Wie Lebensmittel gekennzeichnet werden sollen: Gutes Essen, schlechtes Essen
Ist ein Lebensmittel gesund oder nicht? Macht es dick? Verbraucher sollen künftig besser informiert werden. Aber wie?
Mehr als die Hälfte der Bundesbürger ist zu dick, Millionen Menschen ernähren sich falsch und schlagen sich deshalb mit Herz-Kreislauf-Problemen, Bluthochdruck oder Diabetes herum. Krankenkassen und Ärzte schlagen Alarm, Verbraucherschützer fordern seit langem eine einfache und wirksame Entscheidungshilfe für den Lebensmittelkauf im Supermarkt.
Das Thema hat es bis in den Koalitionsvertrag geschafft. Dort hat sich die schwarz-rote Koalition auf eine vereinfachte visualisierte Kennzeichnung geeinigt. Bundesernährungsministerin Julia Klöckner (CDU) will bis zum Sommer einen Vorschlag machen. Doch der Streit um Wahrheit und Klarheit auf der Lebensmittelverpackung spitzt sich zu.
Wie einfach darf eine Lösung sein?
Seit Jahren streiten Verbraucherschützer und die Lebensmittelwirtschaft. Es geht um Glauben und um das Geschäft. Verbraucherschützer wollen eine möglichst einfache Lösung, um die Kunden nicht zu überfordern: Mithilfe einer farblichen Kennzeichnung sollen Verbraucher im Laden auf einen Blick erkennen können, ob die Fischstäbchen, die Pizza oder der Gemüsereis aus der Tiefkühltruhe gesund sind oder nicht.
Und: Ob etwa der Dany-Schokopudding, gemessen an seinen Nährstoffen, besser ist als die Konkurrenz von Landliebe oder Rewe. Die Lebensmittelindustrie lehnt das ab. Sie befürchtet, dass bestimmte Lebensmittel als „böse“ verdammt werden. Eine ausgewogene Ernährung, meint Stephan Nießner, Präsident des Lebensmittelverbands BLL, „erreicht man am besten durch eine abwechslungsreiche Ernährung“.
Die Tabelle auf der Rückseite liest kaum jemand
Nur in einem sind sich alle einig: Die bisherige Regelung ist schlecht. Die Hersteller drucken auf die Rückseite ihrer Lebensmittelpackungen Tabellen mit den wichtigsten Nährwerten, doch wer liest die schon? „Kaum ein Konsument studiert beim Einkauf ausführlich die Verpackungsrückseite“, sagt Ministerin Klöckner.
Die CDU-Politikerin hatte auf eine europaweite Lösung gehofft, doch die ist nicht in Sicht. Nun will Klöckner einen eigenen Vorschlag für eine deutsche Kennzeichnung vorlegen. Daran wird derzeit gearbeitet. Nur eines steht für Klöckner fest: „Die gesunde Wahl soll die leichte Wahl sein“. Und: Die Kennzeichnung soll freiwillig sein.
Wie viel Wertung ist erlaubt?
Auf dem Markt sind derzeit vor allem zwei Systeme: Der Vorschlag der Lebensmittelindustrie, die zwar angeben will, wie viel Fett, Salz, Zucker, Kalorien und ungesättigte Fettsäuren in einem Produkt stecken, aber auf jegliche Wertung verzichtet. Ganz anders geht das von Verbraucherschützern favorisierte und in Frankreich bereits praktizierte sogenannte Nutriscore-Modell vor. Es arbeitet mit Punkten: Je mehr Kalorien, Zucker, gesättigte Fettsäuren und Salz enthalten sind, desto höher die Punktzahl. Eine hohe und damit schlechte Punktzahl können die Hersteller aber mit gesunden Inhalten wie Ballaststoffen, Eiweiß sowie viel Obst, Gemüse und Nüssen senken. Am Ende steht eine Gesamtpunktzahl und einer Gesamtbewertung auf einer Skala von „A“ (grün, also gesund) bis „E“ (rot, Finger weg).
Welche Unternehmen den Nutriscore schon benutzen
Einige Unternehmen verwenden den Nutriscore in Deutschland bereits. Mestemacher kennzeichnet Brot damit, McCain will seine Tiefkühlpommes ab Mai mit der Farbskala bewerten, Bofrost verwendet den Nutriscore im Internet, um die Kunden zu informieren. Danone druckt das Label bereits auf seine „Fruchtzwerge“ und den „Dany“-Schokopudding, im Mai folgt der Joghurt „Activia“, bis Ende des Jahres sollen fast 90 Prozent aller frischen Milchprodukte aus dem Hause Danone den Nutriscore tragen.
Auch der Tiefkühlhersteller Iglo hatte im Mai damit beginnen wollen, die Farbskala auf Verpackungen zu drucken. Für vier seiner Produkte hatte das Unternehmen das bereits probeweise im Internet getan. Doch Mitte April machte das Landgericht Hamburg Iglo einen Strich durch die Rechnung. Per Einstweiliger Verfügung untersagte das Gericht sowohl die Veröffentlichung im Internet als auch die Verwendung des Nutriscores auf Verpackungen.
Das Gericht monierte einen Verstoß gegen die „Health Claims Verordnung“ zur Gesundheitswerbung und bemängelte, es fehle an fundierten wissenschaftlichen Erkenntnissen, dass der Nutriscore Verbraucher nicht in die Irre führt. Iglo hat Berufung eingelegt. Geklagt hatte der Schutzverband gegen Unwesen in der Wirtschaft. Warum der Verband ausgerechnet gegen Iglo und nicht gegen andere Verwender des Nutriscores vorgegangen ist, ist ungeklärt. Entsprechende Fragen des Tagesspiegels blieben leider unbeantwortet.
Nutella und Bratwürstchen bekommen die schlechteste Note
„Der Nutriscore ist nicht perfekt“, heißt es bei der Verbraucherzentrale Hamburg, Die Skala sei aber „ein gutes Hilfsmittel, um den Nährwert eines Lebensmittels auf einen Blick zu erkennen.“ Die Verbraucherschützer haben das System getestet und für zahlreiche Produkte – von Fischstäbchen bis Cola – beispielhaft den Nutriscore errechnet. Der Test zeigt: Es kommt auf die Einzelheiten an.
So schneiden die Vollkorn-Fischstäbchen von Iglo mit der Bestnote „A“, die Backfisch-Stäbchen aber nur mit einem mittelmäßigen „C“ ab. Nutella landet mit „E“ ganz unten, die „Bio-Haselnusscreme“ rettet sich dagegen zumindest auf ein „D“. Keine Hoffnung gibt es dagegen für die Nürnberger Rostbratwürstchen, die ebenfalls ein rotes „E“ bekämen. Vielleicht sollte man stattdessen lieber zu „Hähnchen-Filetsteaks Olivenöl-Meersalz“ (Note „B“) greifen.
So machen es die anderen
An einem fehlt es Klöckner nicht: an Vorbildern. Beispiele gefällig? Die Briten arbeiten mit der Nährstoffampel, die den jeweiligen Anteil von Fett, gesättigten Fettsäuren, Zucker und Salz mit den Ampelfarben (grün ist gut, rot ist schlecht) kennzeichnet. Italien hat ein einfarbiges Batteriemodell entwickelt, das – wie der Ladezustand einer Batterie – anzeigt, wie viel Zucker, Fett, gesättigte Fettsäuren, Salz und Kalorien das jeweilige Lebensmittel von der Tagesdosis aufbraucht.
In Chile gibt es – verpflichtend – schwarze Warnhinweise, wenn ein Produkt viel Zucker, Salz, gesättigte Fettsäuren und Kalorien enthält, Israel will ab Januar nächsten Jahres rote Warnhinweise für ein Übermaß an Zucker, Salz und gesättigten Fettsäuren vorschreiben. Andere Staaten arbeiten mit Lob: So werden in Schweden, Tschechien und Finnland Produkte ausgezeichnet, die in ihrer Klasse besser sind als andere. In Schweden bekommen sie ein Schlüsselloch, in Finnland ein Herz, in Tschechien einen Haken mit Sonne. Übrigens nicht nur in Tschechien: Das System gibt es auch in Nigeria und Argentinien.
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