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Gericht bringt Kammern in die Klemme: Hunderte IHK-Delegierte könnten Ämter verlieren

Ein bisher in der Öffentlichkeit kaum beachtetes Urteil des Bundesverwaltungsgerichts in Leipzig sorgt derzeit bundesweit bei den Industrie-, Handels- und Handwerkskammern für Unruhe.

Es könnte in letzter Konsequenz zur Folge haben, dass mehrere Hundert in die Spitzengremien berufene Unternehmens- und Branchenvertreter ihre Kammerämter aufgeben müssen. Wahrscheinlich ist, dass viele Kammern zumindest gezwungen sein werden, ihre Satzungen und Geschäftsordnungen anzupassen.

Kommen und gehen: Das Ludwig Erhard Haus, Heimat der Berliner IHK.
Kommen und gehen: Das Ludwig Erhard Haus, Heimat der Berliner IHK.
© IHK Berlin

Mitte Juni hatte das oberste Gericht ein Urteil zur Wahlordnung einer Industrie- und Handelskammer (IHK) gesprochen. Im konkreten Fall ging es um die Niederrheinische IHK Duisburg-Kleve-Wesel (Az.: BVerwG 10 C 14.14). Im Fokus der Verhandlung stand der auch bei vielen Verbänden und Kirchen verbreitete Modus der Hinzuwahl weiterer Mitglieder in das oberste Entscheidungsgremium, in dem Fall in die Vollversammlung der IHK. Dieses Prinzip der Hinzuwahl nennt man Kooptation.

So ist es gängige Praxis, dass die von allen Unternehmen eines IHK-Bezirks gewählten Mitglieder einer Vollversammlung zusätzliche Persönlichkeiten in ihre Reihen wählen, also kooptieren. Ziel dieses Verfahrens ist es, dass so auch Branchen im Gremium vertreten sind, die durch die reguläre Wahl nicht ausreichend repräsentiert waren. Es soll die „Spiegelbildlichkeit“ einer örtlichen Wirtschaftsstruktur in der Kammer sicherstellen. Kritiker argumentieren, das Prinzip sei undemokratisch und lade zu Missbrauch ein.

Das Bundesverwaltungsgericht hat jetzt entschieden, dass Kooptation nur unter engen Voraussetzungen zulässig ist. Die Wahlordnung der beklagten Kammer habe den Anforderungen aus §5 Abs. 3 Satz 2 IHK-Gesetz nicht genügt, stellte das Gericht fest. Unter anderem hätte die Kammer vor der Hinzuwahl klar definieren müssen, welche Branchen vertreten sein müssen. Jetzt warten die Kammern gespannt auf die Urteilsbegründung, die zwischen Ende Juli und Mitte August vorliegen soll. Bis dahin stehen die kooptierten Mitglieder der Kammern im Fokus: Können sie bleiben, wenn das Urteil die Legitimität von Wahlen auch nachträglich infrage stellt?

In Berlin sind Chefs der Charité und von Hertha kooptiert

Bei der IHK Berlin zum Beispiel sind neun der derzeit 106 Mitglieder der Vollversammlung kooptiert, wurden also nicht direkt von allen Unternehmen der Stadt gewählt: Darunter sind Persönlichkeiten wie Martin Biesel (Bevollmächtigter Politik von Air Berlin), Karl Max Einhäupl (Chef der Charité Universitätsmedizin), Carsten Jung (stellvertretender Chef der Berliner Volksbank), Burkhard Kieker (Chef der Berlin Tourismus und Kongress GmbH, Visit Berlin) und Ingo Schiller (Finanzchef bei Hertha BSC).

„Wir sind der Auffassung, dass die IHK Berlin die Voraussetzungen, wie sie vom Gericht beschrieben werden, bereits in der Vergangenheit – auch bei den Kooptationen zur aktuellen Vollversammlung – berücksichtigt hat“, sagt Berlins IHK-Sprecher Leif Erichsen. Man habe immer großen Wert darauf gelegt, dass die kooptierten Mitglieder die Berliner Wirtschaft „spiegeln“.

In Hamburg und Bonn stehen die Kammerpräsidenten infrage

In Hamburg wartet man mit deutlich größerer Spannung auf die Urteilsbegründung. Dort wurden nämlich gleich beide Präsidenten kooptiert: Fritz Horst Melsheimer, Präses der Handelskammer und Gebäudereinigermeister Josef Katzer, Präsident der Handwerkskammer. Auch die IHK Bonn/Rhein-Sieg wird von einem kooptierten, also nur aus Reihen der Vollversammlung gewählten Präsidenten geführt: Wolfgang Grießl.

Alle zurzeit Kooptierten müssten ihre Mandate niederlegen, meint Kai Boeddinghaus, Chef des Bundesverbandes für freie Kammern (bffk). „Die Kammern nehmen für sich in Anspruch, Sitte und Anstand ehrbarer Kaufleute zu wahren. Wer das auch nur ansatzweise ernst meint, kann sich nach einem solchen Urteil nicht an seinen Sessel in der Vollversammlung klammern und mit juristischen Spitzfindigkeiten sein Mandat verteidigen“, sagt er. Beim IHK-Dachverband DIHK will man die Urteilsgründe abwarten.

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