Arbeitsbedingungen: Deutsche machen immer mehr unbezahlte Überstunden
Viele Menschen machen unbezahlte Überstunden und verschenken sogar Urlaubstage.
Dienst nach Vorschrift? Das war einmal. Für einen großen Teil der Bevölkerung sieht der Arbeitsalltag ganz anders aus: Viele Beschäftigte hierzulande arbeiten weit über den vereinbarten Feierabend hinaus. Nach aktuellen Zahlen des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB), das im Auftrag der Bundesagentur für Arbeit forscht, haben die Deutschen allein im vergangenen Jahr rund 1813 Millionen Überstunden geleistet, gut ein Prozent mehr als 2014. Mehr als die Hälfte davon waren dabei unbezahlt. Umgerechnet auf den Einzelnen bedeutet das, dass jeder deutsche Beschäftigte 2015 durchschnittlich rund 26 Stunden mehr gearbeitet hat, als vertraglich vereinbart war.
Arbeitsverdichtung ist eine Ursache von Überstunden
„Überstunden sind eine Form, mit hohem Arbeitsdruck umzugehen“, sagt Rolf Schmucker vom Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB). Er leitet bei dem Dachverband das Institut „DGB-Index Gute Arbeit“, welches in jährlichem Turnus die Einkommensverhältnisse und Arbeitsbedingungen deutscher Arbeitnehmer unter die Lupe nimmt. Dabei werden die Deutschen seit 2012 regelmäßig auch dazu befragt, in welchem Maße sie bei der Ausübung ihres Berufs unbezahlte Mehrarbeit leisten. Allein im vergangenen Jahr verbrachten rund 40 Prozent der Befragten demnach sehr häufig, oft oder zumindest gelegentlich Arbeitszeit unentgeltlich im Büro.
Im Bildungssektor und der Kommunikationsbranche werden besonders viele unbezahlte Überstunden geleistet
Dabei sind laut DGB vor allem die Beschäftigten im Bildungswesen, des sozialen Sektors und der Gesundheitsbranche sowie der Kommunikationsbranche von unbezahlter Mehrarbeit betroffen. Werden dagegen in der Metallindustrie sowie bei Entsorgungsbetrieben Überstunden geleistet, werden sie in der Regel vergütet. Ein Grund für die wachsende Zahl an Überstunden ist laut Schmucker die zunehmende Arbeitsverdichtung in den Unternehmen, die immer mehr Aufgaben für den einzelnen Mitarbeiter bedeuten. Gleichzeitig erwarteten die meisten Firmen von ihren Beschäftigten Ergebnisse innerhalb eines engen Zeitrahmens, ließen sie aber selbst entscheiden, wie sie das von ihnen geforderte Ziel erreichen. Diese „neue Steuerungsform in der Arbeitswelt“ breite sich über sogenannte Zielvereinbarungen zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber immer weiter aus.
Die Angst des Scheiterns lässt viele Mitarbeiter Überstunden machen
„Für die Arbeitnehmer ist das eine zweischneidige Freiheit“, sagt DGB-Mann Schmucker. Denn wer seine Arbeit flexibel gestalten könne, arbeite tendenziell überdurchschnittlich lange und verstoße dabei teilweise sogar gegen arbeitsrechtliche Schutzmechanismen wie die Einhaltung von Pausen oder Ruhezeiten. Hinzu komme die Angst des persönlichen Scheiterns: Um Misserfolge im Job zu vermeiden, verbrachten viele Beschäftigte lieber noch die eine oder andere Stunde mehr im Unternehmen. Zudem würden die verabredeten Ziele in den Unternehmen viel zu selten hinterfragt. „Jahr für Jahr wird noch ein bisschen mehr draufgepackt“, sagt Schmucker. Ob die Ziele aber auch erreichbar seien, werde viel zu selten hinterfragt.
Selbstbestimmung am Arbeitsplatz wird inzwischen auch negativ bewertet
Doch das könnte sich nun ändern. „Vor einiger Zeit war die Autonomie von Beschäftigten ausschließlich positiv besetzt“, sagt er. Habe Selbstbestimmung am Arbeitsplatz vor Jahren noch als Wert gegolten, rücke nun verstärkt auch der Druck in den Mittelpunkt, den diese mit sich bringe.
Jeder dritte Arbeitnehmer lässt Urlaubstage verfallen
Dass sich Mitarbeiter im Job über die Grenzen ihrer vertraglich vorgegebenen Zeiten hinaus einbringen, hatte kürzlich auch eine andere Erhebung des DGB gezeigt: Laut einer Umfrage verzichtet jeder dritte Arbeitnehmer in der Bundesrepublik auf Urlaubstage und geht stattdessen arbeiten. Demnach lassen Befragte ihren Urlaub besonders oft verfallen, wenn sie Sorge um den Verlust ihres Jobs haben oder der Stress am Arbeitsplatz besonders groß ist.
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