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Mit dem Europarc Dreilinden erstreckt sich heute längs der Autobahn ein gesichtsloses Gewerbeareal.
© pa/Ralf Hirschberger/dpa

Stadtentwicklung: Am Checkpoint Bravo könnten neue Wohnungen und Häuser entstehen

Berlin besitzt in Dreilinden Waldflächen. Spielt Brandenburg mit, ist hier Platz für Neubauten.

Diese Vereinbarung könnte weit in die Zukunft weisen. Wenn tatsächlich auch umgesetzt wird, was am Dienstag nach einer gemeinsamen Sitzung der Kabinette von Berlin und Brandenburg in Neuhardenberg offiziell verkündet wurde: „Einig waren sich die beiden Landesregierungen“, so heißt es in einer Pressemitteilung des Landes Brandenburg, „dem stetig wachsenden Bedarf an Wohnungen durch Neubau Rechnung zu tragen und hierbei eng zusammenzuarbeiten. In den berlinnahen Regionen von Brandenburg sollen neue Wohnungen und Häuser vorrangig entlang der Haltepunkte des Schienennahverkehrs entstehen.“ An welche Flächen man genau gedacht hatte, wurde nicht mitgeteilt. Welche Flächen sich aber – unter anderen – in herausragender Weise anbieten würden, untersucht dieser Beitrag: In jeder Hinsicht naheliegend wäre Dreilinden.

Am 30. Oktober 1909 erwarb die Kolonie Dreilinden GmbH von den Rittergutsbesitzern Hake für 700 000 Mark 212,5 Morgen Waldland (53 ha zu 1,32 Mark je m²), um darauf eine Landhaussiedlung vorstädtischer Prägung zu errichten. Sie war ein typisches Projekt der damaligen Zeit und versprach am Rand des stürmisch wachsenden Berlins ein sicheres Geschäft zu werden. Mit dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs sowie den politischen und sozialen Umbrüchen der Nachkriegszeit geriet die Gesellschaft jedoch auf schwieriges Terrain. Hinzu kamen komplizierte Vereinbarungen mit der Berliner Synode zum Bau einer neuen Bahnlinie nach Stahnsdorf, Unstimmigkeiten mit der Gemeinde Kleinmachnow über die Bebauung sowie Hindernisse bei der Abwicklung des Kaufvertrags mit den Gebrüdern Hake. Das Vorhaben kam über wenige Verkäufe, einige Parzellierungen und Erschließungsmaßnahmen nicht hinaus. Schließlich veräußerte die Gesellschaft aus finanzieller Not heraus ihren Grund und Boden 1927 an die Stadt Berlin. Dort liegt er noch heute, wird vom Berliner Forstamt Grunewald verwaltet und befindet sich auf Brandenburger Gebiet in der Gemeinde Kleinmachnow.

Kleinmachnower Gemeindevertreter wollen keine Neubauten

Dreilinden wäre wahrscheinlich gänzlich unbekannt, wäre es zur Zeit des Kalten Kriegs nicht als „Checkpoint Bravo“ berühmt und während der Teilung zum wichtigsten Grenzkontrollpunkt im Transitverkehr nach West-Berlin geworden. Seit 1990 liegt das Gebiet wieder im alten Dämmerzustand und ist ein tristes Beispiel für das Fehlen jeglicher Stadtentwicklung im Übergang beider Länder. Was nach 1945 zerfiel und mit dem Mauerbau 1961 zerbrach, wurde nicht wieder hergestellt. Mit dem Europarc Dreilinden, unmittelbar an Berlins Stadtgrenze, erstreckt sich heute längs der Autobahn ein gesichtsloses Gewerbeareal. Möglicherweise hätte alles anders ausgesehen, wäre die alte Stammbahn zwischen Berlin und Potsdam sowie die Verbindung von Wannsee nach Stahnsdorf intakt geblieben oder nach der Einheit zumindest erneuert worden. Ziemlich sicher besäße Dreilinden bei günstiger Verkehrsanbindung heute ein anderes Gesicht. Immerhin ist es für einen dritten Anlauf zur Entwicklung des Areals zwischen der demontierten Stammbahn im Norden, dem Teltowkanal im Süden sowie innerhalb fester Grundstücksgrenzen parallel zur einstigen Friedhofsbahn nicht zu spät.

Für die volle Ansicht des Lageplans klicken Sie bitte auf das rote Kreuz.
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© Tsp

Seit einiger Zeit wird in Kleinmachnow ein überschaubares Projekt an historischer Stätte diskutiert. 158 Wohneinheiten sollen nahe Gewerbepark und Autobahn auf einem schmalen Teilareal der alten Kolonie Dreilinden entstehen. Einigen Gemeindevertretern geht bereits das zu weit. Sie suchen jedes erdenkliche Argument, um Neubauten zu verhindern. Abgesehen von der moralischen Schieflage, dass Menschen, die selbst angenehm wohnen, gleiches anderen missgönnen und ihnen die Nachbarschaft verwehren: Sie übersehen die Zeichen der Zeit, welche eine Bebauung in naher Zukunft nahezu unausweichlich machen. Das zusammenhanglose Nebeneinander von Bahntrassen, Autobahn, Gewerbe- und Siedlungshaufen wird sich auflösen müssen. Dafür sorgt nicht nur der Bevölkerungs- und Siedlungsdruck, sondern auch die nunmehr offizielle Wiedervorlage und Überprüfung alter Verkehrsprojekte.

Es wird wird kleinlich taktiert und hartnäckig blockiert

Der Wiederaufbau der Stammbahn von Potsdam zum Potsdamer Platz wird mit großer Sicherheit kommen, schon um die bereits heute stark frequentierten S- und Regionalbahnstrecken vom Zentrum Berlins nach Potsdam zu entlasten. Die Gemeinde Kleinmachnow wird die Züge nicht an sich vorüberfahren lassen wollen, sondern selbstverständlich auf einen eigenen Halt bestehen. Der dafür wiederum einzig sinnvolle Bahnhof Dreilinden-Europarc würde nach heutiger Lage etwas verloren und abseits im Gehölz stehen. Beginnt die Bahn erst mit der Planung, bleibt der Gemeinde kaum Zeit sich mit der Entwicklung und Gestaltung des Bahnhofsumfelds zu befassen. Dabei wird sie feststellen, dass tatsächlich ein Gesamtplan für ganz Dreilinden und darüber hinaus unvermeidlich ist. Neben Wohn-, Gewerbe- und Einkaufsflächen geht es schließlich um die Lenkung des Zubringerverkehrs. Etliche Brandenburger aus der Umgebung werden mit dem Auto nach Dreilinden kommen und dort in die Regionalbahn umsteigen. Dafür benötigt das Areal wiederum P+R-Flächen für rund 1000 Pkw. Dieser nur kurz skizzierte Verlauf von Verkehrs- und Siedlungserfordernissen wird der Realität sehr nahe kommen

Statt ruhig, vorausschauend und umfassend abzuwägen, was für die Gemeinde und ihre Bürger künftig am besten ist, wird kleinlich taktiert und einstweilen hartnäckig blockiert. Noch 1990 entschied die Gemeindevertretung ohne viel Federlesen über den unverzüglichen Bau einer neuen Wohnsiedlung auf Waldboden am Stolper Weg, um gekündigte Einfamilienhausmieter im Zuge von Restitutionen unterzubringen. Was seinerzeit funktionierte und sozialer Verantwortung entsprang, erscheint heute aussichtslos. Der Bau von Sozialwohnungen ist allenfalls unter verschärften Bedingungen möglich, sofern das Thema überhaupt bis in das Kommunalparlament gelangt. Am liebsten soll alles bleiben, wie es ist.

Weil heute jedes größere Bauvorhaben in die Strudel von nackten Egoismen und lokalen Partikularinteressen gerät, müssen Kreis-, Bezirks- oder Landesinstanzen ins Spiel kommen, um übergeordnete Gesichtspunkte und Anliegen zu wahren. Kommunen können weder regional noch landesspezifisch und schon gar nicht Berlin-brandenburgisch planen. Für die Erschließung von Dreilinden müssen rund 37 Hektar Wald- und Gehölzflächen im Besitz des Landes Berlin zu Bauland werden. Nicht Kleinmachnow, sondern das Land Brandenburg verfügt über Ausgleichsflächen für deren Umwidmung. Für eine sinnvolle und bedarfsgerechte Neuauflage der Kolonie oder zeitgemäßer „Siedlung Dreilinden“ müssen folglich alle drei Beteiligten an einen Tisch: Das Land Berlin als Grundeigentümer, die Gemeinde Kleinmachnow, bei der das Baurecht liegt sowie das Land Brandenburg, um Ausgleichsflächen zu stellen und die Besiedlung im nahen Metropolraum zu steuern.

Wohin mit den nächsten 400 000 Einwohnern?

Eine Lösung für Dreilinden wird auf herkömmlichen holprigen Planungspfaden womöglich nach Jahren oder in Dekaden gefunden werden. Da es eines von vielen Wohnungs- und Siedlungsbauprojekten mit doppeltem Länderbezug ist, wo Berlin und Brandenburg eigentums-, planungs- und baurechtlich aufeinandertreffen, sollten andere Wege gesucht werden. In der Vergangenheit ließen sich auf dieser Basis bei Gewerbe- und Unternehmensansiedlungen oder dem Bau von großflächigen Einkaufszentren vor den Toren Berlins gemeinsame Regeln und Maßnahmen festlegen. Das sollte bei der drängenden Frage – wohin mit den nächsten 300 000 bis 400 000 Einwohnern? – erst recht funktionieren.

Eine politisch so anspruchs- wie sinnvolle Lösung für die Konstellation in Dreilinden wäre die Gründung einer Siedlungsbaugesellschaft Berlin-Brandenburg. Sie könnte die Länderkooperation bei der Planung bis hin zur Ausführung von großen Siedlungsprojekten strukturieren und zugleich institutionalisieren. Komplexe Abstimmungsprozesse liefen (und verliefen sich) nicht zwischen Senats-, Landes- und Gemeindebehörden, sondern lägen überwiegend bei der Gesellschaft selbst. Sie wäre ein geeigneter Mittler, um die Absichten und Interessen der Gemeinde vor Ort mit übergeordneten Zielen im Metropolraum zu verknüpfen. Nicht zuletzt würde die Siedlungsgesellschaft dafür sorgen, dass reiche Konfliktpotenzial zwischen den Ländern bei Eigentumsfragen und Verkauf, Bodenumwidmung und Baugrundausweisung, Ausgleichs-, Erschließungs- und Entwicklungsmaßnahmen durch ein klares Regelwerk zu entschärfen.

Es gibt in Brandenburg noch geeignete bebaubare Flächen

Oberstes Ziel der Gesellschaft ist die Schaffung und Bereitstellung von bezahlbarem Wohnraum in der Hauptstadtregion. Sich darauf zu verständigen dürfte ein Leichtes sein. Politisch komplizierter hingegen ist das Wie und die Verteilung von Nutzen, Lasten und Risiken. Aber auch hier gilt ein im Prinzip einfacher Grundsatz: Berlin bringt seine Flächen in Brandenburg und Brandenburg bringt die notwendigen Ausgleichsflächen ein, damit neues Bauland entstehen kann. Seit 1990 haben die märkischen Forsten um über 200 Quadratkilometer zugenommen, also mehr als ein Fünftel der Größe Berlins. Der Wolf ist heimisch geworden, während sich die Randgebiete von Menschen leeren.

Die Landesregierung in Potsdam kann an Stelle seiner Gemeinden mühelos Ersatzflächen für die Besiedlung von Brach-, Acker-, Baum- oder Strauchland bereitstellen. Bisher erwähnt der gemeinsame Landesentwicklungsplan (LEP) beider Länder diese Möglichkeit nicht, was mit Blick auf Ausgleichsflächen für die zunehmend dichte Besiedlung im Speckgürtel merkwürdig ist.

Brandenburgs Infrastrukturministerin Schneider betonte in einem Tagesspiegel-Interview, dass es ein „Neu-Berlin“ in Brandenburg, gewissermaßen Berliner Exklaven in der Mark, nicht (noch einmal) geben dürfe. Es ist unklar, was sie damit meint. Berlin liegt in Brandenburg. Die Stadt ist Großgrundbesitzer, vor allem im berlinnahen Raum und besitzt sämtliche damit zusammenhängenden Eigentumsrechte. Die Länder geben nichts preis, wenn sie in für beide wichtigen Bereichen eng zusammenwirken.

Der Autor ist Architekt und von der Architektenkammer Berlin öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger für Bewertung und Mieten von bebauten und unbebauten Grundstücken.

Ulrich Springen

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