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Am Abend sitzt fast jeder vierte Angestellte ständig oder regelmäßig noch im Büro. Knapp jeder Zehnte arbeitet sogar in der Nacht.
© Oliver Berg/ dpa

Arbeitswelt: Immer mehr Deutsche arbeiten zu heiklen Zeiten

Von wegen nine to five: Die Deutschen arbeiten länger als vor 20 Jahren, Teilzeitjobs nehmen zu. Gewerkschaften wollen Reformen.

Obwohl so viele Menschen wie nie zuvor in Deutschland arbeiten und Roboter immer mehr Tätigkeiten überflüssig machen, muss der Einzelne länger im Büro sitzen. In den vergangenen 20 Jahren hat sich die Wochenarbeitszeit der Voll- und Teilzeitbeschäftigten um eine halbe Stunde erhöht. Dies teilte das Statistische Bundesamt mit seiner Sammlung „Qualität der Arbeit“ am Donnerstag mit.

Diejenigen, die eine Vollzeitstelle haben, mussten im vergangenen Jahr im Schnitt 40,5 Stunden pro Woche arbeiten. 1996 waren es 40 gewesen. Teilzeitbeschäftigte verbrachten 2015 nicht mehr 18,8, sondern 19,3 Stunden bei der Arbeit. Die Folge waren 764 Millionen bezahlte und 940 Millionen unbezahlte Überstunden im vergangenen Jahr, wie das bundeseigene Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) errechnet hat.

Nach Meinung des IAB-Experten Enzo Weber sei dieser Trend zum einen auf den Rückgang der Mini-Jobs zurückzuführen. Zum anderen habe sich das Arbeitsvolumen in Branchen wie dem Einzelhandel wegen der deutlich verlängerten Öffnungszeiten über die Jahre vergrößert. Die Konsequenz sei zusätzliche Abend- und Samstagsarbeit.

Selbstständige arbeiten deutlich mehr

Die Wochenarbeitszeit der Selbstständigen hat sich seit 1996 um sechs Stunden reduziert. Sie arbeiten mit 48,9 Stunden dennoch wesentlich länger als Angestellte und haben ein kürzeres Wochenende: Mehr als die Hälfte gab Samstagsarbeit an, jeder Vierte Dienst am Sonntag. Das ganze Wochenende über arbeiteten 23,9 Prozent der Selbstständigen. Bei den Arbeitnehmern sind die Anteile der Wochenendbeschäftigung zwar nur halb so groß, doch auch von ihnen arbeitet fast jeder Vierte ständig oder regelmäßig abends, knapp jeder Zehnte in der Nacht.

Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) kritisiert die Entwicklung. „Der verfestigte Trend zu langen und atypischen Arbeitszeiten erfordert Reformen für mehr Arbeitszeitsouveränität“, sagte DGB-Vorstandsmitglied Annelie Buntenbach. „Die Bereitschaft der Beschäftigten zu flexiblen Arbeitszeiten darf nicht länger zu unbezahlten Überstunden führen.“ Die Forderungen der Gewerkschaft: Arbeitszeiten müssten besser erfasst und bezahlt werden. Ziele und Aufgaben, die in der vereinbarten Arbeitszeit zu leisten sind, müssten erreichbar sein. Chefs sollten der hohen Arbeitsverdichtung mit mehr Mitbestimmung, regelmäßigen Stresstests und einem Recht auf Nichterreichbarkeit entgegenwirken.

Gute Chancen für neue Arbeitszeiten

Enzo Weber sieht gute Chancen für eine Neuregelung der Arbeitszeit, weil es von beiden Seiten gewollt sei. Die Firmen müssten auf globalisierte Geschäftsabläufe reagieren. Bei den Arbeitnehmern gebe es gerade in der Familienphase das Bedürfnis nach flexibleren Möglichkeiten. „Das Familien-Modell mit einem Alleinverdiener gibt es kaum noch“, sagt Weber. Darauf müsse die Wirtschaft reagieren. Zum Beispiel mit attraktiven Berufsstrukturen knapp unterhalb der Vollzeit.

Um Beruf und Privatleben miteinander vereinbaren zu können, gewinnt Teilzeitarbeit generell an Bedeutung. Manchmal aus freiem Willen. Manchmal, weil es nicht anders möglich ist. Laut Statistischem Bundesamts würden rund 18 Prozent der Männer und rund zwölf Prozent der Frauen lieber in Vollzeit arbeiten. Im Vergleich zu 1996 sind beide Quoten leicht gestiegen. Dazu kommt, dass Frauen viel häufiger in Teilzeit arbeiten als Männer: Knapp vier von fünf Teilzeitjobs hatten im vergangenen Jahr Frauen inne.

Dazu kommt: Zwar befinden sich heute mehr Frauen in Führungspositionen als noch vor 20 Jahren. Sieben von zehn Führungskräften waren im vergangenen Jahr dennoch männlich. Enorme Geschlechterunterschiede gibt es also nach wie vor.

Teilzeit in Deutschland recht häufig

Inzwischen arbeitet fast jeder dritte Erwerbstätige in Deutschland in Teilzeit, was mit 28 Prozent eine der höchsten Quoten in Europa ist. Aus diesem Grund ist die durchschnittliche Wochenarbeitszeit aller Erwerbstätigen, in Voll- und Teilzeit, mit der Zeit nicht gestiegen, sondern gesunken. Konkret ist er seit 1991 um drei auf 35,2 Stunden zurückgegangen und liegt damit deutlich unter dem EU-Schnitt. Zwar nehmen immer mehr Menschen am Erwerbsleben teil, arbeiten länger – aber nicht so, wie sie es gerne hätten.

Was die Sammlung „Qualität der Arbeit“ des Statistisches Bundesamts noch zeigt: sechs Prozent der 35 bis 54-Jährigen waren im vergangenen Jahr befristet angestellt. Vor 20 Jahren lag dieser Anteil bei unter fünf Prozent. Deutlicher wird der Trend in der Gruppe der Berufsanfänger und -einsteiger. Von den 25 bis 34-jährigen waren 2015 knapp 18 Prozent zeitlich begrenzt beschäftigt. Im Vergleich zu 1996 hat sich ihr Anteil damit verdoppelt. Somit starten junge Leute ihr Berufsleben heutzutage mit weniger Sicherheit als früher. Und damit einem weitaus größeren Druck. mit dpa

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