zum Hauptinhalt
Seit zwei Monaten steht Reiner Hoffmann an der Spitze des DGB-
© dpa

Der neue DGB-Chef: Hoffmann will versöhnen statt spalten

Seit zwei Monaten ist Reiner Hoffmann Vorsitzender des Deutschen Gewerkschaftsbunds (DGB). Er will mit Charme die Gewerkschaften attraktiver machen.

Bei der vierten Strophe hat Reiner Hoffmann Probleme. Aber für den Fall liegen Zettel bereit mit dem Text. „Und kehr ich heim zur Liebsten mein, dann erschallet des Bergmanns Gruß bei der Nacht, Glückauf, Glückauf, Glückauf.“ Es kommt Stimmung auf in der Schilde-Halle in Bad Hersfeld an diesem heißen Samstagmittag. Zum Abschluss einer Konferenz des DGB-Bezirks Hessen-Thüringen ist eine Bergmannskapelle einmarschiert, und die lässt nun den Steiger kommen. Das hat Tradition auf Schalke und bei der SPD und manchmal auch beim DGB, obwohl oder gerade weil die Bergleute hierzulande aussterben. Die drittgrößte Gewerkschaft heißt immer noch IG Bergbau, Chemie, Energie. Seit mehr als 50 Jahren ist Hoffmann Mitglied der IG BCE und auch der SPD. Ein Traditionalist, könnte man meinen.

Hoffmann ist der Hauptredner der Bezirkskonferenz. Die Leute sind neugierig, denn Hoffmann ist neu. Vor gut zwei Monaten wurde er zum Vorsitzenden des DGB gewählt, dem Dachverband von acht Einzelgewerkschaften. Der 59-Jährige ist jetzt Gesicht und Stimme der Arbeitnehmerklasse. Aber kein Klassenkämpfer, lieber Chefdiplomat. Hoffmann will versöhnen statt spalten, so wie man es von einem anderen Wuppertaler kennt: Johannes Rau. Der SPD-Politiker gehörte demselben Ortsverein an wie Hoffmann. Und im Landhaus Dreyer sah man sich gelegentlich in den 1980er Jahren: Rau kloppte Skat, Hoffmann machte Frühschoppen. Ohne Rau wäre Hoffmann womöglich immer noch Großhandelskaufmann in Wuppertal-Vohwinkel. Der damalige Düsseldorfer Bildungsminister Rau öffnete dem Arbeiterjungen Hoffmann den Weg nach oben, indem er Anfang der 70er Jahre fünf Gesamthochschulen in NRW einrichtete. Mit einem Stipendium der Böckler-Stiftung studierte Hoffmann über den zweiten Bildungsweg Wirtschaft, arbeitete anschließend gut zehn Jahre bei der Böckler-Stiftung und ging dann nach Brüssel.

Die kleinen Attacken auf "die Reichen und Superreichen"

Der Witz hat gesessen. Reiner Hoffmann (rechts) und Arbeitgeberpräsident Ingo Kramer haben Spaß am Rande einer Fraktionsklausur der großen Koalition in Königswinter bei Bonn. Die beiden Sozialpartner kommen gut miteinander aus.
Der Witz hat gesessen. Reiner Hoffmann (rechts) und Arbeitgeberpräsident Ingo Kramer haben Spaß am Rande einer Fraktionsklausur der großen Koalition in Königswinter bei Bonn. Die beiden Sozialpartner kommen gut miteinander aus.
© picture alliance / dpa

Ein bisschen Bildung kommt an diesem Samstag auch in Hoffmanns Rede vor. „Wir werden uns nicht damit abfinden, dass 1,4 Millionen Menschen im Alter von 20 bis 29 Jahren keine abgeschlossene Berufsausbildung haben.“ In 20 Minuten gibt es das übliche Programm eines DGB-Vorsitzenden, also etwas Eigenlob weil der Mindestlohn kommt, kleine Attacken auf „die Reichen und Superreichen“, denen Geld für Investitionen in Infrastruktur und Schulen abgeknöpft werden soll, Forderungen nach mehr Mitbestimmung und Bekenntnisse zu einem solidarischen Europa, Investitionsprogramm statt Kaputtsparen. Für jeden ist etwas dabei.

Wenn Hoffmann für die „Wiederbelebung“ der Vermögen- und Erbschaftsteuer wirbt, dann vertritt er die Position von Verdi-Chef Frank Bsirske. Und wenn er mit „Besser statt billiger“ für betriebliche Innovationen anstelle von Sparprogrammen plädiert, dann greift er einen Slogan des IG-Metall-Vorsitzenden Detlef Wetzel auf. Dass muss man wohl so machen an der Spitze des DGB. „Es geht darum, den Laden zusammenzuhalten“, weiß ein langjähriger Gewerkschaftschef. Das ist schwer genug und bedarf einer besonderen Statur. Hoffmanns Vorgänger Michael Sommer scheiterte an der Aufgabe; im Streit um die Agenda 2010 zerlegte sich der DGB, so dass Gerhard Schröder leichtes Spiel hatte.

Europa, sagt Hoffmann, liege ihm am Herzen

Für Hoffmann ist das Geschichte. Damals war er in Brüssel, als stellvertretender Generalsekretär des europäischen Gewerkschaftsbundes in einer anderen Welt. Ein großer Teil der Karriere spielt sich hier ab: Neun Jahre Leiter des Europäischen Gewerkschaftsinstituts, dann, von 2003 bis 2009, stellvertretender Generalsekretär des Europäischen Gewerkschaftsbundes. Anschließend ein paar Jahre Chef der IG BCE in NRW. „Europa liegt mir sehr am Herzen“, sagt Hoffmann. Er weiß, wie Politik funktioniert, kennt aufgrund seiner Jobs in verschiedenen Institutionen viele wichtige Leute in Wirtschaft und Politik. Und wenn er verbinden will, dann nicht zuletzt die vielen Fäden in seinem Netzwerk. Jetzt also in Berlin, wo er gemeinsam mit Arbeitgeberpräsident Ingo Kramer die deutsche Sozialpartnerschaft pflegt. „Berlin ist direkter, schneller und weniger komplex als Brüssel“, sagt Hoffmann.

Was Hoffmann nun vorhat

Seit zwei Monaten steht Reiner Hoffmann an der Spitze des DGB-
Seit zwei Monaten steht Reiner Hoffmann an der Spitze des DGB-
© dpa

Der neue Job macht ihm Spaß, und das versucht er ganz bewusst zu vermitteln, indem er sich lässig gibt. Nach dem verdrießlichen Michael Sommer haben die Gewerkschaften jetzt einen netten Kerl, jovial und TV-tauglich, offen für neue Themen, locker und leicht. Hoffmann redet gerne, etwas leise und bedachtsam, kommt schon mal vom Hölzchen aufs Stöckchen und landet dennoch im Ziel. „Das sind so kleine Dönekes“, grinst er selbst über Anekdoten aus Familie und Beruf. Offenheit schafft Nähe. Ein freundlicher Herr, der mit seinen rotblonden Haaren auch schon mal für einen Skandinavier gehalten wird, und dem es nicht an Selbstvertrauen mangelt. „Mit der Art und Weise, wie ich auf die Menschen zugehe, kann ich Menschen gewinnen.“

Nach der Konferenz in Bad Hersfeld lässt sich Hoffmann zur Raststätte Eisenach fahren. Zwei Dutzend Beschäftigte des Tankstellenbetreibers Autogrill streiken hier für bessere Löhne. Es ist verdammt heiß an der Autobahn, in einem kleinen Kinderplanschbecken kühlen sich die Arbeitskämpfer die Füße. „Wir begrüßen herzlich den DGB-Vorsitzenden Jürgen Hoffmann“, ruft der örtliche Gewerkschaftssekretär ins Megafon. Der Reiner grinst. „Wir wollen keine Billigbuden mehr in diesem Land“, sagt Hoffmann in einer kleinen Rede, in der auch der Mindestlohn vorkommt und gute Tarifverträge. „Der kann ja gut powern“, meint eine Streikende über den Besucher aus Berlin, obwohl der so gar nichts von einem Kraftprotz hat.

Hoffmann wuchs in einem Arbeiterhaushalt auf

Der Vater Maurer, die Mutter Putzfrau – Hoffmann wuchs auf in einem gewöhnlichen Arbeiterhaushalt, in dem Disziplin wichtig war, aber auch Freizügigkeit. „Meine Eltern haben meine lange Matte toleriert.“ Das hat sich übertragen. Der eigene Sohn trägt reichlich Tätowierungen und ging als Punker mit einem rot-grünen Irokesenkamm zur Schule in Brüssel. „Den ersten Schultag vergesse ich mein Leben nicht“, sagt Hoffmann heute. Damals hat er sich die bunte Erscheinung ein wenig schöngeredet: „Der muss Selbstvertrauen haben.“

Hoffmann gibt gerne den modernen Mann („Ich bin ein leidenschaftlicher Koch.“) und erzählt natürlich die Geschichte vom Sabbatical Anfang der 90er Jahre, als er ein Jahr ausstieg und sich um die beiden Kinder und den Haushalt kümmerte. „Das war völlig ungewöhnlich damals.“ Arbeitszeit, Zeitsouveränität, gute Arbeit – das sind die Themen, die er nun als DGB-Chef spielen will.

Was nach dem Kampf um den Mindestlohn kommt

Über ein Jahrzehnt haben die Gewerkschaften dem Kampf um den Mindestlohn und damit der prekären Arbeit gewidmet. Nun kommen wieder die „normalen“ Arbeitnehmer in den Fokus. „Der Mindestlohn hilft uns, aber die zentrale Frage ist eine andere: Wir müssen den Wert der Arbeit in den Mittelpunkt stellen.“ Hoffmann will sich auf die Suche machen nach einem Leitbild von guter Arbeit – gesund, qualifiziert, gut bezahlt, abwechslungsreich. Ein Leitbild, das sich vermarkten lässt und die Gewerkschaften attraktiver macht für Angestellte, Frauen und junge Leute. Gute Arbeit geht aber nur mit guten Arbeitgebern, auch deshalb hat Hoffmann die ersten Wochen im Amt genutzt, um ein Verhältnis zu Arbeitgeberpräsident Kramer aufzubauen. Eine erste Bewährungsprobe gibt es im Herbst, wenn die Arbeitgeber von der Regierung das versprochene Gesetz über die Tarifeinheit fordern werden und die Unterstützung des DGB brauchen. Eine knifflige Situation für Hoffmann. Denn die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi, ein Schwergewicht im DGB, ist dagegen.

Verdi-Chef Bsirske schätzt die Integrationsfähigkeit des neuen DGB-Chefs. Und nahm die schon ein paar Tage nach dessen Wahl in Anspruch, als es Zoff gab um die kalte Progression. Verdi sieht hier kaum Handlungsbedarf, möchte vielmehr Steuermilliarden für die öffentlichen Investitionen ausgeben. Die Industriegewerkschaften, vor allem IG BCE- Chef Michael Vassiliadis, wollen mehr Netto für ihre Leute. Es hat gerummst an der DGB-Spitze. Die Interessen der großen drei – Bsirske, Wetzel und Vassiliadis – auf einen Nenner bringen und dazu die kleinen Gewerkschaften im Blick behalten – das ist Hoffmanns Job. Dazu braucht er Geschick, Geduld und Gewicht. Glückauf, sagen die Bergleute, und saufen einen Schnaps.

Zur Startseite