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Feste Zeiten. Ein Bergmann meldet sich per Stechuhr ab. Ein Modell, das ausgedient hat, wie der Bergbau.
© Roland Weihrauch/picture-alliance/ dpa

Arbeitszeit: Im Takt der Uhr

Um neun anfangen, um fünf fertig sein. Das war früher. Heute ist Flexibilität am Arbeitsplatz gefragt, sagen Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Ein Pro & Contra zum Achtstundentag.

Im kreativen Berlin hat ein Nine-to-Five-Job nicht gerade den besten Ruf: Er klingt nach grauen Amtsstuben und langweiligen Aufgaben, steifen Umgangsformen und strengen Regeln. In das Zeitalter flexibler Arbeitsgestaltung will er nicht recht hineinpassen. Dennoch gilt der Achtstundentag bisher immer noch als die Norm. Ist das jetzt bald vorbei?

Jedenfalls wird in den Unternehmen in Deutschland regelmäßig länger als acht Stunden am Tag gearbeitet. Im vergangenen Jahr waren Vollzeitbeschäftigte 42 Stunden pro Woche für ihre Firma tätig, hat das Statistische Bundesamt berechnet. Jeder fünfte Mann gab demnach sogar an, dauerhaft länger zu arbeiten. Ist der Achtstundentag also faktisch schon gar nicht mehr vorhanden?

Arbeitgeber sind sich einig: Sie halten ihn für überholt und forderten im Juli, den Achtstundentag ganz aufzugeben. Die Begrenzung erweise sich zunehmend als zu unflexibel und werde den Bedürfnissen von Unternehmen und Beschäftigten vielfach nicht gerecht, verkündete der Bund der Arbeitgeber (BDA). Eine Neuregelung müsse her. Die zulässige Höchstarbeitszeit, die tarifvertragliche oder im Arbeitsvertrag vorgesehene Arbeitszeit der Beschäftigten, solle aber erhalten bleiben. Das Ziel sei vielmehr, diese Zeit im Wochenverlauf flexibler zu gestalten. „Die Arbeitnehmer sollen nicht mehr arbeiten, aber die Arbeitszeit an den einzelnen Wochentagen individueller aufgeteilt werden. Auch künftig soll niemand ständig verfügbar sein“, wiegelt ein BDA-Sprecher Vorbehalte der Gewerkschaften ab.

Im Rahmen des Gesetzes ist vieles möglich

Der Achtstundentag ist im Arbeitszeitgesetz festgeschrieben. „Diese Regelung ist allerdings nur als Grundsatz zu betrachten“, sagt Lena Rudkowski, Professorin für Arbeitsrecht an der Freien Universität Berlin. Denn bereits heute ist im Rahmen des Gesetzes viel möglich: So sind Arbeitstage mit bis zu zehn Stunden zulässig, wenn im Schnitt innerhalb von sechs Monaten nicht mehr als acht Stunden werktäglich gearbeitet wird. Außerdem können im Rahmen von Tarifverträgen Sonderregelungen getroffen werden, zum Beispiel zu Bereitschaftsdiensten bei Ärzten oder Feuerwehrleuten. Nur soviel muss gewährleistet sein: Im Schnitt darf die Arbeitszeit 48 Stunden wöchentlich nicht überschreiten.

Das sind bereits eine Reihe von Freiheiten zur Aufteilung der Arbeit, sagt Reinhard Bispinck, Volkswirtschaftler am Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institut (WSI) der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung. Sein Institut hat die tariflichen Arbeitszeitbestimmungen verschiedener Wirtschaftszweige untersucht und kommt zu dem Schluss, dass sich betriebliche Produktions- und Arbeitserfordernisse durch die bestehenden Spielräume durchaus regeln lassen.

„Dem Achtstundentag kommt eine wichtige gesellschaftliche Ankerfunktion zu“, sagt er. Die Flexibilisierung der Arbeitszeit bedeute eine Abweichung von der Norm. Wenn diese zentrale Norm aber nicht mehr festgeschrieben sei, gerate arbeitszeitpolitisch vieles ins Rutschen. Ein großes Problem sind die Überstunden, die in vielen Firmen anfallen. Zwar gebe es auch Unternehmen, die Möglichkeiten schaffen, diese zu reduzieren. Arbeitszeitkonten und Gleitzeitregelungen zum Beispiel tragen dazu bei, dass das Mehr an Stunden stetig sinkt, lobt Bispinck. Doch auf solche Instrumente könnten längst nicht alle Beschäftigten zurückgreifen.

Jede zweite Überstunde wird nicht ausgeglichen

Schon heute werde jede zweite Überstunde nicht durch Freizeit oder Bezahlung ausgeglichen. In vielen Arbeitsverträgen, die nicht tariflich gebunden sind, sei ein Ausgleich durch Freizeit oder Bezahlung auch gar nicht vorgesehen. Überstunden seien danach durch das Gehalt abgegolten. Die Folge: „Überlange Arbeitszeiten machen es schon jetzt für viele Menschen fast unmöglich, Arbeit und Familie zu vereinbaren“, sagt der Experte.

Eine ganz andere Meinung vertritt Georg Annuß von der Universität Regensburg. Das Arbeitszeitgesetz ist nicht mehr zeitgemäß, meint der Professor für Arbeitsrecht. „Viele Menschen definieren sich heute über ihre berufliche Tätigkeit und sehen sie als Selbstverwirklichung an“, sagt er. „Der gesetzliche Rahmen müsste sich an die neue Realität anpassen“, findet Annuß.

So seien dem Gesetz nach „leitende Angestellte“ von der Arbeitszeitbegrenzung zwar ausgenommen. Doch diese Beschreibung treffe nur für wenige Menschen zu, die regelmäßig mehr als erlaubt arbeiten. Er nennt ein Beispiel: „ Einen Wissenschaftler dazu zu verdonnern, nach acht Stunden den Stift fallen zu lassen, ist schlichtweg realitätsfern“, sagt er. Das gleiche gelte etwa für Unternehmensberater, Anwälte in Großkanzleien, Journalisten, Manager oder Vorstandsassistenten.“

Zugleich plädiert der Arbeitsrechtler dafür, den Achtstundentag für Mitarbeiter, die „inhaltlich fremdbestimmte“ Tätigkeiten ausführen, also überwiegend die Anweisungen anderer ausführen, beizubehalten.

Und wie sehen das die Arbeitnehmer selbst? Grundsätzlich stehen die meisten flexiblen Arbeitszeiten positiv gegenüber, berichtet Volkswirtschaftler Bispinck. Wichtig sei ihnen allerdings, ihre Schichten mitplanen zu können und nicht von spontan angesetzten Überstunden überrascht zu werden.

Für Beschäftigte, die von ihrem Arbeitgeber regelmäßig zu längeren Arbeitszeiten verdonnert werden, ist die Personalabteilung die erste Anlaufstelle und dann der Betriebsrat, falls vorhanden. Auch Gewerkschaften leisten Hilfe. Sie bieten ihren Mitgliedern kostenlose Rechtsberatung und Rechtschutz.

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