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Verdrängt. Wegen hoher Mieten ziehen immer mehr Menschen im Silicon Valley in Wohnmobile.
© picture alliance/ASSOCIATED PRESS

Obdachlose in San Francisco: Im Schatten des Silicon Valley

Der Technologieboom führt zu Obdachlosigkeit. Die Krise in und rund um San Francisco ruft selbst die UN auf den Plan, Politik und Unternehmer streiten nun um Lösungen.

Der Siegeszug der Digitalisierung ist omnipräsent. In fast jedem Block im Zentrum San Franciscos prangen die Logos erfolgreicher Internetkonzerne, die hier beheimatet sind. Die Kehrseite liegt direkt vor der Tür. In der Market Street, wo Twitter und Uber ihren Sitz haben, sitzen und schlurfen unzählige Obdachlose, sie schlafen auf dampfenden Gullideckeln, um sich an der aus den Metroschächten aufsteigenden Luft zu wärmen.

Wenige Meter neben dem Haupteingang des Newsportals Reddit, derzeit auf Platz fünf der meistbesuchten US-Webseiten, haben Wohnungslose ein schäbiges Zelt auf dem Bürgersteig aufgeschlagen. Kriminalität und Drogenmissbrauch sind allgegenwärtig. Die Gesundheitsbehörde hat allein im August 164.264 Nadeln von Heroinspritzen in der Stadt eingesammelt.

In San Francisco und dem Silicon Valley leben 74 Milliardäre. Mit Apple und Google haben die zwei wertvollsten Unternehmen der Welt hier ihren Sitz. Trotzdem gehören die Obdachlosen seit Jahren zum Stadtbild und inzwischen gerät das Problem außer Kontrolle.

Die „Obdachlosen-Krise“ ist landesweit Thema in den Nachrichten und hat selbst die Vereinten Nationen auf den Plan gerufen. Die UN-Sonderberichterstatterin für angemessenen Wohnraum, Leilani Farha, hat sich im Frühjahr selbst ein Bild gemacht. Als „grausam und unmenschlich“ bezeichnet sie die Zustände in einem gerade erschienenen UN-Bericht, wo San Francisco neben den Slums von Mumbai oder Delhi aufgeführt wird.

Mountain View. Auch in der Nähe der Google-Konzernzentrale campieren Obdachlose.
Mountain View. Auch in der Nähe der Google-Konzernzentrale campieren Obdachlose.
© imago/xim.gs

„Die Stadt ist mit einer totalen Gesundheitskrise konfrontiert und es scheint nur schlimmer zu werden“, sagt Sean Miller, der vor anderthalb Jahren hergezogen ist. Er wohnt im Viertel Tenderloin, wo menschliche Fäkalien auf den Straßen und Gehwegen zu einem ernsten Problem geworden sind.

Miller hat daher die App Snapcrap programmiert. Sie sieht aus wie der Fotodienst Snapchat, nur das Gespenst im Logo wurde durch einen Kothaufen getauscht. Statt Selfies kann man damit Bilder von Dreck und Müll machen und direkt an die Stadtverwaltung senden. Die hat inzwischen zusätzliche Reinigungstrupps aufgestellt, die hier „Kot-Patrouille“ genannt wird.

Die neu gewählte Bürgermeisterin London Breed ist auch schon kamerawirksam mit einem Besen in der Hand durch das Viertel gezogen. Im Wahlkampf hat sie die Bekämpfung der Obdachlosigkeit zu einer Toppriorität gemacht. Doch das haben auch schon ihre Vorgänger versprochen.

UN-Expertin Farha spricht von einem strukturellen Problem. Tatsächlich hat die Verdrängung in den vergangenen Jahren nur zugenommen. Der Technologieboom zog immer neue Gründer in die Stadt und das angrenzende Silicon Valley, der Wettstreit der Giganten Google, Apple, Facebook & Co. um die besten Programmierer, treibt die Gehälter in schwindelerregende Höhen.

Bei Facebook liegt das mittlere Jahresgehalt bei fast einer Viertelmillion Dollar. Solche Summen sind allerdings auch nötig, um die hiesigen Mieten oder Hypotheken zu zahlen. 3334 Dollar kostet im Schnitt eine Einraumwohnung. Die Preisspirale treibt immer mehr Menschen aus ihren Wohnungen, die nicht in der Techbranche arbeiten.

Lange Reihen von Wohnmobilen

Immer öfter weichen sie daher auf Wohnmobile aus. Sie parken in langen Reihen in ganzen Straßenzügen im Silicon Valley, so auch in Mountain View, wo Google sein Hauptquartier hat. Kellnerinnen oder Handwerker wohnen hier, aber auch Studenten und Universitätsdozenten. Mountain View hat inzwischen Regeln erlassen: Alle 72 Stunden müssen sie die Parkplätze wechseln. Und auch der Obdachlosenkrise wollen manche Stadtoberen mit bürokratischen Vorgaben begegnen. Die Universitätsstadt Berkeley hat gerade neue Regeln entworfen, nach denen Obdachlose ihren Besitz nur noch auf einer Fläche von 0,9 mal 0,9 Metern abstellen dürfen – denn viele transportieren ihr verbliebenes Hab und Gut in Einkaufswagen und Koffern.

Marc Benioff wirbt für eine andere Lösung. Seine Softwarefirma Salesforce ist der größte Arbeitgeber in San Francisco, der in diesem Jahr fertiggestellte Salesforce-Tower, das höchste Gebäude der Stadt. „Es gab immer Obdachlosigkeit, aber so schlimm habe ich es noch nie erlebt“, sagt Benioff und spricht von einer „humanitären Notlage“.

Seit Wochen wirbt er daher im Radio, Fernsehen und Internet für einen Vorschlag, über den die Bürger bei den anstehenden Wahlen am 6. November mit abstimmen können. Damit soll eine Zusatzsteuer von einem halben Prozent auf die Einnahmen von Unternehmen erhoben werden, die über 50 Millionen Dollar liegen.

Start-ups kämpfen mit Preissteigerungen

300 Millionen Dollar könnte das einbringen, die Urheber der Initiative wollen damit beispielsweise 1000 Plätze in Notunterkünften finanzieren oder Obdachlosen und psychisch Kranken helfen. Angesichts der massiven Steuererleichterungen durch Donald Trump könnten sich die Unternehmen das locker leisten, sagt Benioff.

Das sehen freilich viele anders. Der prominenteste Gegner ist Twitter-Chef Jack Dorsey, er diskutierte leidenschaftlich mit Benioff auf seinem Nachrichtendienst. Dabei stellte sich Dorsey hinter Bürgermeisterin Breed, die ebenfalls gegen den Vorschlag ist. Sie argumentiert, die Steuer könnte Firmen aus der Stadt vertreiben.

Tatsächlich kämpfen inzwischen auch die Start-ups mit den Preissteigerungen. Wegen der hohen Gehälter lagern viele Teile ihrer Entwicklungsabteilungen aus. Oder sie flüchten ganz, vor allem Neugründungen entstehen zunehmend auch andernorts. Besonders Los Angeles, Austin oder auch New York entwickeln sich zu neuen Start-up-Zentren. Der „Economist“ hat der Fluchtbewegung kürzlich eine Titelgeschichte gewidmet und schreibt, dass Valley habe seinen Zenit erreicht.

Womöglich profitiert davon sogar Berlin. Bei der Vorstellung des neuen Innovationscampus ging sogar Siemens-Chef Joe Kaeser explizit auf die Wohnungsnot im Silicon Valley ein – und warnte zugleich davor, dass sich solche Entwicklungen hierzulande wiederholen.

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