Wilhelmstraße: Neue Dialogkultur ohne Gesprächsbedarf
Mieterinitiative Wilhelmstraße boykottiert Informationsabend zum Abriss der Plattenbauten.
Wie können Mieter zum Auszug aus ihrer Wohnung bewegt werden, wenn sie einen formal unkündbaren Vertrag in der Tasche haben? Diese Frage stellt sich für den neuen Eigentümer des Wohnblocks Wilhelmstraße 56-59 im Bezirk Mitte gleich um die Ecke vom Brandenburger Tor. Die Abrissgenehmigung ist da, der Antrag für den Neubau wird gerade überarbeitet. Auf dem Grundstück in prominenter Umgebung soll ein schickes Palais entstehen.
Noch wohnen 35 Mieter in dem Plattenbau aus der Wendezeit. Die Wohnlage ist natürlich gut, auch wenn das Haus nicht mehr so recht in die Umgebung zu passen scheint. Das Grundstück liegt im städtebaulichen Entwicklungsbereich „Hauptstadt Berlin – Parlaments- und Regierungsviertel“. Warum soll die Platte hier weichen? „In einem Entwicklungsgebiet sind alle verändernde Maßnahmen für ein Grundstück genehmigungspflichtig“, sagt Martin Pallgen, Pressesprecher der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt, auf Anfrage.
Dass es zu einer Abrissgenehmigung für die Wilhelmstraße 56-59 kam, hat denn auch eine besondere Geschichte. Am 11. Oktober 2007 habe das Oberverwaltungsgericht Teile des Bebauungsplans, in dessen Geltungsbereich das besagte Grundstück liegt, für unwirksam erklärt, sagt Pallgen. Mit der in dem alten Plan festgeschriebenen „Baukörperausweisung“ sollte der Gebäudebestand ursprünglich gesichert und vor Abriss geschützt werden, weil es sich um ein Wohngebäude handelt. „Dieses Ansinnen“, so erklärt der Sprecher weiter, „hat das Oberverwaltungsgericht für nichtig erklärt, da der grundgesetzliche Schutz des Eigentums und die enge Einschränkung der freien Nutzung des Eigentums ‚Boden' in nicht nachvollziehbarer Härte eingeschränkt worden war.“ In Folge dieser Gerichtsentscheidung musste dann die Genehmigung für den Abriss erteilt werden.
Die neuen Eigentümer suchen den Dialog
Wenn sich eine städtebauliche Entwicklungsmaßnahme nachteilig auf die im Gebiet wohnenden Menschen auswirkt, besteht nach Paragraf 180 Baugesetzbuch eine Pflicht zu einem Sozialplanverfahren. Dafür wurde vom Senat die unabhängige Mieterberatungsfirma argus GmbH beauftragt. In dem Verfahren sollen die Mieter mit Entschädigung zum Auszug bewegt werden. Aber scheiden tut bekanntlich weh.
Im vergangenen Jahr hat nun die „Wilhelmstraße 56-59 Immobilienentwicklungs GmbH“ den Block mit insgesamt knapp 100 Wohneinheiten erworben. Sie setzt auf eine „neue Dialogkultur im Verhältnis zwischen Mietern und Vermietern“, wie es in einer Mitteilung heißt. Zsolt Farkas ist der Sprecher der neuen Eigentümer. „Für mich steht der Mensch im Vordergrund. Wir wollen erst einmal wissen, welche Interessen der einzelne Mieter hat, und dann schauen, ob wir zusammen kommen können“, beschreibt er die Philosophie des Unternehmens.
Damit die Betroffenen persönlich mit der Eigentümergesellschaft in Kontakt treten können, wurde ein Büro als Anlaufstelle eröffnet. Die Mieter erhielten die Einladung zu einem Informationsabend und zu Gesprächen über mögliche Aufhebungsvereinbarungen. Aber die Bürgerinitiative Wilhelmstraße streute Sand ins Getriebe. „Mit Verwunderung“, so Farkas, habe man zur Kenntnis genommen, dass zum Boykott des Treffens aufgerufen wurde, „obwohl wir intensiv versucht haben, im konstruktiven Dialog Lösungswege zu finden“. Zum Gesprächsabend am Donnerstag kamen dann auch nur wenige Mieter.
Die Mieterinitiative lehnt jeden Eingriff kategorisch ab
Der Geschäftsführer der Eigentümergesellschaft, Oliver von Sachs, erklärte dazu: „Wir haben alles in die Wege geleitet, um den Interessen der Mieter gerecht werden zu können.“ Dazu zählten „großzügige Abfindungsangebote, die Übernahme der Umzugskosten und die Vermittlung von adäquaten Ersatzwohnungen“. So stehe für auszugswillige Mieter - auch im Falle eines Wohnungstausches – als Basis ein „Sockelbetrag“ zur Verfügung, der durch besondere Merkmale wie Wohnungsgröße, Mietvertragslaufzeit und Kinder noch aufgestockt werden könne. Für Härtefälle, etwa bei altersbedingten Einschränkungen, gebe es weitere Hilfsangebote, heißt es.
Die 2009 gegründete Mieterinitiative Wilhelmstraße Initiative lehnt jedoch jeden Eingriff in dem einst als sozialistisches Vorzeigeprojekt errichteten Ensemble kategorisch ab. „Kein Haus wird abgerissen“, erklärte ihr Sprecher Daniel Dagan erst vor Kurzem. „Nach unserer Überzeugung sollen hier keine Luxus-Objekte entstehen“, schrieb man in einem Brief an die Eigentümer. Für den Herbst 2015 wurde zu einer „Bürgerversammlung“ eingeladen.
Die Initiative setzt sich für das gesamte Areal zwischen Behren- und Voßstraße ein, nicht nur für den auf der östlichen Seite befindlichen Block mit den Hausnummern 56-59. Westlich der Wilhelmstraße gibt es weitere rund 900 Wohnungen im Plattenbau, die sich im Besitz anderer Eigentümer befinden.
Die Investoren von der Wilhelmstraße 56-59 Immobilienentwicklungs GmbH wollen aber lediglich mit den verbliebenen Mietern aus der Wilhelmstraße 56-59 zu Vereinbarungen kommen. Dabei wird, so betonen sie, der beim Verkauf der Wohnungen von der landeseigenen Wohnungsbaugesellschaft Mitte (WBM) an den damaligen Neueigentümer im Jahr 2003 verabredete Kündigungsschutz respektiert. „Wir sind Kaufleute, aber in erster Linie Menschen und versuchen, uns gegenseitig zu verstehen“, sagt Zsolt Farkas, „und möchten, dass am Ende alle mit einem Lächeln auseinandergehen.“ Ob dieser Wunsch in Erfüllung geht, muss die Zukunft zeigen.
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