Kabinett beschließt Musterfeststellungsklage: Hoffnung für zwei Millionen VW-Kunden mit Dieselautos
Die Bundesregierung wird eine neue Musterklage einführen. Das hilft vor allem den Volkswagen-Dieselopfern. Doch die Wirtschaft warnt vor Missbrauch.
Mit der geplanten Einführung der Musterfeststellungsklage drohen Volkswagen im Abgasskandal Schadensersatzansprüche von Millionen Kfz-Besitzern. "Es gibt Schätzungen, dass etwa zwei Millionen Dieselfahrer in den Genuss dieser Klage kommen könnten", sagte Justizministerin Katarina Barley (SPD) am Mittwoch in Berlin. Zuvor hatte das Kabinett ihren Gesetzentwurf für die Musterfeststellungsklage verabschiedet. Darin ist vorgesehen, dass ausgewählte Verbände im Namen von Verbrauchern einen Schaden gerichtlich feststellen lassen können oder einen Vergleich abschließen.
Dieselgate wird der erste Fall für die neue Klage
"Wir machen diese Klageart ja auch jetzt so publik, um den geschädigten Diesel-Fahrerinnen und Fahrern zu signalisieren, dass sie dann ein relativ kurzes Zeitfenster haben, um ihre Ansprüche gerichtlich geltend zu machen", sagte Barley. Dieselgate dürfte der erste Fall für die neue Musterfeststellungsklage werden. Das neue Klageinstrument soll im November in Kraft treten, gerade noch rechtzeitig, um die Verjährung von Schadensersatzansprüchen gegen VW zu verhindern. Schadensersatzansprüche der VW-Kunden wegen der manipulierten Abgaseinrichtungen laufen Ende 2018 aus. Verbraucherverbände planen noch in diesem Jahr eine Musterfeststellungsklage gegen den Konzern. Kunden, die sich an dem Verfahren beteiligen, entkommen der Verjährung.
Bundeskabinett macht den Weg frei
Nach langem Hin und Her hat das Bundeskabinett am Mittwoch die neue Musterfeststellungsklage beschlossen. Mit dem Gesetz sollen Verbraucher die Möglichkeit bekommen, vertreten durch Verbände gemeinsam vor Gericht gegen ein Unternehmen vorzugehen. Das können Autohersteller wie VW sein, aber auch Airlines, Banken oder Versicherungen, die zweifelhafte Klauseln in ihren Verträgen haben oder womöglich ihre Preise ohne rechtlichen Grund erhöhen.
In der vergangenen Legislaturperiode war ein Anlauf des damaligen Justizministers Heiko Maas (SPD) am CSU-geführten Bundesverkehrsministerium und dem CDU-geführten Bundeskanzleramt gescheitert. Auch dieses Mal waren die koalitionsinternen Verhandlungen schwierig. In der Sache war vor allem über die Frage gestritten worden, welche Verbände klageberechtigt sein sollen. Die Klagebefugnis ist jetzt an hohe Hürden geknüpft. So müssen die Verbände laut Gesetz zum Beispiel mindestens 350 Mitglieder oder zehn Mitgliedsverbände haben und seit vier Jahren bestehen.
Dennoch ist die Wirtschaft nicht zufrieden. "Es besteht weiter die Gefahr des Missbrauchs, wenn das neue Instrument als Geschäftsmodell genutzt wird", sagte Iris Plöger, Mitglied der Hauptgeschäftsführung beim Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI). Zudem seien betroffene Unternehmen einem Reputationsrisiko ausgesetzt – auch wenn die Klage am Ende erfolglos bleiben sollte. „Deutschland ist bei der Durchsetzung von Verbraucherrechten bereits heute gut aufgestellt", meint Plöger. Neue Klageinstrumente sind daher aus Sicht der Wirtschaft nicht notwendig. Wenn überhaupt, müsse der Bundestag das Gesetz aber "noch praxistauglicher gestalten".
Keine Sammelklage wie in den USA
Die Wirtschaft befürchtet Geschäftemacherei. Dabei unterscheidet sich die Musterfeststellungsklage deutlich von der Sammelklage in den USA. Dort beantragen Anwälte eine solche Klage, außerdem können neben Schadensersatzzahlungen auch Geldstrafen gegen die Unternehmen verhängt werden. In den USA muss zudem für jeden Einzelnen nachgewiesen werden, dass er einen Schaden erlitten hat, sagte Barley, während im Zuge der Musterklage nur bewiesen werden müsse, dass das Unternehmen einen Fehler gemacht habe. Das gehe schneller und koste weniger. (mit AFP)