Inklusion im Job: „Hauptsache, die Arbeit wird gut“
Jugendliche mit Beeinträchtigungen haben es beim Start in die Ausbildung nicht leicht. Drei junge Berufstätige erzählen, wie sie ihren Weg gehen.
Jasper Dombrowski (23), Behindertenverband
An seinen Ausbildungsplatz ist Jasper Dombrowski mit der Hilfe eines Freundes gekommen, der den Inhaber der Kreuzberger Werbeagentur Die Goldkinder kannte. „Nach einigem Überlegen hat der sich für mich entschieden. Ich bin unendlich glücklich, dass das geklappt hat“, sagt der 23-Jährige. Denn der Weg bis zur Ausbildung zum Mediengestalter war nicht einfach: „Häufig habe ich Absagen bekommen. Das kann an meiner Behinderung liegen, von der ich in der Bewerbung geschrieben habe, oder auch daran, dass es einfach zu viele Bewerber gab.“ Zu zwei, drei Gesprächen wurde er zwar eingeladen, aber nicht eingestellt. „Sie haben sich nicht darauf eingelassen – warum auch immer.“
Aufgrund einer Zerebralparese, einer frühkindlichen Hirnschädigung, ist Jasper bei Tätigkeiten wie Essen, Toilettengängen oder auch einfachen Handgriffen auf Hilfe angewiesen; im Alltag steht ihm dafür eine Assistenzperson zur Seite. Auch das Sprechen fällt ihm schwer: „Wer mich länger kennt, kann mit mir sprechen.“ Mit allen anderen kommuniziert er lieber schriftlich über sein iPad.
Nach Ende seiner Ausbildung recherchierte der Mediengestalter im Internet und stieß dabei auf die Berliner Behindertenzeitung. „Da habe ich einfach eine Mail mit meinem Portfolio hingeschickt und gefragt, ob sie jemand bräuchten.“ Nach wenigen Mails und einem persönlichen Treffen mit dem Vorsitzenden des Berliner Behindertenverbandes Dominik Peter war klar, dass beide sich eine Zusammenarbeit vorstellen konnten.
Mittlerweile ist Jasper Dombrowski seit zwei Jahren für das Layout der Berliner Behindertenzeitung verantwortlich und gestaltet Flyer, Plakate und Banner für verschiedene Veranstaltungen. Die Arbeit macht ihm großen Spaß, auch mit dem Team kommt er gut zurecht: „Nach einiger Zeit werden alle zunehmend entspannter.“ Dass er an seiner Arbeit und nicht an seinen körperlichen Einschränkungen gemessen wird, ist Jasper wichtig. „Es ist doch egal, ob man ein Handicap hat oder nicht. Hauptsache, die Arbeiten werden gut. Wenn sich ein paar mehr Leute darauf einlassen würden, könnten viele Menschen mit Behinderungen auf dem ersten Arbeitsmarkt beschäftigt sein.“ Das helfe auch gegen den Fachkräftemangel in Deutschland. „Menschen mit Behinderungen sind nämlich auch super ausgebildet.“
Sandra Tarauzki (17), Familiencafé Amitola
Welche Zutaten in die Möhren-Ingwer-Suppe gehören, kann Sandra Tarauzki schon aufzählen. Das Gemüse dafür schneidet sie beinahe im Schlaf. Nur an die langen Arbeitszeiten muss sie sich noch gewöhnen: „Das ist schon anstrengender als Schule.“
Seit Anfang September macht die 17-Jährige im Friedrichshainer Familiencafé Amitola eine dreijährige Ausbildung zur Fachpraktikerin im Gastgewerbe, auch Beiköchin genannt. „Eigentlich wollte ich gern was mit Kindern machen.“ Aber dafür waren ihre Leistungen in der Schule nicht gut genug. Sandra Tarauzki hat eine Lernbehinderung, hinzu kommt eine Lese- und Rechtschreibschwäche: „Es fällt mir schwer, Sachen zu verstehen und sie mir zu merken. Man muss mir vieles mehrmals erklären.“ Die Schule hat sie im Sommer ohne Abschluss verlassen; die Ausbildung zur Erzieherin blieb ihr damit verwehrt.
„Es war schon schwer für mich, etwas Passendes zu finden“, sagt die junge Frau im Nachhinein. Doch seit der siebten Klasse stand ihr eine Berufsberaterin zur Seite, die ihr schließlich das Familiencafé Amitola empfahl. Für dessen Inhaberin Ines Pavlou zählt das Potenzial, das jeder Mitarbeiter mitbringt. Persönliche Einschränkungen seien nebensächlich: „Bei uns arbeiten alle in einem Team, egal ob jemand gesundheitlich oder körperlich eingeschränkt ist oder nicht.“
Für Tarauzki war nach einem Praktikum klar, dass sie im Café eine Ausbildung machen möchte. Aufgrund ihrer Lernschwäche ist diese theoriereduziert; das bedeutet, dass der Unterrichtsstoff für die 17-Jährige einfacher ist als für andere Azubis. Jeden Freitag und alle zwei Wochen donnerstags besucht sie die Berufsschule. Von Dienstag bis Donnerstag ist sie von zehn bis 19 Uhr zusammen mit einer anderen Auszubildenden und der Köchin in der Küche zugange.
Sandra Tarauzki fühlt sich wohl im Café: „Das Team ist nett, ich verstehe mich mit allen sehr gut.“ Morgens besprechen die Kolleginnen, welches Tagesgericht es gibt. Die Auszubildende schneidet Gemüse, setzt Wasser auf, bereitet Nudelpfanne, Bauernfrühstück oder verschiedene Suppen vor: „Es macht mir auf jeden Fall Spaß, das ganze Kochen“, sagt sie. Manchmal arbeitet sie auch im Service – und freut sich, dass sie dabei den Kindern der Gäste begegnet.
Cevin Hamann (20), Annedore-Leber-Berufsbildungswerk
Wenn er sich von einer Situation überfordert fühlt, kommt es vor, dass Cevin Hamann einfach abhaut. Große Angst machen ihm Menschenmassen, genauso Veränderungen in der Routine. Es fällt ihm schwer, sich in andere hineinzuversetzen. Manchmal, in einer depressiven Phase, zieht er sich ganz in sich zurück, an anderen Tagen ist er aufgedreht und redet er wie ein Wasserfall. „Man sieht mir nicht an, dass ich beeinträchtigt bin“, sagt der 20-Jährige. „Ich versuche, mich anzupassen.“ Und doch sei der Umgang mit ihm für manche schwierig.
Dass er aufgrund seiner psychischen Beeinträchtigung keine normale Ausbildung würde machen können, war Cevin Hamann früh klar. Der erste Versuch bei einem Berufsbildungswerk in Greifswald scheiterte. „Ich hatte Probleme mit den Mitarbeitern, mir hat die Umgebung nicht gutgetan.“ Hamann zog zurück zu seiner Familie in die Nähe von Schwerin und sortierte sich neu. „Ich wollte immer mal woanders hin.“ Nach Berlin habe es ihn trotz – oder gerade wegen – seiner Angst vor vielen Menschen gezogen, „auch, um daran zu arbeiten“.
Mit Unterstützung seiner Familie und eines Berufsberaters fand der junge Mann den Weg ins Annedore-Leber-Berufsbildungswerk Berlin, bezog eine Wohnung im zugehörigen Internat und ist mittlerweile im zweiten Lehrjahr seiner Ausbildung zum Kaufmann für Büromanagement. An zwei Tagen pro Woche besucht er die Berufsschule, an den anderen drei Tagen arbeitet er an einem der Lernorte des Werkes. Wenn er Hilfe braucht oder reden will, steht ihm ein Team aus Sozialarbeiterinnen und Psychologen zur Seite. Seine Ausbilderin hilft dem 20-Jährigen auch bei alltäglichen Dingen wie Arztbesuchen oder dem Ausfüllen von Anträgen.
Im Dezember beginnt für Cevin Hamann ein zehnmonatiges Betriebspraktikum außerhalb der Einrichtung. Dass sein Arbeitsweg sich dadurch ändert, beschäftigt den Azubi mehr als andere. Es beruhigt ihn, dass seine Ausbilderin ihn am ersten Tag seines Praktikums begleiten und auch beim Kennenlernen mit Vorgesetzten und Kollegen dabei sein wird. „Falls ich noch irgendwelche Ängste bekommen werde, weiß ich, dass ich hier Leute habe, die mir zur Seite stehen“, sagt Cevin Hamann. „Aber momentan fühle ich mich dem tatsächlich gewachsen und freue mich sogar darauf.“
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Alena Hecker
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