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Abriss darf kein Tabu sein, findet die Bauindustrie. In Berlin sind angeblich 45.000 Gebäude mit rund 175.000 Wohnungen energetisch nicht sinnvoll zu sanieren.
© Kara/Fotolia

Energetische Sanierung contra Neubau: Bauwirtschaft fordert Förderung von Abriss

Verbände sehen den Bestandsersatz gegenüber der reinen Sanierung diskriminiert und wollen ein Umschwenken bei der Vergabe von KfW-Mittel.

Verbände der deutschen Bauwirtschaft ärgern sich über eine vermeintliche Schlechterstellung, wenn es um die Frage Abriss oder Modernisierung von Altbauten geht. Sie legten in dieser Woche in Berlin eine Untersuchung über den sogenannten Bestandsersatz älterer Wohnungen vor, die durch altersgerechte Neubauten ersetzt werden könnten, die zudem energetisch auf der Höhe der Zeit wären.

Allein in Berlin seien 45.000 Wohngebäude mit rund 175.000 Wohnungen reif für die Abrissbirne, erklärten die Verbände – darunter der Zentralverband Deutsches Baugewerbe (ZDB), der Bundesverband Baustoffe – Steine und Erden, die Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt, die Deutsche Gesellschaft für Mauerwerks- und Wohnungsbau sowie der Bundesverband Freier Immobilien- und Wohnungsunternehmen (BFW). Sie alle fühlen sich vom Bund schlechter gestellt, wenn um Modernisierungen und Sanierungen von Gebäuden aus den 50er, 60er und 70er Jahren geht.

Zwei Drittel der Wohngebäude in Deutschland seien vor 1979 errichtet worden, als die erste Wärmeschutzverordnung in der Praxis angekommen sei, sagte Dietmar Walberg, Leiter der Studie „Bestandsersatz 2.0 – Potenziale und Chancen“, die von der Bundesforschungseinrichtung ARGE Kiel und dem Prestel-Institut Hannover erarbeitet wurde. Von den 1,9 Millionen Wohnungen in Berlin wurden nach Angaben des Prestel-Instituts knapp 1,43 Millionen vor 1979 gebaut. „Der weitaus überwiegende Teil dieser Wohnhäuser ist im Laufe der Jahre nicht modernisiert worden“, sagte Walberg.

Fördermittel erzeugen "Fehlanreize"

„Soll der vorhandene Wohnungsbestand wirtschaftlich sinnvoll zugleich altersgerecht und energieeffizient saniert werden, zeigt die Analyse realisierter Objekte, dass der Abriss und Neubau von Wohngebäuden samt Mietermanagement in vielen Fällen günstiger als eine entsprechende Vollsanierung ist“, heißt es in der Studie. „In der wirtschaftlichen Betrachtung“, sagte Matthias Günther von Prestel-Institut, „produzieren wir mit Hilfe von KfW-Mitteln ein energieeffizientes Haus, das nicht an den Neubau herankommt.“

Durch die Fördermittel der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) würden somit „Fehlanreize“ erzeugt, sagte Felix Pakleppa, ZDB-Hauptgeschäftsführer. Die Verbände kritisierten, dass „die heutigen KfW-Kredite Modernisierungen fördern, die lediglich Ansprüche erfüllen, die im Neubau als Standard vorgeschrieben und dort nicht förderfähig sind“. Der Ersatz nicht mehr zeitgemäßer Bausubstanz werde dadurch schlechter gestellt und „letztlich tendenziell behindert“.

Die Bauwirtschaft fordert deshalb die Förderung von Abriss- und Neubaumaßnahmen: Die Kriterien für die Förderung von Vollmodernisierungs- und Bestandsersatzmaßnahmen seien zu überprüfen und „so anzupassen, dass Bestandsmaßnahmen auch vollumfänglich förderfähig werden“.

Baurechtliche Hürden für den Bestandsersatz sollten gesenkt werden

Dies könne so gestaltet werden, dass einerseits der Abriss von leerstehenden Gebäuden, die technisch oder wirtschaftlich nicht sanierungsfähig und gleichzeitig nicht ortsbildprägend oder städtebaulich erhaltenswert sind, über einen Zuschuss und andererseits der Ersatzneubau mithilfe zinsverbilligter Darlehen gefördert wird.

Eine solche Kombi-Förderung könne in bestehende KfW-Programme integriert werden. In jedem Falle müsse die förderrechtliche Diskriminierung des Bestandsersatzes gegenüber der reinen Sanierung beendet werden. Bundesweit errechneten die Autoren der Studie ein Potential von rund 1,8 Millionen Gebäuden mit rund 3,5 Millionen Wohnungen, bis besser abgerissen als saniert würden. Dies entspreche zwischen neun und zehn Prozent des gesamten Wohnungsbestandes.

Die genannten Verbände der deutschen Bauwirtschaft und der BFW appellierten an den Gesetzgeber, das Baurecht zu novellieren. Heute laufe ein Investor Gefahr, dass Ersatzneubauten in den bisherigen Dimensionen des Altgebäudes nicht mehr genehmigt, nachbarschaftsrechtlich angegriffen oder mit aufwendigen Auflagen versehen werden – zum Beispiel, wenn es um die Einhaltung von Abstandsflächen und die Schaffung von Tiefgaragenplätzen gehe. Die baurechtlichen Hürden für den Bestandsersatz sollten deshalb gesenkt werden.

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