Gegen den Fachkräftemangel: Handwerkspräsident schlägt Ablösesummen für Azubis vor
Erst koste der Azubi viel Geld – dann werde er abgeworben, kritisiert das Handwerk. Nun ist eine Lösung im Gespräch, die man so ähnlich vom Fußball kennt.
Erst kostet der Azubi viel Geld, dann geht er mit seinem Wissen und Können zur Konkurrenz. Was für eine Zeitverschwendung! Wer jemanden direkt nach der Ausbildung abwirbt, soll deswegen eine Ablösesumme zahlen. Das schlägt zumindest der Handwerkspräsident Hans Peter Wollseifer vor. Aus seiner Sicht wäre diese Art der Entschädigung, die man so ähnlich vom Fußballplatz kennt, nur fair.
Konkret könnte etwa zur Regel werden, dass Auszubildende in den ersten Jahren nach ihrer Lehre nur dann den Betrieb wechseln dürfen, wenn der neue Chef einen Teil der Ausbildungskosten übernimmt, findet der Präsident des Zentralverbands des Deutschen Handwerks (ZDH). Die Unternehmen steckten während der dreijährigen Lehre immerhin viel Geld in den Nachwuchs – und das oft mit dem Gedanken, die jungen Leute später zu übernehmen und ohne lange Einarbeitung direkt einsetzen zu können.
Im Handwerk wird allerdings nicht nur über die fehlende Treue der jungen Leute gejammert. Viele Anfänger seien nicht motiviert und belastbar genug, heißt es, sie hätten falsche Vorstellungen vom Beruf. Wissen in Mathe und Deutsch, das sei alles mal besser gewesen. Doch immer mehr Unternehmen finden gar keine Auszubildenden mehr, über die sie schimpfen könnten. Hauptsache Abitur war jahrelang das Credo von Wirtschaft und Politik. Und wer Abi hat, der soll studieren. Seit drei Jahren gehen mehr junge Menschen an die Uni, als dass sie eine Lehre beginnen. Mit der Konsequenz, dass allein im Handwerk 250 000 Fachkräfte fehlen.
Allein ist die Branche mit ihren Problemen nicht. „Gerade für kleine Unternehmen ist es oft eine Herausforderung, Azubis für sich zu gewinnen und nach der Ausbildung als Fachkräfte zu halten“, meint beispielsweise Achim Dercks, stellvertretender Hauptgeschäftsführer des Deutschen Industrie- und Handelskammertags. „Das ist für ausbildende Betriebe verständlicherweise frustrierend.“ Finanzielle Hürden für einen Wechsel nach der Ausbildung dürften aber rechtlich gesehen schwierig sein.
DGB kritisiert: "Ein Vorschlag aus Absurdistan!"
Wie teuer ein Auszubildender tatsächlich ist, unterscheidet sich nach Branche. Insgesamt zahle der Betrieb aber immer drauf, sagt Wollseifer. „Die Ausbildung kostet im ersten und zweiten Jahr Geld – im ersten Jahr viel, im zweiten Jahr etwas weniger.“ Erst im dritten Lehrjahr komme „dann auch ein bisschen was rein“. Nach der aktuellsten Kosten-Nutzen-Rechnung des Bundesinstituts für Berufsbildung (bibb) hat ein Betrieb pro Azubi jährliche Kosten von etwa 18 000 Euro. Zugleich erwirtschaftet der Lehrling rund 12 500 Euro. Der Betrieb lässt sich einen passgenau ausgebildeten Mitarbeiter bei dreijähriger Ausbildung also mehr als 15 000 Euro kosten.
Zwei von drei Fachkräften, die im Handwerk qualifiziert werden, arbeiten ausgelernt aber nicht nur in einem anderen Unternehmen. Sie wechseln im Laufe ihres Erwerbslebens sogar den kompletten Wirtschaftsbereich, sagt Wollseifer.
Das verwundert Stefan Körzell, Vorstandsmitglied des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB), überhaupt nicht. „Wenn die Arbeitsbedingungen im Handwerk besser wären, ausgebildete Gesellinnen und Gesellen besser verdienen würden und davon ausgehen könnten, auch im Alter eine existenzsichernde Rente zu bekommen, dann würden viele auch im Handwerk bleiben“, sagt er. Doch das Gegenteil sei der Fall. Bloß zehn Prozent der Beschäftigten finden laut einer DGB-Umfrage, dass sie eine gute Arbeit haben. 45 Prozent berichten, dass ihr Einkommen nicht oder nur so eben zum Leben reicht. 80 Prozent gehen davon aus, dass sie im Ruhestand keinesfalls von ihrem Geld leben können. Angesichts solcher Umstände im Handwerk meint Körzell zu der Idee von Wollseifer: „Das ist ein Vorschlag aus Absurdistan!“
Vor kurzem lehnte Wollseifer jeden Zwang ab
Einige Branchen müssen derweil damit rechnen, dass die Ausbildung demnächst noch teurer wird. Bildungsministerin Anja Karliczek (CDU) plant einen Azubi-Mindestlohn: Alle Auszubildenden sollen vom kommenden Jahr an im ersten Lehrjahr mindestens 515 Euro im Monat verdienen. Im zweiten und dritten Lehrjahr soll es dann noch mehr geben. Das Handwerk sei von diesen Regelungen besonders betroffen, meint Wollseifer, denn 28 Prozent aller Lehrlinge in Deutschland lernten in seinen Gewerken. Die meisten von ihnen verdienen zwar schon jetzt mehr als den geplanten Mindestlohn – aber längst nicht alle. Vor allem ostdeutsche Unternehmen müssten mit dem neuen Mindestlohn deutlich mehr in die Ausbildung investieren. In Metzgereien verdienen Azubis dort derzeit nur 310 Euro im Schnitt.
Den Betrieben werde das Probleme bereiten, glaubt Wollseifer. Sie könnten die Mehrkosten auch nicht einfach umlegen, weil die Kunden nicht bereit seien, mehr zu zahlen. Höhere Löhne für Beschäftigte zu fordern, sei das eine, aber das andere sei es dann, für die Leistung auch einen entsprechend wertschätzenden Preis zu zahlen. „Oft muss man feststellen: Wenn es ans eigene Portemonnaie geht, soll es vor allem günstig sein“, sagt Wollseifer.
Vor einigen Wochen klang der Handwerkspräsident noch etwas anders. Im Interview mit dem Tagesspiegel wurde er gefragt, was er von einem Pflichtpraktikum für Schüler halte. Ein Vorschlag der Gewerkschaften. „Handwerker sind Freidenker“, sagte er. „Mit Pflicht und Zwang haben wir es nicht so.“ mit dpa