht. Vier Mieter wollen bleiben – komme, wer wolle.
Der Streit um den Abriss der Plattenbauten in der Wilhelmstraße 56–59 könnte ein Fall für die Gerichte werden. Darauf deuten Signale aus der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung hin. Dort geht man davon aus, einen möglichen Bauantrag der Eigentümergesellschaft Wilhelmstraße 56–59 Immobilienentwicklungs GmbH nach einer Oberverwaltungsgerichtsentscheidung von 2007 genehmigen zu müssen. Dies bedeute aber nicht, dass gleichzeitig die Aufhebung der letzten Mietverhältnisse ebenfalls zu bewilligen sei.
Somit könnten sich die Investoren aus Österreich bald vor einer paradoxen Situation wiederfinden: Sie haben eine gültige Baugenehmigung für ein nobles „Palais Berlin“ im Art-Deco-Stil, etwa wie beim Adlon-Hotel um die Ecke, aber können den Abriss des noch am vorgesehenen Bauplatz stehenden Plattenbaus aus der End-DDR-Zeit nicht in die Wege leiten, weil einige wenige Bewohner auf ihren unkündbaren Mietverträgen beharren.
Bei dieser Auseinandersetzung geht es offenbar ums Prinzip. Martin Pallgen, Pressesprecher der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt, gibt die Richtung vor, wenn er sagt: „Das wird dann vor dem Verwaltungsgericht entschieden.“ Zolt Farkas, der Beauftragte der Eigentümer, hat sich gewundert, dass nun die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung eingreift. Denn erst am 15. Dezember 2014 haben die Investoren eine neue aktualisierte Bauplanung beim Bezirksamt Mitte eingereicht. Dieser Antrag wird derzeit noch geprüft. Wann eine Baugenehmigung erteilt werden könne, sei im Augenblick nicht zu sagen, heißt es im Amt.
Vier Mieter verweigern sich jeglichen Kontakten
Die Senatsverwaltung sieht sich aber zu der Intervention befugt, weil das Grundstück Wilhelmstraße 56–59 Teil der „Entwicklungsmaßnahme Hauptstadt“ ist, sagt Pallgen. Zurzeit liege kein Antrag auf Aufhebung der Mietverträge vor. Wie berichtet, sind in dem Gebäude nahe dem Brandenburger Tor von rund 100 Wohnungen noch 36 vermietet. Mit 23 Mietern wurden nach Auskunft der Eigentümer, denen seit dem Jahreswechsel der Komplex gehört, in den vergangenen Wochen Aufhebungsverträge geschlossen. Mit weiteren Mietparteien befinde man sich in Gesprächen. Vier würden sich jeglichen Kontakten verweigern.
Die Kommune könne – so sieht es die Senatsverwaltung – nach dem Baugesetzbuch § 182 Absatz 3 auf Antrag des Eigentümers Mietverhältnisse aufheben. „Voraussetzung ist allerdings, dass mit der Durchsetzung der Entwicklungsmaßnahme die Fortführung der Mietverhältnisse nicht mehr zumutbar ist. Dies ist hier nicht der Fall“, betont Sprecher Pallgen. Der vorherige Eigentümer habe das Gebäude nicht nachhaltig gepflegt, das Grundstück habe „ein höheres Bebauungspotenzial“.
Die Senatsbehörde hat sogar schon geprüft, ob sie einem Antrag auf Aufhebung der Mietverträge zustimmen müsse. „Das wurde verneint“, heißt es in einer Stellungnahme. Und weiter: „Das Entwicklungsziel Wohnen (gemäß Bebauungsplan) ist durch das bestehende Wohngebäude gehalten.“ Doch ist der Senat durch eine Entscheidung beim Oberverwaltungsgericht aus dem Jahr 2007 auch gebunden, einen neuen Bauantrag genehmigen zu müssen. Weiterhin haben die letzten Mieter Schutz gegen ein Sonderkündigungsrecht. Das müssten sie sich nach Ansicht der Behörde aber selber gerichtlich bestätigen lassen. Gleichzeitig werden den Mietern bis zu sechsstellige Summen für einen freiwilligen Auszug von den potenziellen Bauherren angeboten.
Bürgerinitiative Wilhelmstraße: "Der mietvertragliche Schutz ist einzigartig"
Zolt Farkas, der Bevollmächtigte der Eigentümerseite, sagte: „Wir versuchen weiterhin, mit allen noch verbliebenen Mietparteien im Dialogweg Lösungen zu finden, und hoffen, dass dies klappt. Unrealistischen Forderungen können wir aber nicht nachgeben.“ Vor dieser verzwickten Gemengelage sind für kommende Woche Gespräche der Eigentümer bei der Senatsverwaltung angesetzt. Dabei soll es „um die Besprechung der eingereichten Modifikationen“ für die Baugenehmigung gehen, ist von der PR-Agentur der Wilhelmstraße 56–59 Immobilienentwicklungs GmbH zu hören. An diesen Gesprächen wird auch ein Sachbearbeiter des Stadtplanungsamtes im Bezirk Mitte teilnehmen.
Die Entwürfe für das „Palais Berlin“ werden vom Architektenbüro „Patzschke Schwebel Planungsgesellschaft“ gezeichnet. Neue Skizzen mit Modifikationen an der Fassade, über die kommenden Woche auch in der Senatsverwaltung beraten werden soll, könnten in etwa vier Wochen vorgelegt werden, sagen die Eigentümer.
Die Bürgerinitiative Wilhelmstraße hingegen hat auf ihrer Internetseite in einer umfangreichen Erklärung mit der Überschrift „Kein Mieter muss ausziehen, kein Haus wird abgerissen, keine Angst!“ ihre Rechtsauffassung bekräftigt, wonach sich niemand „rauskaufen“ lassen muss. „Der mietvertragliche Schutz ist einzigartig“, erklärt der Vorstand. Zudem möge sich jeder überlegen, was eine Wohnung in ähnlicher Lage die nächsten Jahre zusätzlich kosten wird. Zur Motivation der Bürgerinitiative wird betont: „Es geht darum, wohnen zu bleiben. Darauf haben die Menschen ein Recht.“ Die Fronten sind verhärtet. Der Streit um Platte oder Palais am Brandenburger Tor ist noch lange nicht zu Ende.
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