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Wie sich die Zeiten ändern: Heute wirbt Haribo mit Erwachsenen, die wie Kinder sprechen.
© dpa

Süßes oder Saures?: Haribo wird 100 Jahre alt

Lidl trennt sich von Haribo, das Werk in Sachsen wird geschlossen: Zum Jubiläum hat der Goldbärenproduzent vor allem eines: jede Menge Ärger.

Wenn das der Alte noch erlebt hätte: Statt dem Goldbären zu huldigen und die guten, alten Zeiten Revue passieren zu lassen, produziert Deutschlands größter Gummibärchen- und Lakritzproduzent Haribo an seinem 100. Geburtstag vor allem eines: negative Schlagzeilen. Weil Lidl Preiserhöhungen nicht akzeptieren wollte, hat der Discounter Haribo kurzerhand aus dem Regal geworfen.

Da, wo früher Color-Rado oder Goldbären waren, machen sich jetzt Katjes, Trollis und anderes Süßzeug breit. Haribo ist verzichtbar geworden.

Unter Hans Riegel junior, dem Patriarchen an der Unternehmensspitze, wäre das unvorstellbar gewesen. Sein Vater, Hans Riegel senior, hatte das Unternehmen am 13. Dezember 1920 in einem Bonner Hinterhof gegründet.

Der gelernte Bonbonkocher benannte die Firma nach seinem Namen und dem Ort der Produktion: HAns RIegel BOnn. Als der Vater vor Kriegsende starb, trat der Sohn in seine Fußstapfen. Mit 23 Jahren übernahm er, gerade aus der Kriegsgefangenschaft zurück, das Familienunternehmen und machte Haribo groß.

Zwei Originale: der langjährige Haribo-Chef Hans Riegel neben dem Goldbären.
Zwei Originale: der langjährige Haribo-Chef Hans Riegel neben dem Goldbären.
© dpa

Als Riegel vor sieben Jahren im Alter von 90 starb, hinterließ er ein florierendes Unternehmen. Mit den Discountern hatte sich der Chef stets gut gestellt, die Firma hatte er mit harter Hand geleitet. Den Führungskräften hatte Riegel die Post jeden Morgen persönlich überreicht und sie dabei ins Gebet genommen. Seinem Neffen Hans-Guido Riegel liegt ein solches Durchregieren fern, heißt es. Doch manch einer wünscht sich wohl mehr Führung zurück.

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Das mag auch daran liegen, dass manche Entscheidung ein Flop war. Die Idee, zuckerreduzierte Fruchtgummis in den Mittelpunkt der Werbung zu rücken, hat Haribo vor zwei Jahren zehn Prozent Umsatz gekostet, während Katjes und Storck in derselben Zeit zweistellige Zuwächse erzielen konnten. „Wir haben unsere Topprodukte wie den Goldbären aus den Augen verloren“, sagte Deutschland-Chef Andreas Patz dem „Handelsblatt“. „Wir bekennen uns klar zur Süßware“, betont ein Sprecher heute. „Unsere Produkte sind Genussprodukte“.

160 Millionen Goldbären werden jeden Tag produziert

Der Bestseller aus dem Hause Haribo ist und bleibt der Goldbär. 160 Millionen dieser Gummibärchen werden täglich weltweit produziert. In Spanien kennt man ihn als Ositos de Oro, in der Türkei als Atlin Ayicik. Weltweit bietet Haribo rund 1000 verschiedene Süßigkeiten an, in Deutschland sind es 300. Hierzulande ist das Familienunternehmen Marktführer in seinem Segment, die Marktanteile schwanken zwischen 56 und 60 Produzent. Der Jahresumsatz wird auf 2,5 bis drei Milliarden Euro geschätzt, das Unternehmen äußert sich dazu nicht.

Die Anfänge: Mitarbeiterinnen verpacken 1935 Süßigkeiten.
Die Anfänge: Mitarbeiterinnen verpacken 1935 Süßigkeiten.
© dpa

7000 Menschen arbeiten weltweit für den Süßigkeitenhersteller, im Bundesstaat Wisconsin baut man derzeit das erste Werk in den Vereinigten Staaten. Ende 2022 soll die Produktion dort anlaufen, geplant sind bis zu 385 Arbeitsplätze. In den USA ist Haribo seit 2018 die erfolgreichste Fruchtgummimarke.

In Sachsen wird das Werk geschlossen, die Empörung ist groß

Währenddessen wird das Werk im sächsischen Wilkau-Haßlau zum Jahresende dicht gemacht. Schon zu DDR-Zeiten hatte man hier Gummibärchen gekocht. Nun verlieren die 150 Mitarbeiter ihre Jobs, es sei denn, sie ziehen Hunderte Kilometer entfernt um und wechseln in eines der vier westdeutschen Werke Bonn, Grafschaft, Neuss oder Solingen. Die Empörung im Osten ist groß. Das Land Sachsen beendete seine Werbekooperation mit Haribo, Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) forderte die Geschäftsführung auf, ihre Pläne zu überdenken.

Protest: Menschen protestieren auf dem Marktplatz gegen das Aus für den Haribo-Standort in Wilkau-Haßlau.
Protest: Menschen protestieren auf dem Marktplatz gegen das Aus für den Haribo-Standort in Wilkau-Haßlau.
© dpa

Noch deutlich wurde Heils Parteifreund, Sachsens Wirtschaftsminister Martin Dulig. Haribo sei kein Familienunternehmen mehr, sagte Dulig der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“. „Die neuen Gesellschafter dort verfolgen knallhart gewinnmaximierende Interessen, sie leben eben nicht mehr diese Verantwortung, die ein Familienunternehmen seinerzeit noch gegenüber der Belegschaft, aber auch einer Region hatte“, kritisiert Dulig. Auf dem Papier ist Haribo aber durchaus noch ein Familienunternehmen. Die Firma gehört zur Hälfte der Stiftung von Hans Riegel, der kinderlos geblieben war, und zur anderen Hälfte den Nachfahren von Paul Riegel, dem Bruder von Hans.

Es gibt einen Sozialplan

Appelle der Politik und Demonstrationen der Beschäftigten haben dazu geführt, dass es seit Freitag Eckpunkte für einen Sozialplan gibt. Nach Angaben der Gewerkschaft NGG soll es in diesem Jahr keine Kündigungen mehr geben. Haribo verspricht finanzielle Kompensationen und will daran mitarbeiten, „eine zukunftsfähige Nachfolgenutzung für unser Betriebsgelände zu finden, hierzu wird es zeitnah weitere Gespräche mit der Lokal- und Landespolitik geben“, betonte der für die Produktion zuständige Haribo-Geschäftsführer Michael Molsberger.

Das Unternehmen hält aber an dem Entschluss fest, das Werk um Jahresende zu schließen. Es erfülle nicht mehr die Anforderungen an eine wirtschaftliche und effiziente Produktionsstruktur. Haribo will die Produktion in Deutschland künftig in einem Radius von 100 Kilometern um den Hauptsitz bündeln. Der heißt nicht mehr Bonn, sondern Grafschaft.

2018 zog Haribo in das neue moderne Werk in Rheinland-Pfalz um. Aus Haribo wurde quasi „Harigra“. Ohne Probleme ging auch diese Modernisierung nicht. Bei der Umstellung auf SAP häuften sich die Lieferpannen und Ausfälle, auch das hat Umsatz gekostet.

Hans Riegel, der Patriarch, hat das nicht mehr erlebt. Genauso wenig wie den Abschied von der langjährigen Werbeikone Thomas Gottschalk. Statt mit dem Entertainer wirbt Haribo jetzt mit Erwachsenen, die in Kinderstimmen miteinander sprechen. Ein Sujet wie aus dem Gruselfilmen kennt. Diese Werbestrategie sei „perfekt auf den Kern der Marke und unsere Produkte ausgerichtet“, heißt es aber bei Haribo. Riegel würde das nicht gefallen. Er hatte Gottschalk angeheuert, war mit ihm befreundet. „Thomas ist bekannter als Frau Merkel“, hatte er vor Jahren im Tagesspiegel-Interview erzählt.

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Doch diese Zeiten sind vorbei. Vieles ändert sich, auch bei Haribo. Seit Februar sind die „Milpferde“ auf dem Markt, eine Kombination aus Fruchtgummi und Schaum mit Milchgeschmack. Im Sommer brachte das Unternehmen erstmals Melonen-Fruchtgummis in die Regale, die „Haribo Melonen“. Den Geschmack der Fans dürfte Haribo aber wohl eher mit dem Jahrhundert-Mix treffen: eine Sammlung von acht Klassikern.

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