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Grüne Mitte. Im Quartier soll ein großer Park entstehen. Welcher Architekt zum Zuge kommt, steht noch nicht fest.
© Simulation: Grüntuch Ernst Architekten

Güterbahnhof Wilmersdorf: Bauvorhaben "Friedenauer Höhe" geht endlich voran

Nach siebenjähriger Entwicklungsarbeit soll das neue Stadtviertel für mehr als 2000 Menschen bis 2022 entstehen. Knapp 300 Millionen Euro fließen in das Projekt.

Wir brauchen Freiflächen und frische Luft!, rufen die einen. Neue Wohnungen haben Priorität!, kontern die anderen. Unschwer zu erraten, welche Fraktion sich dieser Tage durchsetzt. Allem Anschein nach wird nun tatsächlich eines der größten Wohnungsbauvorhaben der jüngsten Zeit in Berlin umgesetzt. Auf dem ehemaligen „Güterbahnhof Wilmersdorf“, gelegen im Ortsteil Friedenau des Bezirks Tempelhof-Schöneberg, sollen auf 65 000 Quadratmetern parallel zu S-Bahn-Gleisen und Stadtautobahn etwa 940 Wohnungen, davon 235 gefördert vom Land Berlin, für mehr als 2000 Menschen entstehen.

Das neue Stadtquartier „Friedenauer Höhe“ wird ergänzt durch einen hohen Hotelbau an der Hauptstraße, einen Supermarkt sowie andere Dienstleister. Eigentumswohnungen sind (bisher) nicht vorgesehen. Das Gelände war 2010 von der Deutschen Bahn an den Projektentwickler Böag aus Hamburg verkauft worden. Die Gesamtentwicklung des Quartiers wird bis voraussichtlich 2022 schrittweise abgeschlossen. Die Investitionssumme beträgt knapp 300 Millionen Euro.

Nach einem symbolischen Spatenstich am 16. September 2016 mit lokaler Politprominenz und nahezu unbemerkt von der Öffentlichkeit gab es noch einmal eine kleine Schockwelle für die Entwickler. Da kein größeres Bauvorhaben in Berlin mehr ohne das gleichzeitige Errichten von gefördertem Mietwohnungsbau stattfinden kann, hatte der Hamburger Projektentwickler Böag darauf gesetzt, eine der städtischen Wohnungsbaugesellschaften ins Boot holen zu können. Da intensive Gespräche der Böag mit „Stadt und Land“ ohne Ergebnis blieben, stand das gesamte Projekte ein Weilchen auf des Messers Schneide.

Den Anteil geförderter Mietwohnungen werde die Böag selbst errichten

Bis Anfang Juli. Böag-Vorstand Lars Böge konnte verkünden, er habe die OFB Projektentwicklung GmbH als Partner gewinnen können. Die OFB, ein Unternehmen in der Immobiliengruppe der Landesbank Hessen-Thüringen (Helaba), hält nunmehr 75 Prozent an dem Joint Venture, die Böag 25 Prozent. Wie zu Beginn großer Vertragsabschlüsse üblich, gibt es auch hier hehre Worte. Etwa von Klaus Kirchberger, Vorsitzender der Geschäftsführung der OFB: „Auf einer ungenutzten Fläche wird das entstehen, was die Stadt am meisten braucht: attraktive Mietwohnungen mit unterschiedlichen Größeneinheiten in einem zentralen und städtebaulich integrierten Quartier.“

Lars Böge freut sich vor allem, dass sein Unternehmen nach siebenjähriger Entwicklungsarbeit weiter dabei sein wird. Und: „Wir können jetzt die Fertigstellung der gemeinsam mit Bürgern, Verwaltung und Politik erarbeiteten Gestaltungslösung durchführen.“ Es werde ein „nahezu autofreies Wohnquartier mit der für ein modernes Leben notwendigen Urbanität“ entstehen. Den Anteil geförderter Mietwohnungen (25 Prozent) werde die Böag selbst errichten und die Gebäude etwa 30 Jahre im Bestand halten. Wie Baustadtrat Jörn Oltmann (Grüne) auf Anfrage mitteilt, sei es jedoch nicht ausgeschlossen, dass „eine städtische Wohnungsbaugesellschaft nachfolgende Bauabschnitte übernimmt“.

Wer die Entwicklung des Projekts auf den verschiedenen Ebenen über sieben Jahre zurückverfolgt, erkennt, dass die „Friedenauer Höhe“ mit einem sehr aufwendigen, von der Böag finanzierten Werkstattverfahren gekoppelt war, an dem Bürger, Stadtplaner, Architekten und Gutachter beteiligt waren. Ganz wesentliche Teile des Verfahrens liefen über den Schreibtisch der früheren Baustadträtin Sibyll Klotz (Grüne). Sie war zu Neuwahlen im vergangenen Jahr nicht mehr angetreten, hatte jedoch ihrem Nachfolger und dem Senat ins Stammbuch geschrieben, solche Beteiligungsverfahren solle es bei entsprechender finanzieller Ausstattung der Bezirke für alle größeren Bauvorhaben der Stadt geben.

Kritiker fordern Raum für kulturelle Nutzung

Wie so oft: Darüber, wie stark die Bürger in Entscheidungsprozesse tatsächlich eingebunden und gehört werden, gehen die Meinungen auseinander. Zu den hartnäckigsten Kritikern des Vorhabens zählen zwei Männer, die mit „friedenau-aktuell.de“ unter anderem eine engagierte Internetseite betreiben. Der Publizist Peter Hahn und der Historiker Jürgen Stich mischen sich ein, stoßen Diskussionen an – und das wahrlich nicht allein in Friedenauer Angelegenheiten – , wo es nur eben geht. Sie meinen, die Bürgerinteressen seien auch in diesem Fall nicht zum Tragen gekommen. Den Bedarf an bezahlbarem Wohnraum verkennen sie keineswegs. Gleichwohl befinden sie, der „Neubauwahn engt die Freiräume für die Allgemeinheit zunehmend ein. Die letzten Freiflächen werden zu einem bedrohten Gut. (… ) Die Vereinnahmung und Kommerzialisierung der 6,4 ha des ehemaligen Güterbahnhofs Wilmersdorf … verschärft die sozialen und ökologischen Probleme.“

Sie und andere hätten gern gesehen, wenn mit dem ehemaligen Güterbahnhof ein Detail der Berliner Entwicklungsgeschichte erhalten geblieben wäre. In den inzwischen abgerissenen Güterschuppen und Gleichstromgebäuden hätte zum einen dringend benötigter Raum für kulturelle Nutzung entstehen können. Zum anderen wären die Freiflächen ideal für Spiel- und Sportplätze gewesen, die ebenfalls Mangelware im Bezirk sind.

Der grüne Stadtrat Jörn Oltmann, der seit November 2016 in Tempelhof-Schöneberg für Stadtentwicklung und Bauen zuständig ist, sieht das qua Amt anders. Der Bebauungsplan Wilmersdorf 7-68 wurde nach intensiver Bürgerbeteiligung im Einvernehmen zwischen Politik, Verwaltung und Investor im August 2016 rechtskräftig festgesetzt. Das Verfahren sei jetzt abgeschlossen.

Welcher Entwurf zum Zuge kommt, steht noch nicht fest. „Da sind wir in der Findungsphase mit diversen Architekturbüros“, sagt Henning Tants, Verwaltungswirt, Baufachmann, seit Jahrzehnten politischer Strippenzieher in Hamburg und Allzweckwaffe der Böag. In jedem Fall soll in der Mitte des Quartiers eine 12 000 Quadratmeter große öffentliche Parkanlage mit Kinderspielplätzen und Erholungsflächen entstehen. Der Autoverkehr wird weitgehend unterirdisch rollen, so dass für die Bewohner oberirdisch ein fast autofreier Eindruck entsteht.

Die Bewohner der Bennigsenstraße sehen das Projekt mit gemischten Gefühlen

Die bauvorbereitenden Arbeiten haben bereits im vergangenen Winter stattgefunden, alte Gebäude wurden abgerissen, Vegetation entfernt. Mit dem Bauaushub solle Mitte 2018 an der Handjerystraße begonnen werden, sagte Lars Böge bei einer Baustellenbegehung Anfang Juli. Der erste Bauabschnitt werde den Bereich „geförderter Wohnungsbau“ umfassen. Dort soll auch eine Kindertagesstätte mit 85 Plätzen entstehen. Zug um Zug werden anschließend die weiteren Baufelder gen Hauptstraße erschlossen. Ob auch Eigentumswohnungen dabei sein werden? Henning Tants will das nicht ganz ausschließen. „Es wird von der Nachfrage abhängen“, sagt er.

Die Bewohner der südlich des Projekts parallel verlaufenden Bennigsenstraße sehen das Ganze mit gemischten Gefühlen. In manchem können sie frohlocken: Dem Lärm von den nahen Gleisen sowie von der Stadtautobahn wird im wahrsten Sinne des Wortes ein Riegel vorgeschoben. Auch eine Verschattung müssen sie nicht befürchten, die Neubauten entstehen nördlich ihrer Straße und werden die vier- bis fünfgeschossigen Häuser nicht überragen. „Klar, der Verkehr wird zunehmen und die Parkplatzsituation wird möglicherweise noch schlechter als bisher schon“, sagt ein Anwohner aus Haus Nummer 9, der eben sein Auto abgestellt hat. „Aber die Menschen müssen ja irgendwo wohnen.“

Wie gut die Bewohner der neuen Wohnungen an Gleisen und Autobahn vor Lärm geschützt werden, wird letztlich vom Architektenentwurf abhängen. Bei der jüngsten Baustellenbegehung war zu hören, Fenster und notwendige Lüftungsöffnungen zur Nordseite sollten „so klein wie möglich“ gehalten werden. Die Ausrichtung der Wohnungen weise hauptsächlich gen Süden.

Die Erschließung des neuen Quartiers soll überwiegend von der Hauptstraße aus erfolgen. Hier ist für Bewohner eine Zufahrt zum größeren Teil der Tiefgarage geplant. Da die geförderten Wohnungen am entgegengesetzten Ende, an der Handjerystraße, vorgesehen sind, wird es dort eine weitere Garageneinfahrt zu den entsprechenden Stellplätzen geben. Derzeit befindet sich an der Handjerystraße noch ein Edeka-Markt in einem Flachbau. Die Bauherren stellen sich an der Stelle jedoch ein Gebäude höher als die Berliner Traufhöhe von 22 Metern vor, in dessen Erdgeschoss der Markt dann einziehen könnte. Man sei mit dem Lebensmittelhändler im Gespräch, heißt es.

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