Die Hilfen laufen aus: Griechenland ist noch lange nicht gerettet
Auf dem Papier geht es Griechenland wieder gut. Doch bei den Menschen kommt die wirtschaftliche Erholung kaum an.
Bei Domna Evangelidou gibt es soziale Preise. 60 Euro für eine neue Zahnfüllung und eine Dreiviertelstunde Arbeit, Betäubungsspritze inklusive. Denn die staatliche Krankenversicherung zahlt nur unter Umständen und anteilig eine Behandlung bei einem privaten Arzt. Trotzdem ist Evangelidous Praxis im Zentrum von Athen meist leer. „Meine Patienten sind weg“, sagt sie, jetzt, nach acht Jahren Finanzkrise und Sparkurs. „Die hohen Steuern sind vielleicht nicht einmal das Problem. Es ist schwierig, die Arbeitszeit überhaupt zu füllen.“
In drei Wochen sind die Griechen offiziell durch mit der Krise. Der letzte Hilfskredit der Europäer läuft am 20. August aus. 15 Milliarden Euro wird Athen noch einmal erhalten sowie einige Schuldenerleichterungen und dafür wenigstens vier weitere Jahre, bis 2022, von den Gläubigern beaufsichtigt werden. Der griechische Ministerpräsident Alexis Tsipras feierte dies als großen Sieg. Griechenland steht wieder auf eigenen Beinen. Doch 70 Prozent der Bürger, so ergab jüngst eine Umfrage, glauben, es läuft alles falsch. Von Aufbruch und Optimismus keine Spur.
Renten werden weiter gekürzt
Die große Mehrheit im Land spürt tatsächlich nichts von einem Aufschwung, auch wenn manche makroökonomischen Zahlen mittlerweile positiv sind. Die Exporte ziehen an mit einem Plus von 7,6 Prozent im ersten Quartal, die Arbeitslosenrate könnte noch dieses Jahr unter die Marke von 20 Prozent rutschen. Doch weitere Rentenkürzungen von 120 bis 350 Euro stehen zu Beginn nächstes Jahres an, die Sozialbeiträge für Selbstständige sollen nochmals steigen – für Luxus-Architekten ebenso wie für Lkw-Fahrer. Das Einkommen der meisten Familien bleibt knapp. Selbst bei Arztbesuchen wird deshalb gespart, der Tausch einer Zahnplombe so lange wie möglich verschoben.
Vieles hat sich seit dem Beginn der drakonischen Spar- und Reformmaßnahmen im Jahr 2010 in Griechenland gleichwohl für Unternehmer und Investoren verändert. Der Arbeitsmarkt ist liberalisiert worden, die Gehälter sind stark gesunken, Neugründungen von Firmen sind leichter. So zählt es Panos Tsakloglou auf, ein Athener Wirtschaftsprofessor und ehemaliger Generalsekretär im Finanzministerium in der Zeit der von den Konservativen geführten Regierung von Antonis Samaras (2012 bis 2015).
Privatisierung gegen Investitionszusagen
Große Privatisierungen vor allem im Transport- und Logistikbereich haben die Arbeit in einigen Wirtschaftszweigen sehr viel effizienter gemacht, sagt Tsakloglou. Die Übernahme der Regionalflughäfen durch ein von der deutschen Fraport geführtes Konsortium oder der Verkauf der hochverschuldeten griechischen Staatsbahn für gerade einmal 45 Millionen Euro an die ebenfalls staatliche italienische Ferrovie im vergangenen Jahr sind an hohe Investitionszusagen geknüpft.
Eigentlich müsste noch mehr Geld von außen nach Griechenland kommen: Immobilien und Firmen sind billig geworden, gut ausgebildete Arbeitslose gibt es genug, niemand spricht mehr von Grexit und Staatsbankrott. Knapp zwei Prozent Wirtschaftswachstum werden für dieses Jahr erwartet. Trotzdem läuft es noch nicht wirklich. Die Steuern seien viel zu hoch und ein Nachteil im Wettbewerb, sagt Tsakloglou: 29 Prozent für Unternehmen in Griechenland, zehn Prozent Flat-Tax im Nachbarland Bulgarien. Und die grundsätzlich unfreundliche Einstellung der linksgeführten Regierung gegenüber dem Business lähme die Wirtschaft.
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Chinesen sind die größten Investoren
Allerdings gilt das nicht für alle Branchen. Sektoren wie Biokosmetik, Gesundheitstourismus oder die Tourismusbranche seien die Ausnahme, bestätigt Jens Bastian, ein in Athen lebender Wirtschaftsberater. Manche dieser Unternehmen haben sich frühzeitig auf den Export ausgerichtet, sagt Bastian. Dadurch fanden sie ausländische Investoren mit Kapital, die nun das weitere Wachstum der Marken finanzieren. Auch Branchen in Griechenland mit einem vergleichsweise starken Erholungspotenzial wie etwa nun Banken und Versicherungen ziehen Kapital an. Allerdings gibt es da noch eine problematische Seite. Ausländische Direktinvestitionen in Griechenland haben sich in den acht Jahren der Krise von Europa weg nach Fernost verlagert, so stellt Jens Bastian fest. China ist heute der größte Kapitalgeber im Land. Chinesische Konzerne kontrollieren den Hafen von Piräus, haben Anteile am griechischen Stromnetz und wollen Kraftwerke kaufen. „Griechenland wird zum Einfallstor Chinas in Europa“, sagt Bastian. Es ist die immer noch wenig verstandene geopolitische Folge von Griechenlands Finanzkrise und wie diese Krise von den anderen Ländern der Eurozone gemanagt wurde.
Mindestgehalt von 683 Euro
Weder abwärts, noch wirklich aufwärts, dafür noch auf Jahre hinaus eine prekäre soziale Krise – das scheint die realistische Prognose für Griechenland am Ende der Kredithilfen. Knapp 250 Milliarden Euro haben Europa und der Internationale Währungsfonds seit 2010 in das Land gepumpt und dazu noch 2012 den Schuldenschnitt bei privaten Gläubigern des griechischen Staats – Banken zumal – durchgesetzt. Das Ergebnis ist ein halbwegs konsolidierter Staatshaushalt. Athen kann sich wieder mit Geld von den Finanzmärkten finanzieren. Doch die soziale Wirklichkeit sind weitverbreitete Jobs zum Mindestgehalt von 683 Euro oder weniger und das, was Griechen selbst ihre „Mickey-Mouse-Wirtschaft“ nennen: Shops mit elektrischen Zigaretten, die in Athen nun überall eingezogen sind; neue Cafés, deren Personal laut Werbetafeln stets eine Barista-Ausbildung absolviert hat; und Airbnb-Wohnungen in scheinbar endloser Zahl. Manches von all dem ist kurzfristig durchaus profitabel, nichts davon aber wirklich produktiv.