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DGB-Vorsitzender Reiner Hoffmann.
© dpa

Neuer DGB-Chef Reiner Hoffmann: Hoffen auf Hoffmann

Der Deutsche Gewerkschaftsbund bekommt einen neuen Vorsitzenden. Nach zwölf Jahren tritt Michael Sommer ab. Für ihn rückte Reiner Hoffmann von der IG BCE an die Spitze des Dachverbands.

Der scheidende DGB-Vorsitzende zog ein zufriedenes Resümee: „Man hört uns, und man bezieht uns ein.“ Dieter Schulte meinte die Bundesregierung, und in diesem Mai 2002, als Schulte von Michael Sommer an der Spitze des DGB abgelöst wurde, war die Welt noch in Ordnung. Zehn Monate später sah das anders aus. Gerhard Schröder kündigte im März 2003 die Agenda 2010 an. Der SPD-Kanzler, dessen Wahlkampf die Gewerkschaften 1998 mit ein paar Millionen D-Mark gefördert hatten, schlug sich auf die Seite der Arbeitgeber. Ein Schock, von dem sich Sommer bis heute nicht erholt hat. An diesem Sonntag eröffnet er im neuen City Cube der Berliner Messe zum letzten Mal einen Bundeskongress des Deutschen Gewerkschaftsbundes, am Montag wird Reiner Hoffmann von den rund 400 Delegierten zum neuen Vorsitzenden gewählt.

„Sommer war von dem Amt und sich selbst so eingenommen, dass er nicht in der Lage war, strategisch und moderierend einzugreifen“, erinnert sich ein Gewerkschafter an die Jahre mit der Agendapolitik. Sommer räumt das heute selbst ein; er hatte aber auch kaum eine Chance, die Protagonisten und Positionen im eigenen Lager zusammenzuführen. Schröder- Freund Hubertus Schmoldt machte als Chef der IG BCE sein eigenes Ding, stellte sich vor Schröder und zoffte sich öffentlich mit IG-Metall-Chef Jürgen Peters. Die eigentlich mächtigen Metaller waren nach der Niederlage im Arbeitskampf um die 35-Stunden-Woche in Ostdeutschland und der sich anschließenden Führungskrise mit Aufräumarbeiten im eigenen Haus beschäftigt. Und Verdi war mit Selbstfindung beschäftigt; zu der Dienstleistungsgewerkschaft hatten sich 2001 fünf Gewerkschaften zusammengeschlossen. Die neue Großorganisation steckte trotz Frank Bsirske noch in der Pubertät. Und da auch der DGB-Vorsitzende nicht wusste, was er machen sollte, hatte Schröder keine Gegner auf Gewerkschaftsseite. „Die Art des Angriffs hat alle überrascht“, blickt ein Gewerkschafter zurück.

Dabei war Sommer hoffnungsfroh gestartet, gleich nach seiner Wahl warb er für einen neuen „Sozialkontrakt“ für mehr Gerechtigkeit, eine Art Megabündnis für Arbeit. Das war gut gemeint, aber die Erfahrungen mit dem Bündnis für Arbeit hätten ihn eines Besseren belehren können: Da war nämlich über die Jahre nicht viel rausgekommen. Arbeitgeber und Gewerkschaften blockierten alles Mögliche, so dass Schröder schließlich die Veranstaltung platzen ließ und mit der Agenda eine eigene Antwort fand auf demografischen Wandel, Langzeitarbeitslosigkeit und Wettbewerbsschwäche der Industrie. Nicht nur Schröder, auch die IG Metall reagierte auf die veränderten Verhältnisse und schloss Anfang 2004 den Tarifvertrag von Pforzheim, der den Betrieben mehr Flexibilität ermöglichte.

Heute sind die Exportindustrien so stark wie nie – auch wegen der konstruktiven Haltung der Gewerkschaften bei der Überwindung der Krise 2008/09. Das eh schon ordentliche Verhältnis zu Angela Merkel wurde noch einmal besser, so dass Sommer jetzt seinem Nachfolger Hoffmann sagen kann, „man hört uns, und man bezieht uns ein“. Damit ist auch schon der Arbeitsplatz des DGB-Vorsitzenden beschrieben – als politische Stimme der acht DGB-Gewerkschaften muss er in der Berliner Politik gehört werden. Hoffmann muss sich das erarbeiten.

Im Vergleich zu Sommer, der nie souverän wurde und dessen Hang zur Theatralik komisch wirkte, ist Hoffmann ein intellektueller Typ mit einer gewissen Weltläufigkeit. Das liegt auch an Brüssel. Der Diplom-Ökonom, 1955 in Wuppertal geboren, arbeitete unter anderem für den Wirtschafts- und Sozialausschuss der EU sowie beim Europäischen Gewerkschaftsinstitut und dem Europäischen Gewerkschaftsbund. Seit 2009 war er Leiter des Bezirks Nordrhein der IG Bergbau, Chemie, Energie in Düsseldorf.

Hoffmann steht für die klassische Gewerkschafterkarriere: Erst Ausbildung (bei Hoechst), über den zweiten Bildungsweg zu Studium und Diplom, seit dem 17. Lebensjahr Gewerkschaftsmitglied. Nun wird er DGB-Chef, weil die IG BCE dran war: Nach dem IG Metaller Schulte und dem Verdi-Mann Sommer hatte diesmal die Chemiegewerkschaft das Vorschlagsrecht für das Spitzenamt in der DGB-Zentrale am Hackeschen Markt mit ihren gut 150 Mitarbeitern. „Ich freue mich auf Reiner Hoffmann“, sagt IG-Metall-Chef Detlef Wetzel. Das gilt auch für Verdi-Boss Bsirske. Diese beiden und der IG-BCE-Chef Michael Vassiliadis sind die entscheidenden Spielpartner für Hoffmann. Sie haben die Macht und finanzieren (mit zwölf Prozent ihrer Beitragseinnahmen) den DGB, er hat das Wort und die Berliner Bühne.

Hoffmann ist klar im Kopf und in der Sprache; ihm wird ein ähnliches Elefantengedächtnis wie Helmut Kohl nachgesagt; er gilt als eifriger Netzwerker mit dickem Telefonbuch. Europa und die Industrie liegen ihm am Herzen, hier darf man Impulse erwarten. Hoffmann ist seit mehr als 40 Jahren Mitglied der SPD – und wird sicher nicht den DGB zu einer sozialdemokratischen Wahlkampftruppe machen. Das war einmal und kommt so schnell nicht wieder. Dafür sind die Erfahrungen des Sozialdemokraten Michael Sommer, der an der DGB-Spitze zu einer tragischen Figur wurde, viel zu bitter.

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