Zerschlagung von Air Berlin: Gut für Frankfurt, schlecht für Berlin
Air Berlin wird wahrscheinlich unter Lufthansa, Easyjet und Condor aufgeteilt. Was bedeutet das für Fluggäste, Konkurrenten, Belegschaft? Eine Analyse.
Es hätte schlimmer kommen können. Das ist ein erster Eindruck auf das sich abzeichnende Ende der Geschichte von Air Berlin. Schließlich hatte sie zuletzt mehr als zwei Milliarden Euro Schulden und besaß kein einziges Flugzeug mehr. Alle 144 verbleibenden rot-weiß-lackierten Jets waren geleast. Alle Mitarbeiter wussten, dass es mit Herzblut allein auf Dauer nicht mehr weitergeht, wenn jeden Tag Geld verbrannt wird. Es wäre auch möglich gewesen, dass sich dafür gar kein Bieter findet.
Wenn das Unternehmen jetzt zerschlagen, die Flotte aufgeteilt wird unter einigen großen und etablierten Konkurrenten, wie sich nach Sitzungen der Gläubiger am Donnerstagabend abzeichnet, dann ist das in der Gesamtschau wohl positiv zu bewerten - zumal die wahrscheinlichen neuen Eigentümer Lufthansa, Easyjet und Condor auch einen signifikanten Teil der bisherigen Air-Berlin-Mitarbeiter brauchen werden, um die Jets in der Luft zu halten.
Nimmt man die einzelnen Perspektiven ein, ist das Ergebnis aber deutlich differenzierter zu betrachten. So kann sich zum Beispiel manch ein Pilot, der bisher Langstrecke für die Berliner geflogen ist, herzlich wenig davon kaufen, dass Kollegen der Kurz- und Mittelstrecke gute Jobperspektiven haben. Sollte sich aber wirklich kein Bieter für die Langstreckenjets finden, wäre es für diese Kollegen und ihre Familien individuell ein Desaster.
Der Luftverkehrsstandort Deutschland gewinnt
Zu den Gewinnern zählt - mittelfristig und vorbehaltlich einer Einigung und kartellrechtlichen Freigabe bis Mitte Oktober 2017 - der Luftverkehrsstandort Deutschland insgesamt. Zwei der drei Airlines, Lufthansa und Condor, sitzen in Frankfurt am Main, zahlen dort Steuern, verhandeln mit deutschen Gewerkschaften Tarifverträge. Die Wertschöpfung, die durch ihr wachsendes Geschäft erbracht wird, kommt Frankfurt, Hessen und dem Bund insgesamt zugute. Langfristig aber muss man die Frage stellen, ob die Bundesregierung dem Land einen Gefallen getan hat, so früh und eindeutig den Marktführer Lufthansa unterstützt zu haben. Kleinere Interessenten und ausländische Bieter fühlen sich so zu recht diskriminiert. Es kann nicht im Interesse von Fluggästen hierzulande sein, wenn der Markt nur von wenigen Unternehmen beherrscht und abgeschottet wird.
Speziell für die Stadt Berlin und ihre reisewilligen Bewohner wird die sich abzeichnende Entscheidung der Gläubiger einen massiven Rückschlag bedeuten: Die Marke, die maßgeblich dazu beitrug, den Namen der Stadt in alle Welt zu tragen, wird erlöschen. Die vielen Direktflüge - auch vor allem auf der Langstrecke - werden extrem reduziert werden. Bei Lufthansa hat man schon klar gemacht, dass die Maschinen Berliner Fluggäste vornehmlich in die Drehkreuze nach Frankfurt und München, allenfalls noch nach Düsseldorf befördern sollen. Erst dann geht es weiter in alle Welt. Über Jahre hatte die Air Berlin direkt ab Berlin zahllose Tourismus- wie Geschäftsreiseziele in Europa angesteuert, dazu einige Ziele in Asien, Nord- und Südafrika, sogar den Westen der USA.
Lufthansa plant angeblich Rabattaktion
Der jahrelang anhaltende Boom des Luftverkehrsstandortes Berlin wird mindestens einen Dämpfer erhalten. Das wird Auswirkungen auf praktisch alle Wirtschaftsbereiche der Hauptstadt haben - vom Tourismus über die international orientierte Gründerszene bis zu Forschungsinstituten. Auch das sollten Wähler, die am kommenden Sonntag über die Zukunft des Flughafens Tegel entscheiden, bedenken. Braucht es da wirklich zwei Flughäfen? Wer meint „Jetzt erst recht“, vielleicht komme ja bald eine neue Air Berlin, die viele Direktflüge übernimmt, der verkennt die Marktlage und die enorm große Sogwirkung der bestehenden Lufthansa-Drehkreuze.
Natürlich werden Konkurrenten kurzfristig einige der Air-Berlin-Routen übernehmen - aber die Tickets werden eher nicht billiger werden - auch wenn man bei der Lufthansa nun offenbar intensiv über eine konkrete Rabattaktion nachdenkt. Man wolle Passagiere gewinnen, die noch auf wertlosen Tickets der Air Berlin sitzen, welche vor dem Insolvenzantrag am 15. August ausgestellt worden waren. Schlanke 50 Euro für einen Kurz- und Mittelstreckenflug und 150 Euro für eine Langstreckenreise sollen enttäuschte Fluggäste, die so ein Ticket vorweisen können, bei Lufthansa zahlen. Ein entsprechendes Angebot soll die Tage veröffentlicht werden, hört man. Aber mittel- und langfristig wird es teurer werden, weil der Wettbewerb abnimmt, es keine Konkurrenz auf einigen Routen mehr gibt. So zählen nicht nur Fluggäste aus Berlin zu den Verlieren.
Die Techniker haben die beste Perspektive
Aus Sicht der Mitarbeiter gibt es Licht und Schatten. In Air Berlins Verwaltung in Tegel mit deutlich mehr als 1000 Mitarbeitern dürfte die Sorge am größten sein. Vor allem sie werden die Transfergesellschaft, die die Gewerkschaften fordern (und die Bund und Länder offenbar unterstützen wollen) brauchen. Viele müssen womöglich umschulen in einen neuen Beruf, denn es ist nicht anzunehmen, dass sie alle bei den Konkurrenten unterkommen. Die sind selbst bemüht, ihre eigenen Verwaltungen zu verschlanken Viele Piloten, Service-Personal an Bord und am Boden dürften etwas bessere Chancen haben, da nicht so viele fähige Kolleginnen und Kollegen auf dem Arbeitsmarkt sind und der Luftverkehr europa- und weltweit stetig wächst. Gleichwohl fürchten die Mitarbeiter wohl zu recht Gehaltseinbußen.
Es ist zwar nicht so, dass Air Berlins Mitarbeiter bisher überdurchschnittlich gut verdient haben - aber selten ist ein neuer Arbeitgeber in einer so guten Verhandlungsposition wie bei so einer Zerschlagung in der Insolvenz. Gewerkschaften, die nun versuchen werden, auch Air Berliner in die bestehenden Tarifverträge der Konkurrenz zu befördern, werden mutmaßlich recht kompromissbereit bei der Eingruppierung sein müssen. Doch wie kompromissbereit kann ein Mitarbeiter sein, der noch viele Jahre lang ein Häuschen abzuzahlen hat? Mit besten Perspektiven dürften die gut 800 Mitarbeiter der Air Berlin Technik haben. Ihr Knowhow wird weiter gefragt sein.
Verlierer dieses Arrangements zu Gunsten von Lufthansa, Easyjet und Condor sind auch die Aktionäre, da Lufthansa & Co sich nach einem Insolvenzantrag an der Air Berlin bedienen - und die Anteilseigner in diesem Stadium kein Wort mehr mitzureden haben. So will es das Gesetz. Nun muss man kein zu großes Mitleid mit Aktionären haben, sie hätten angesichts der über Jahren anhaltenden Schieflage des Unternehmens jederzeit vorher ihre Aktien abstoßen können. Allerdings kann man menschlich verstehen, dass Anleger, die zu guten Zeiten nach dem Börsengang 2006 gekauft haben, immer noch auf eine Wende zum Guten gehofft haben, um Verluste zu minimieren. Mit der Air-Berlin-Aktie ging es über die Jahre aber fast stetig bergab, es gab kaum einen guten Punkt für den Absprung. Und man sollte nicht vergessen: Es waren die Aktionäre, die den Aufstieg dieser einst winzigen Airline zur Nummer zwei in Deutschland und Nummer sieben in Europa finanziert haben.