Air Berlin: Die tägliche Angst vor dem Absturz
Tausende Mitarbeiter der insolventen Airline Air Berlin arbeiten in Tegel. Wir haben einen von ihnen getroffen.
Das erste Alarmzeichen waren die Augen. Jens Felder (Name geändert) kannte diesen Piloten gut, der jetzt neben dem Bugrad seiner Maschine stand, er kannte seine straffe Körperhaltung, seinen selbstbewussten Blick. Aber jetzt blickte dieser erfahrene Pilot resigniert, fast teilnahmslos, als Felder mit ihm sprechen wollte. Felder sah die Augen, dann hörte er, was er sagte, dieser sonst so selbstbewusste Mann. „Wir fliegen nur noch bis Mitte November, dann ist alles vorbei.“ Es war natürlich nur ein Satz, Ausdruck von Hilflosigkeit und Frustration. Der Pilot wusste nicht wirklich, was passieren würde. Aber für Felder war dieser Pilot eine Art feinfühliger Seismograf. Reine Bauchsache, aber Felder reagierte darauf. Er bekam jetzt Angst. Zwei Tage später hörte er: Air Berlin hat Insolvenz angemeldet.
Für Jens Felder, Prüfer, zuständig für den technischen Zustand der Maschinen, seit einem Dutzend Jahren bei Air Berlin, brach eine Welt zusammen. „Es ist so, als wüsstest du schon lange, dass jemand schwer krank ist. Und plötzlich erhältst du die Nachricht, dass er gestorben ist.“
Die Angst vor der Pleite war abstrakt, jetzt ist sie real
Er wirkt jünger als Ende 40, aber man sieht ihm den Stress an. Felder sitzt in einem Restaurant in Tegel, vor sich einen Milchkaffee, hinter sich die Nachricht, die ihn traf wie ein Schlag in die Magengrube. Bei Air Berlin hatten sie ja seit Jahren mit der Krise gelebt. Nachrichten über finanzielle Probleme, über Sparrunden, über Missmanagement kamen so regelmäßig wie der Wetterbericht. Irgendwann hörten die Air-Berlin-Mitarbeiter diese Nachrichten nur noch, ohne sie wirklich aufzunehmen. Angst blieb etwas Abstraktes. Aber jetzt ist sie real, die Angst. Jetzt ist die Zukunft völlig unklar. Und jetzt greifen die Ängste direkt ein in diesen Alltag. Auch bei Jens Felder. Hätte es das früher gegeben, dass er sich im Auto über Kleinigkeiten aufregt? Hätte es nicht. Aber jetzt, sagt er und presst die Hände auf den Tisch, „jetzt sagt mir mein Sohn, dass ich viel aggressiver bin als früher.“ Jetzt zieht er sich auch von Freunden zurück, weil er nicht ständig über Air Berlin reden möchte. „Aber am erschreckendsten“, sagt er, „ist es eigentlich, dass man gar nicht mehr aus dem Bett steigen will.“ Weil der Weg zur Arbeit nur noch wenig Freude macht.
Vier Tage ist er gar nicht zum Flughafen gegangen, der Arzt hatte ihn krank- geschrieben. Herz-Rhythmus-Störungen, rasende Kopfschmerzen, das alles hatte er als Symptome zu großen Stresses diagnostiziert. Solch einen Befund kannte Felder bisher nicht bei sich. Aber er kannte ja bis zur Insolvenz-Nachricht auch nicht, dass Kollegen resigniert sagten: „Wenn ich den Job verliere, räume ich halt im Kaufhaus Regale ein.“ Felder hat enorme Verantwortung. Der Techniker ist, neben anderen, dafür zuständig, dass die Flugzeuge sicher fliegen. Der 48-Jährige prüft, ob andere Fehler gemacht haben. Aber er findet auch jetzt nicht mehr Fehler als sonst. „Wir sind alle Profis, bei uns muss die Fehlerquote bei null liegen. Ein Außenstehender würde nichts davon bemerken, wie bei uns die Stimmung ist.“ Das Sicherheitsmanagement ist so ausgeklügelt, die Kontrollmechanismen sind so umfangreich, dass nichts passiert, selbst wenn einem Mitarbeiter ein Fehler unterläuft. „Aber ich habe noch keinen erlebt, der jetzt gleichgültiger arbeitet als früher“, sagt er.
Das ist die Fassade, aber dahinter, innerlich, ist etwas kaputtgegangen, etwas, das mit Ehre und Anerkennung zu tun hat. Die dauernden Krisen-Nachrichten sind ja jahrelang wie in einem Filter hängengeblieben. Aber das Gefühl von Stolz hat stets die Herzen erreicht. „Wir waren immer stolz darauf, dass unsere Kunden zufrieden waren, dass die Leute gesagt haben: Wir fliegen gerne mit euch“, sagt Felder, und für ein paar Sekunden wird sein Blick weicher. „Im Kern war und ist Air Berlin ja ein soziales Unternehmen.“ Vernünftige Gehälter, Hilfestellung bei Problemen, Felder zählt Punkt für Punkt auf.
"Das geht gegen die Ehre der Air Berliner"
Aber seit dem Chaos bei der Gepäckabfertigung reden die Fluggäste anders. „Hoffentlich seid ihr bald pleite“, herrschen sie das Kabinenpersonal an. Solche Sätze dringen jetzt auch in die Herzen der Mitarbeiter. „Das geht gegen die Ehre der Air Berliner“, sagt Felder.
Ihm bricht allmählich vieles weg, an das er sich psychisch klammern könnte. Die Anerkennung fehlt, die Flucht in die soziale Sicherheit des Freundeskreises wird schwieriger, Erinnerungen an Schreckensbilder tauchen auf. Jetzt sieht Felder wieder den Bauingenieur vor sich, den er vor Jahren mal kennengelernt hatte. Der Ingenieur saß an einem Straßenrand, als Obdachloser, den innigsten Halt, den er noch hatte, gab ihm seine Bierflasche.
Soll er sich einreden, so etwas könne ihm, Jens Felder, nie passieren? „Niemals kann man nie sagen,“ sagt er. „Man muss sehr aufpassen.“ Die schlechten Nachrichten bleiben jetzt in keinem Filter mehr hängen. Aber letztlich kann der 48-Jährige ja doch nur warten und beobachten. Beeinflussen kann er nur seine eigene Situation. Eine Urlaubsreise hat er gestrichen, der Familienvater muss jetzt das Geld zusammenhalten. Er blieb in Berlin, im Grünen. Aber eine Woche vor Urlaubsende schoss ihm durch den Kopf: „Verdammt, bald muss ich wieder zur Arbeit.“